Grippewelle Warum gibt es aktuell so viele Atemwegserkrankungen?
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11. Februar 2025, 15:13 Uhr
Mitteldeutschland schnieft und hustet, aber auch im gesamten Bundesgebiet sind aktuell sehr viele Menschen von einer Atemwegserkrankung betroffen. Besonders auffällig sind die Fallzahlen bei den Kindern und Jugendlichen. Die sind so hoch wie seit sieben Jaren nicht mehr. Woran liegt das? Fachleute sehen die Gründe bei Impfrate, Nachholeffekten und dem Wetter. Insgesamt sei die Situation aber nicht ungewöhnlich.
Den Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge liegen die Fallzahlen bei den akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE) anhaltend hoch, Anfang Februar erreichten sie den bisherigen Spitzenwert von 9.500 Fällen pro 100.000 Einwohner. Vor allem die Grippe (Influenza A und B) verbreitet sich rasant, insbesondere bei Kindern auch die Erkrankungen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV). Nur die Covid-19-Infektionszahlen blieben weiterhin auf niedrigem Niveau.
Kinder: Fallzahlen so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr
Besonders außergewöhnlich ist dem RKI zufolge die Situation in der Gruppe der 5- bis 14-Jährigen, denn hier seien die Fallzahlen so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr. Und der Anstieg ist recht steil: Seit dem Jahreswechsel haben sich die Zahlen mehr als verdreifacht.
Überraschend kommt das jedoch nicht unbedingt. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hatte sich schon zu Beginn der aktuellen Grippesaison Ende vergangenen Jahres für eine großzügigere Impfung von Kindern ausgesprochen. Denn bereits ein halbes Jahr zuvor waren ähnlich hohe Fallzahlen in Australien zu beobachten, als dort Winter war.
Geringe Grippe-Impfraten bei Kindern
"Unser medizinisches Versorgungssystem erlebt derzeit eine massive Grippewelle mit Schwerpunkt auf Klein- und Schulkinder, parallel eine abgeschwächte RSV-Welle", bilanziert Markus Rose, Kinderlungenarzt & Infektiologe am Olgahospital im Klinikum Stuttgart – dem größten Krankenhaus für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Es sei seit Jahren bekannt, dass Kinder in den ersten fünf Lebensjahren nicht nur die Haupt-Krankheitslast für Influenza trügen, sondern auch die wichtigsten Überträger auf andere Altersgruppen seien. "Daher wird in vielen Ländern und auch seitens der Weltgesundheitsorganisation für alle Kinder dieser Altersgruppe eine Schutzimpfung gegen Influenza empfohlen." In Deutschland dagegen sei die Kinder-Grippeschutzimpfung dagegen ein Stiefkind, selbst unter chronisch Kranken seien die Durchimpfungsraten kritisch niedrig, so Rose.
Auch der Kinderlungenarzt verweist auf die Grippewelle auf der Südhalbkugel. Die dortige Grippewelle habe schon gezeigt, dass es vor allem Kinder treffen werde, so Rose. "Die aktuelle Grippewelle kursiert zwar in allen Altersgruppen, betrifft vor allem die unter Vierjährigen und die Schulkinder. Bei älteren Menschen zeigen die verhältnismäßig besseren Impfraten und die in den letzten Saisons verfügbare gut wirksame Senioren-Grippeimpfung erfreuliche Auswirkungen." Außerdem, erklärt Rose weiter, stimuliere ja grundsätzlich jeder Virusinfekt im Laufe des Lebens eine immer breitere und wirkungsvollere Infektionsabwehr. Die Grippeschutzimpfung schaffe die gleichen Effekte, ohne krank zu machen. Sie schütze aber auch nur vor der echten Grippe und nicht vor anderen Virusinfektionen.
Nachholeffekte der Corona-Pandemie
Kinderlungenarzt Rose sieht einen weiteren Grund für die hohen Fallzahlen auch in einem Nachholeffekt der Corona-Pandemie. Währenddessen hätten die Hygienemaßnahmen zwar die Sars-CoV-2-Ausbreitung eingedämmt, aber auch das normale Immuntraining gegen andere Erreger von Atemwegsinfektionen verhindert. "So treffen die jedes Jahr neu entstehenden Grippeviren auf empfängliche Menschen", so Rose.
