Pharmazie Muss weh tun, was wirkt? – Zu positiven Effekten von Nebenwirkungen
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26. August 2024, 05:00 Uhr
Eine Forschergruppe aus Hamburg hat festgestellt, dass Placebos mit Nebenwirkungen Schmerzen eher lindern können als solche ohne. Dies wirft Fragen für den Umgang mit Medikamenten auf.
Nebenwirkungen von Medikamenten sind oft unangenehm und führen dazu, dass Menschen die Mittel absetzen. Die ungewollten Effekte von Arzneimitteln könnten allerdings auch ein Potential bieten, wie eine Studie von Hamburger Wissenschaftlern um Lieven Schenk suggeriert. Die Forscher stellten dabei fest, dass Placebos einen größeren Effekt auslösten, wenn gegebene Mittel, die gegen Schmerz helfen sollten, allerdings eigentlich wirkungslos waren, unerwünschte Nebenwirkungen hatten. Eine Aufklärung darüber, dass ein Placebo verabreicht wurde, milderte den Effekt zwar ab, hatte aber trotz dessen bemerkenswerte Auswirkungen.
Wenn es brennt, dann hilft es
Die Hamburger untersuchten 77 Personen, denen sie vermeintlich das Opioid Fentanyl in einem Nasenspray verabreichten. Doch statt des Schmerzmittels erhielten alle Probanden opioidfreies Spray – eine Gruppe Kochsalzlösung, die andere eines mit einer geringen Dosis Capsaicin, was ein Brennen in der Nase hervorruft. Nach der Gabe des Mittels erhielten die Testpersonen leicht schmerzhafte Hitzereize auf der Haut. Die Menschen, die das mit Capsaicin versetzte Spray erhalten hatten, berichteten von weniger Schmerzen als jene, die die Kochsalzlösung erhielten.
Danach wurden einige der Probanden darüber aufgeklärt, dass sie ein Placebo erhielten. Bei den Aufgeklärten, die Capsaicin erhielten, konnte bei einer Wiederholung des Versuchs allerdings eine besondere Hirnaktivität festgestellt werden. So wurden in der Hirnrinde und in tieferen Regionen schmerzverarbeitende Bahnen aktiviert. Auch eine Woche nach der Aufklärung zeigte das Mittel mit Nebenwirkungen noch einen schmerzlindernden Effekt.
Weitreichende Konsequenzen?
Der Einfluss, den das Brennen in der Nase auf den Placeboeffekt hatte, wurde vom Glauben daran vermittelt, dass wirksame Behandlungsmethoden allgemein mehr Nebenwirkungen haben. Doch wie ist diese Erkenntnis in der Praxis nutzbar? Und hat sie noch weitere Folgen? Drei Wissenschaftlerinnen aus Essen haben sich der Studie von Schenken et al. angenommen und sie eingeordnet. Sie schlagen ähnlich wie ihre Kollegen aus Hamburg vor, Nebenwirkungen positiver anzunehmen und Patienten darauf hinzuweisen, dass diese Ausdruck davon sind, dass ein Medikament anschlägt. "Diese 'positive Einordnung' von Nebenwirkungen verringert nachweislich nicht nur die Belastung durch Nebenwirkungen, sondern verbessert auch die gewünschten Behandlungsergebnisse", sagen Katja Wiech und ihre Koautorinnen. Besonders wichtig sei dies, wenn die Nebenwirkungen deutlich vor dem eigentlich gewünschten Effekt eines Medikaments auftreten.
Nebenwirkung: Fluch oder Segen?
Darüber hinaus eröffne sich durch die Erkenntnisse von Schenk et al. auch eine neue Möglichkeit: Nebenwirkungen mit Absicht herbeizuführen, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu verstärken. Dies sei jedoch in Anbetracht der strengen ethischen Regeln von Wirksamkeitsstudien schwer in die Praxis umzusetzen. Zumal absichtliche Täuschung Patientenautonomie und das Verhältnis zwischen Behandler und Behandeltem gefährde. Ebenfalls weisen die Autorinnen auf mögliche Grenzen des Effekts hin. "Während leichte Nebenwirkungen mit der Annahme vereinbar sein können, dass sie auch auf eine gewünschte Wirkung auf den Körper hinweisen, ist dies bei schwerwiegenderen Nebenwirkungen, insbesondere solchen, die erhebliche Beschwerden verursachen, wahrscheinlich nicht der Fall", spekulieren die Forscherinnen.
Sie vermuten, dass sich ab einer gewissen wahrgenommenen Belastung durch die Nebenwirkungen die Wirksamkeit eines Medikaments nicht zunimmt und die Einnahmebereitschaft stark leidet. Bezogen auf das Experiment von Schenk et al. vermuten sie gar einen Noceboeffekt, also eine Abnahme der eingebildeten Wirksamkeit bei starken Nebeneffekten. "Ob (leichte und harmlose) Nebenwirkungen auch ein Segen sein können, wird davon abhängen, ob wir ihre Rolle im therapeutischen Prozess entschlüsseln können", fassen Wiech et al. zusammen.
jar
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | Nachrichten | 21. August 2024 | 15:30 Uhr
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