Archäologie Warschaus schwangere Mumie hütet noch viele Geheimnisse
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04. Februar 2022, 13:39 Uhr
Für die Welt der Mumienforschung war diese Meldung im Jahr 2021 ein absoluter Knaller: Eine schwangere Mumie, entdeckt von einem Forschungsteam in Warschau. So was hatte noch niemand gesehen, nicht einmal die britische Ägyptologin, Professorin Rosalie David, die Ikone der internationalen Mumienforschung. Sie hatte Anfang der 70er-Jahre als Erste überhaupt Methoden entwickelt, um Mumien zu untersuchen, ohne sie zu beschädigen. Was ist inzwischen alles über die Mumie und ihr Baby bekannt?
Man hat sie die "Mysteriöse Lady" getauft: eine 2.000 Jahre alte Mumie und ihr mumifiziertes Baby, die in Warschau erstmals 2018 bei Untersuchungen per Computertomografie entdeckt wurden. Aber es sollte noch drei Jahre dauern, bevor die Welt per wissenschaftlicher Veröffentlichung davon erfuhr. "Eigentlich wollten wir die üblichen Dinge herausfinden, Alter, Geschlecht, Gesundheit, gab es Tumore, welche Artefakte sind im Inneren der Mumie", erzählt Anthropologin Marzena Ozarek-Szilke im Gespräch mit MDR WISSEN. Sie arbeitet zusammen mit dem Archaölogen Dr. Wojciech Ejsmond und einem vielköpfigen Team für das Warschauer Mumienprojekt. Erste Analysen hatten bereits im Jahr 2015 gezeigt, dass das Team nicht wie gedacht einen mumifizierten Mann, sondern eine Frau vor sich hatte.
Frauen-Mumien nicht ungewöhnlich
So weit, so gut, das hebt die Welt der Mumienforschung noch nicht aus den Angeln. "Dass auch Frauen mumifiziert wurden, ist an sich nicht auch ungewöhnlich", erläutert Archäologe Wojciech Ejsmond. "Das weist nur darauf hin, dass sie zu einer höheren Gesellschaftsschicht gehörte." Denn nur wer genug Geld hatte, konnte sich eine solche Bestattungsform leisten. Diese Frau könnte der Elite von Theben im Süden Ägyptens angehören. Ein polnischer Ägyptologie-Liebhaber, Jan Wezyk-Rudzki, hatte die Mumie, samt Sarg gekauft und 1826 der Universität Warschau geschenkt. Man dachte ursprünglich, es handele sich um einen Mann, da Deckelverzierungen und -Inschriften auf einen Priester namens Hor-Djehuti hinwiesen.
Doch wie kommt dann die mysteriöse Dame in den Männersarg? Und stammt der Sarg wirklich aus den Königsgräbern in Theben, wie es dem Käufer erzählt wurde? Allein der Hinweis, ein Sarg stamme aus Theben, sorgte in der Hoch-Zeit des Mumienhandels oftmals für höhere Preise. Damals eine gängige Praxis, genau wie das muntere Verladen von Mumien von einem Sarg in einen anderen. Der Zustand des vermeintlichen Priesters war gut, allein Schäden an den Wickelbinden im Nacken deuteten darauf hin, dass die Mumie schon einmal äußerlich auf Wertgegenstände hin untersucht worden war. Was der Grabräuber nicht kann, kann die heutige Forschung, und zwar ohne Spuren oder Schaden zu hinterlassen: tief in die Mumien hineinschauen.
Überraschungen im Inneren der Mumie
Dank neuester Röntgentechnik können Forschungsteams heute unter den Binden nicht nur Knochen, sondern auch Gegenstände wie Amulette, oder andere Objekte und Bestattungselemente sehen. Im Inneren der mysteriösen Dame sind demnach mehr als 22 Amulette und andere Objekte, berichten die Forscher. Doch für die richtige Überraschung sorgte die Analyse per Computertomographie. Die Mumie war eine hochschwangere Frau, im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, der Fötus zwischen 26. und 30. Schwangerschaftswoche. Verrückt, da hatte man quasi einen Braten in die Röhre geschoben und zwei kamen wieder heraus. Wie der Fötus in der Gebärmutter im Mumien-Inneren zur eigenen Mumie wurde, haben Marzena Ozarek-Szilke inzwischen entschlüsselt: Die Knochen haben sich durch die chemischen Prozesse aufgelöst.
