Ein junge Frau steht in einem Treppenhaus. 1 min
Bildrechte: picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte
1 min

MDR FERNSEHEN Fr 07.02.2025 13:01Uhr 01:23 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/audio-2860234.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Psychiatrie & Psychotherapie Der Weg zum Therapieerfolg ist steinig und komplex

10. Februar 2025, 08:34 Uhr

Eine neue Studie legt nahe, dass nur 7 Prozent aller psychisch Kranken eine angemessene Behandlung erhalten. Die Gründe dafür sind vielfältig und kein reines Versorgungsproblem.

Die Untersuchung aus Kanada und den USA lässt aufhorchen: Aus 21 Ländern haben Forschende Umfragedaten von 57.000 Menschen zur Behandlung von neun psychischen Krankheiten analysiert. Das Ergebnis: Nur sieben Prozent der Betroffenen erhielten im Untersuchungszeitraum über ein Jahr eine angemessene Therapie.

Erstmaliger Blick auf viele Faktoren des Therapieerfolgs

"Das klingt erst einmal erschreckend", sagt Martin Walter, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Jena. "Es ist aber nicht so weit weg von dem, was wir erwarten, wenn wir alle Faktoren zusammenrechnen, die eine Rolle spielen, ob jemand letzten Endes hinreichend Hilfe erfährt."

Gerade darin – also in der Analyse etlicher Einflussfaktoren auf die Effektivität einer Behandlung – liege die Stärke der Untersuchung um das Team von Daniel Vigo von der University of British Columbia und Ronald Kessler aus Harvard. Walter erklärt: "Und das ist das, was wir eben häufig nicht betrachten, wenn wir uns fragen, wenn jemand krank ist: Wann bekommt er einen Termin? Und wenn jemand zum Arzt kommt, wird ihm wirklich geholfen, oder nicht? Wir betrachten normalerweise nur die Einzelaspekte."

Mediziner mit Kittel und Krawatte mit grau-meliertem Bart und Brille steht vor einem Klinkerbau 14 min
Bildrechte: UKJ/Michael Szabo

In Anbetracht der jüngst festgestellten geringen Anzahl psychisch Kranker, die weltweit effektiv behandelt werden, rät Martin Walter zu einem umfassenden Blick.

MDR FERNSEHEN Fr 07.02.2025 13:02Uhr 13:43 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/audio-interview-martin-walter-versorgungslage-psychische-erkrankungen-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mediziner mit Kittel und Krawatte mit grau-meliertem Bart und Brille steht vor einem Klinkerbau 14 min
Bildrechte: UKJ/Michael Szabo
14 min

In Anbetracht der jüngst festgestellten geringen Anzahl psychisch Kranker, die weltweit effektiv behandelt werden, rät Martin Walter zu einem umfassenden Blick.

MDR FERNSEHEN Fr 07.02.2025 13:02Uhr 13:43 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/audio-interview-martin-walter-versorgungslage-psychische-erkrankungen-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Mangelndes Bedürfnis, sich Hilfe zu suchen durch fehlende Aufklärung und Stigmata

Der zentrale Einflussfaktor, der bei den über 18.000 Personen mit einer psychischen Erkrankung in der neuen Untersuchung eine wirksame Therapie verhindert hat, war die Einsicht bei den Patienten, dass ein Bedarf für eine Behandlung überhaupt besteht. Nur bei 46,5 Prozent derer, die nach dem anerkannten Diagnostik-Tool DSM-IV eine psychische Erkrankung hatten, hatten das Bedürfnis nach Hilfe.

