Pandemie Viren im Abwasser: Wie geht es mit dem Abwassermonitoring weiter?
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20. Dezember 2024, 14:26 Uhr
Die Überwachung des Abwassers liefert wichtige Daten über die Verbreitung von Corona und seit Kurzem auch von Influenza in Deutschland. Die Zukunft des Monitorings erscheint angesichts knapper Kassen aber ungewiss.
Die Corona-Pandemie ist offiziell vorüber und das Geld in den öffentlichen Kassen ist knapp. Deshalb steht derzeit auch die Fortsetzung des Abwassermonitorings für die epidemiologische Lagebewertung (AMELAG) infrage. Das gemeinsam vom Umweltbundesamt (UBA) und vom Robert Koch-Institut (RKI) getragene Projekt hat bisher nur eine Laufzeit bis Ende des Jahres. Der Staat könnte also leicht ein paar Millionen Euro einsparen. Doch wie sinnvoll wäre das?
EU verlangt Abwassermonitoring ab 2027
Seit 2022 läuft das Projekt. Inzwischen nehmen über 160 Kläranlagen in Deutschland daran teil. Jede Woche nehmen sie Proben aus ihrem Abwasserzulauf. Im Labor werden diese Proben auf das Erbgut bestimmter Erreger getestet. Aktuell sind das Sars-CoV-2 und verschiedene Typen von Influenzaviren. In einem Versuchsprojekt wird zudem auf RSV getestet, ein Atemwegsvirus, das vor allem für kleine Kinder gefährlich ist. Alle Daten fließen unter anderem in den wöchentlichen Bericht zur Ausbreitung von Atemwegserregern ein.
"Das Projekt sollte in jedem Fall fortgesetzt werden, gleich aus mehreren Gründen", sagt Marcus Lukas, Laborleiter beim UBA. "Zum einen hat sich die Abwassersurveillance als wertvolles Instrument zur Überwachung von Infektionskrankheiten erwiesen. Zum anderen fordert die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie die Etablierung von genau solchen Strukturen für ein Abwassermonitoring von den Mitgliedstaaten."
Welchen Sinn haben parallele Überwachungssysteme für Krankheitserreger
Deutschland könnte also allerhöchstens vorübergehend aus dem Monitoring aussteigen. Die Richtlinie, die ab dem ersten Januar gilt, gibt den EU-Staaten zweieinhalb Jahre Zeit, eine Abwassersurveillance einzurichten. Spätestens dann müsste also ein neues Programm aufgesetzt werden. Und weil das neue Einrichten voraussichtlich mehr Geld kostet als der Betrieb des schon existierenden Monitorings, wäre aus Sicht der Staatsfinanzen wenig gewonnen.
Doch wie sieht es auf der Seite des Gesundheitsschutzes aus? AMELAG ist nicht das einzige System, mit dem Deutschlands Seuchenschützer überwachen, welche Krankheitserreger im Land zirkulieren. Es gibt Stichprobensysteme (genannt Sentinel), bei denen repräsentativ ausgewählte Arztpraxen die Proben erkrankter Patienten an zentrale Labore schicken. Bei der Umfragestudie GrippeWeb geben ein paar tausend Freiwillige jede Woche Auskunft darüber, ob sie sich eine Atemwegsinfektion zugezogen haben oder nicht. Und daneben müssen Labore, Kliniken und Arztpraxen eine ganze Reihe Diagnosen melden, wenn sie bestätigt sind. Braucht es da wirklich noch die Überprüfung des Abwassers?
Virus Überwachung: Mehrere Systeme sichern sich gegenseitig ab
"Das Abwassermonitoring ist sozusagen ein weiterer Pfeil im Köcher der Surveillance und ein sehr interessantes Instrument, das wir in Deutschland lange nicht hatten", sagt der Epidemiologe Hajo Zeeb, Abteilungsleiter am Leibniz Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. "Es kann schnelle Informationen über sich ausbreitende Viren im Abwasser liefern." Die Daten aus AMELAG geben zwar keine konkrete Auskunft darüber, wie viele einzelne Personen erkranken. Doch sie liefern einen Hinweis auf die Geschwindigkeit, mit der sich weitere Menschen infizieren.
Und sie sind eine Art doppelter Boden für die anderen Systeme: Fällt eines aus und ergeben sich blinde Flecken, wird das durch die Daten aus den anderen Überwachungsinstrumenten deutlich. Gerade bei Auftreten von neuen Erregern kann das von unschätzbarem Wert sein. Denn niemand kann sagen, wie sich beispielsweise die Vogelgrippe ausbreiten würde, wenn das Grippevirus H5N1 doch auf die Menschen überspringt.
Abwassermonitoring zweigt zuverlässig Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erregern
Der größte Vorteil des Abwassermonitorings, da sind sich alle Experten einig, liegt darin, dass es unabhängig von den Auskünften der Bevölkerung funktioniert. Der größte Nachteil ist, dass seine Daten nicht so einfach vergleichbar sind zwischen den verschiedenen Kläranlagen. Das Abwasser jeder Stadt ist unterschiedlich: Einige Kommunen leiten das Regenwasser der Straßen über die Kanalisation ab, andere nicht. Und der Mix der Industrieabwässer unterscheidet sich ebenfalls von Standort zu Standort.
Trotzdem lässt sich sehr zuverlässig ablesen, ob ein bestimmter Erreger überhaupt enthalten ist, ob sein Anteil im Vergleich mehrerer Wochen wächst oder ob seine Verbreitung wieder abnimmt. Interessant sei auch der Vergleich der Daten aus verschiedenen Systemen. Gehen besonders viele Menschen zum Arzt, wenn sich ein bestimmter Erreger rasch ausbreitet? Oder sind die Symptome bei vielen Menschen so mild, dass keine Virusprobe je ein Labor erreicht, während die Viruslast im Abwasser trotzdem steigt?
Nur durch die Prüfung von Abwasser konnten die Impf-Polioviren entdeckt werden
Ein Beispiel dafür ist der Fund von abgeschwächten Polioviren, die wahrscheinlich aus früheren Impfungen stammen. Sie wurden im Abwasser entdeckt, obwohl sie bislang bei keinem Arzt und in keiner Klinik auffällig geworden waren. Die Entdeckung stammt zwar nicht aus dem AMELAG Projekt, sondern aus einem parallelen wissenschaftlichen Versuch. Doch sie demonstriert, wie wertvoll die Überwachung von Abwasser sein kann.
Eine Prüfung auf noch unbekannte Erreger ist allerdings nicht so leicht möglich. Das Nachweisverfahren setzt voraus, dass die Erreger bekannt sind. Wie sonst kann Erbgut aus dem unübersichtlichen Mix im Klärwasser herausgefiltert werden? Viren sind nur ein kleiner Teil der biologischen Fracht. Ein Scan auf sämtliche DNA und RNA erscheint zumindest gegenwärtig noch unrealistisch.
Vorläufige Fortsetzung von AMELAG beschlossen – Umfang noch unklar
Das Ende der Ampel-Koalition hat eine Entscheidung über die Fortsetzung von AMELAG in das kommende Jahr vertagt. Vorläufig soll das Projekt fortgesetzt werden. Mittelfristig könnte der Umfang verringert werden, von über 160 Kläranlagen auf etwa 50. Das würde bedeuten, dass die Infektionslage bei weit weniger Menschen über das Abwasser erfasst werden kann. Es würde aber zumindest eine Stichprobe ermöglichen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. Dezember 2024 | 09:53 Uhr
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