Auch Johannes Liese, Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Immunologie am Universitätsklinikum Würzburg, teilt diese Hypothese. Kinder hätten während der Pandemie weniger Influenza-Immunität erwerben können, weil sie dem Virus schlichtweg weniger ausgesetzt gewesen seien. "Daher infizieren sich viele von denen, die bisher noch keinen Influenza-Kontakt hatten, jetzt im Schulalter und erkranken dann in diesem Alter mit schwereren typischen Grippesymptomen wie Fieber und Abgeschlagenheit und in schlimmen Fällen auch Manifestationen wie Lungenentzündungen. Hinzu kommt, dass Influenza unregelmäßiger zirkuliert. Jedes Jahr zirkulieren unterschiedliche Typen und die Immunität baut sich unterschiedlich auf", erläutert Liese.
Nicht zuletzt dürften aber auch äußere Bedingungen eine Rolle spielen, meint Kinder- und Jugendarzt Martin Terhardt. "Dazu zählen anhaltend kaltes Wetter mit mehr Infektionsgelegenheiten in Innenräumen mit größeren Personenzahlen ohne Infektionsschutz-Maßnahmen – zum Beispiel in Schulen – und heterogener Immunschutz durch frühere Influenza-Infektionen und fehlende Impfungen."
Auch RSV belastet Gesundheitssystem
In den Kinderkliniken nehmen die stationären Aufnahmen wegen Atemwegsinfektionen weiter zu, so die Mediziner. "Die Auslastungsgrenze ist aber noch nicht erreicht", bilanziert Liese. Es sei zwar eine aktive Wintersaison, aber noch nicht so akut wie im November 2022/23. "Damals waren die Kinderkliniken komplett überlastet, vor allem wegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV)", so Liese. "Sollten die RSV-Infektionen in den nächsten Wochen stark zunehmen, könnte es wieder zu einer Überlastung der Kliniken kommen." Danach sehe es aber noch nicht aus.
Auch sein Stuttgarter Kollege Rose betont, dass das Gesundheitssystem aktuell auch Kinder und Jugendliche mit RSV belasteten. "Mit Einführung der Säuglings-Passiv-Immunisierung gegen RSV im letzten Jahr ist zwar die diesjährige RSV-Welle erheblich milder ausgefallen, aber ungeimpfte Säuglinge und ältere Kinder erkranken logischerweise weiterhin." Für den kommenden Winter wünsche er sich deshalb, dass noch mehr Kinder gegen RSV geimpft würden.
Andernorts stellt sich die Influenza-Situation in den Kliniken dramatischer dar: "An der Kinder- und Jugendklinik Freiburg mussten vergangene Woche (KW 6) sechs Patient*innen intensivmedizinisch behandelt werden, das ist auch für unser Zentrum ungewöhnlich viel", sagte Roland Elling, pädiatrischer Infektiologe am Universitätsklinikum Freiburg. "Auch auf unseren Normalstationen sehen wir aktuell eine hohe Zahl an hospitalisierungspflichtigen Influenza-Infektionen. Auch der ambulante pädiatrische Sektor ist durch Influenza stark ausgelastet."
Infektionszahlen insgesamt nicht ungewöhnlich
Auch wenn die Fallzahlen aktuell sehr hoch sind, machen die Fachleute sich noch keine Sorgen. Insgesamt sei man noch auf einem Niveau, das nicht ungewöhnlich sei für diese Jahreszeit, sagt etwa Infektiologe Liese: "Wenn man sich die Daten zu akuten Atemwegsinfektionen anschaut, dann sieht man, dass diese insgesamt vergleichbar hoch sind wie in den letzten zwei bis drei Jahren. Bei den 5- bis 14-Jährigen ist eine etwas höhere Inzidenz als letztes Jahr zu beobachten, bei den anderen Altersgruppen ist es vergleichbar."
Eine abschließende kausale Bewertung der hohen Infektionszahlen bei Kindern sei aktuell ohnehin noch nicht möglich, bilanziert der Freiburger Elling. "Gerade bei Influenza ist die individuelle und populationsbezogene Immunitätslage ein komplexes Zusammenspiel aus der Zirkulation der aktuellen Influenzaviren und dem zugrundeliegenden Immungedächtnis", erklärte er. Jährliche Schwankungen in verschiedenen Altersgruppen seien nichts Ungewöhnliches.
Doch die Grippesaison ist noch nicht zu Ende. "Es lohnt sich noch, sich zeitnah gegen Grippe impfen zu lassen, wenn man bisher noch nicht geimpft war oder die Infektion nicht hatte" rät Liese. Kinder mit Grunderkrankungen sollten unbedingt geimpft werden. "Ansonsten steht es jedem frei, sein Kind impfen zu lassen. Die meisten Kinder- und Jugendärzte machen das und die meisten Krankenkassen übernehmen das auch", so der Mediziner.
(kie)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 06. Februar 2025 | 19:30 Uhr
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