Walter sieht dafür besonders zwei Gründe: mangelnde Aufklärung und Stigmata. "Wir sprechen heute auch neudeutsch von 'Mental Health Literacy'. Das heißt, das Verständnis davon, was an dem, was ich gerade erlebe, ist eigentlich nicht normal und geht über das hinaus, was man noch als Schwankungen des Normalen beschreiben sollte? Oder viel wichtiger noch, was an meinem Partner fällt mir auf, was ich eigentlich als Depression erkennen sollte? Das ist der eine Faktor. Der zweite Faktor ist natürlich auch, was möchte ich erkennen? Das Stigma. Und das sind beides sehr wichtige Faktoren."

Unterschiede zwischen den Erkrankungen

Auch wenn sich bei der sozialen Ächtung von psychischen Erkrankungen und Therapien viel getan habe, gebe es weiterhin eine gesellschaftliche Abwertung. Und diese unterscheide sich auch, je nach Krankheitsbild. "Bei den Depressionen sind wir inzwischen deutlich weiter als bei anderen Erkrankungen, nehmen Sie die Alkoholerkrankungen als ein klassisches Beispiel. Das fällt nicht so leicht, das zuzugeben, weder anderen noch sich selbst gegenüber", so Martin Walter.

Therapie steht auf einem gelben Schild mit bewölktem Himmel
Ob eine Therapie zum Erfolg führt, ist von vielen Faktoren abhängig. Bildrechte: IMAGO / Zoonar

Und tatsächlich hat die Studie von Vigo und Kollegen Unterschiede zwischen den verschiedenen psychischen Störungen hinsichtlich ihrer Behandlung gefunden: Angststörungen und Depression werden eher wirksam therapiert als Substanzabhängigkeiten. Laut Walter spielt auch der Schweregrad einer Erkrankung eine Rolle: "Je schwerer die psychiatrische Erkrankung, desto schlechter ist dann leider auch die Versorgung."

Langer Weg von der Suche nach Hilfe zu effektiver Therapie

Eine Zahl, die dem Jenaer Psychiater zwar noch zu niedrig ist, allerdings zeigt, dass die Versorgung auf einem guten Stand ist, ist der Prozentsatz derer, die überhaupt Hilfe bekommen, wenn sie danach suchen. Immerhin 83 Prozent haben dann ein Mindestmaß an Behandlung erhalten. Walter zeigt sich erleichtert: "Es wäre schlimm, wenn diese niedrige Versorgungsrate, was die effektive Versorgung angeht, in erster Linie dadurch begründet wäre, dass Menschen, die zu uns als Ärzten kommen, Hilfe suchen, gerade diese nicht erhalten."

Doch bis zu einer effektiven Behandlung sei es danach noch ein langer Weg, der von verschiedenen Faktoren abhänge. Nur in den seltensten Fällen laufe im Prozess der Heilung alles richtig. Etwa, wenn ein Patient mit Depression ein Medikament bekommt. "Dann müssen wir dummerweise davon ausgehen, dass das erste Präparat bei nur etwas mehr als einem Drittel aller Fälle überhaupt wirkt, obwohl es das Richtige ist, weil das leider eine gewisse Breite von Depressionen gibt", so Walter. "Und auch das zweite Präparat schlägt dann nicht bei allen an, sodass wir sagen müssen, selbst nach zwei, drei Versuchen, wo wir bereits jetzt schon über zwei Monate Behandlungsdauer sprechen, können noch bis zur Hälfte der Patienten, obwohl sie korrekt diagnostiziert sind, obwohl sie korrekt behandelt werden, noch keinen Therapieerfolg vermelden."

Die Zahl sieben klingt immer sehr magisch, aber sie lenkt den Blick davon ab, dass es eben für unterschiedliche psychiatrische Diagnosen auch andere Fehlerquellen gibt.