"Der Fötus befand sich in einer sauren, 'sumpfähnlichen' Umgebung, die später während der Einbalsamierung der Mutter austrocknete. Während des Mumifizierungsprozesses wurde die verstorbene Frau mit Natron, einem in Ägypten natürlich vorkommenden Natrium, bedeckt, um den Körper zu trocknen." So beschreiben Ozarek-Szilke und ihr Kollege Wojciech Ejsmond den Prozess in ihrem Forschungs-Blog. Das wiederum habe zum Austrocknen der Gebärmutter und des Fötus geführt.
So fand im Mumien-Inneren also ein zweiter Mumifizierungsprozess statt. Dabei lagerten sich die Mineralien aus Knochen, die im Fruchtwasser gelöst wurden, in den Weichteilen des Fötus und der Gebärmutter ab. "Wenn Radiologen also Mumien untersuchen, suchen sie normalerweise nach Knochen. Unsere Forschung zeigt, dass es wichtiger ist, die Form der Weichteile im Beckenbereich zu untersuchen", schreiben die Warschauer Forscher.
Neue Erkenntnisse und viele neue Fragen
Das Baby hätte zum damaligen medizinischen Stand keine Überlebenschance gehabt, wenn es zu dem Zeitpunkt der Schwangerschaft zur Welt gekommen wäre, sagen die Forscher. So viel ist sicher. Aber alles Weitere ist offen: "Warum wurden Gebärmutter samt Fötus im Körperinneren belassen?", wundern sich die Anthropologin und der Archäologe, "normalerweise wird das Körperinnere entleert, werden Leber, Magen, Lunge, Innereien entnommen."
Hat der Umgang mit dieser menschlichen Tragödie, einer jungen Schwangeren und ihrem ungeborenen Kind, vielleicht einen religiösen Hintergrund? Was wussten oder dachten die Menschen damals über Ungeborene, was dachten sie, was mit deren Körpern oder Seelen im Jenseits geschah? All das weiß man noch nicht. Aber das polnische Team verrät, dass es bald die nächsten Geheimnisse dieser tragischen Familiengeschichte lüften wird: Warum starb die Frau? War der Fötus ein Mädchen oder ein Junge? "Vor Fertigstellung unserer nächsten Publikation können wir das nicht verraten", bedauern Wojciech Ejsmond und Marzena Ozarek-Zilke.
Gibt es noch mehr schwangere Mumien?
Vermutlich werden die Veröffentlichungen aus Warschau auch andere Mumienforschungsprojekte beeinflussen. Zum einen werden bis heute nur wenige Mumien geröntgt und per CT durchgecheckt. Eine Frage der Kosten, CTs sind sehr teuer, sagt Forscherin Ozarek-Szilke. Zum anderen scheint es nützlich mehr auf Weichteile und deren Form im Beckenraum zu gucken und nicht allein auf Knochen. Beides zusammen könnte erklären, warum bisher keine weiteren mumifizierten Schwangeren entdeckt wurden.
Gibt es vielleicht noch mehr? Gute Frage, sagt das Forschungsduo abwägend. "Wir haben das mal durchkalkuliert und schätzen, es könnte bei den 400 weltweit untersuchten ägyptischen Mumien tatsächlich noch mehr Schwangere geben", sagt Wojciech Ejsmond. Die Ikone der internationalen Mumienforschung, die britische Ägyptologin, Rosalie David, war fasziniert von dem Fund und gratulierte dem polnischen Team begeistert. Vielleicht sind auch unter den von ihr analysierten weiblichen Mumien welche dabei, bei denen es sich lohnen würde, sie erneut und anders zu analysieren. Auszuschließen ist das nicht.
Hier finden Sie mehr über das Warschauer Mumienprojekt, mit weiteren Einblicken in Mumien.
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