Martin Walter Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Jena

Dazu kommen Abbrüche der Behandlung oder auch die falsche Einnahme von Medikamenten, aber auch unterschiedliche Ursachen der diversen Erkrankungen. "Bei dem einen ist das Stigma ausgeprägt, etwa bei der Alkoholerkrankung. Bei dem anderen ist die Therapieresistenz besonders ausgeprägt, das ist bei der Depression besonders schlimm. Beim dritten ist vielleicht die Psychotherapie sehr wirksam, aber ist leider mit sehr langen Wartezeiten verbunden." So erhalten nur zehn Prozent aller Menschen mit Depressionen einen angemessenen Therapieplatz, drei von vier Depressiven werden nicht rechtzeitig behandelt. Generell herrsche Verbesserungsbedarf.

Rolle der Politik: "Das Wissen, was vorliegt, auch wirklich einbeziehen"

Und dort komme, neben der Forschung und dem medizinischen und psychotherapeutischen Personal, die Politik ins Spiel. Aus Sicht des Sprechers des mitteldeutschen Standorts des Deutschen Zentrums für psychische Gesundheit seien die Handreichungen und Leitlinien von Seiten der Fachleute gegeben. "Das heißt, wenn die Politik sich mit diesem Thema befasst, dann hat sie die Möglichkeit, sehr gut verständliche, sehr gut belegte Empfehlungen nachzulesen, was man heute schon kurzfristig tun kann, auch mit Blick auf das verfügbare Geld."

Wir wissen, dass die absolute Summe an Geld, die in das Gesundheitssystem investiert wird, nicht besonders stark mit der Gesundheits- oder Versorgungsqualität korreliert.

Martin Walter

Auch sein kanadischer Kollege Daniel Vigo sieht das ähnlich, kritisiert dazu die Entscheidungsträger: "Politische Entscheidungen und die Zuweisung von Finanzmitteln sollten sich an Daten orientieren, und das war im Bereich der psychischen Gesundheit und des Substanzmissbrauchs nicht immer der Fall."

Junge Frau sitzt zu Hause und scrollt auf ihrem Handy.
Martin Walter vom UKJ rät bei der Suche nach einem Therapieplatz nicht aufzugeben und weiter zu suchen, dann seien die Wartezeiten nicht allzu lang. Bildrechte: IMAGO / HalfPoint Images

Letztendlich stehe auch eine gesellschaftliche Frage zur Diskussion, sagt Martin Walter: Das Ziel wird wahrscheinlich bei der psychischen Gesundheit – wie bei jeder anderen Erkrankung – nicht die hundertprozentige Beschwerdefreiheit sein, sondern eben auch eine ökonomische, aber bestmögliche Versorgung von möglichst vielen Patienten im Rahmen dessen, was wir in der Lage sind, als Gesellschaft zu leisten."

"Die Flinte nicht ins Korn werfen"

Für Betroffene, die einen Therapieplatz suchen, rät Walter vor allem zu einem: Geduld. Und zu einem Gespräch mit dem Hausarzt darüber, was bis dahin geschieht. "Man muss sich ein Stück weit darauf einstellen, dass wie in anderen Engpässen im Gesundheitssystem eben gewisse Wartezeiten bis zu einem halben Jahr, bis eine Behandlungsform verfügbar ist, bestehen. Und dass es nicht bedeutet, dass man deswegen die Flinte ins Korn wirft. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Hinweis, dass, wenn ich 30 Psychotherapeuten durchtelefoniert habe – so zynisch das klingen mag – es eben umso wichtiger ist, weiter zu telefonieren, bis ich jemanden gefunden habe."

Denn, so die Erfahrung des Psychiaters, "wenn man dranbleibt und lang genug telefoniert, findet man häufiger einen Therapieplatz, als die Patienten das zunächst erwarten".

Links

Die Studie von Vigo et al. ist in "JAMA Psychiatry" erschienen. Das Deutsche Zentrum für psychische Gesundheit informiert auf seiner Seite über viele Fragen rund um das Thema psychische Gesundheit aus Sicht der Forschung und Praxis.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | Sachsenspiegel | 21. Januar 2025 | 19:00 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/8a316af1-5718-4a76-ad20-92adb53c9d14 was not found on this server.

Mehr zum Thema