Seitenansicht: Übergewichtiger Mann mit Brille und grauen Haaren sitzt auf Hocker, Faust an Kinn, nachdenklich
Abnehmspritzen können die Gehirnleistung nicht erhöhen – sondern eher reaktivieren. Bildrechte: imago/Indiapicture (Bilderweiterung: Firefly-KI)

Ernährungsmedizin Abnehmspritze erhöht Denkvermögen – so in etwa

18. August 2023, 09:12 Uhr

Um Abnehmspritzen, wie Wegovy und Ozempic, ist ein regelrechter Hype entstanden. Jetzt sagen Forschende: Sie erhöht sogar die Gehirnleistung – zumindest unter bestimmten Umständen. Ein Grund, zur Spritze zu greifen, ist das noch lange nicht. Außerdem gibt es etwas, das noch viel besser hilft.

Hype um Wegovy und Ozempic

Die Sache mit der Abnehmspritze ist ein absoluter Klassiker und fällt in die Kategorie des vermeintlich verheißungsvollen Segens: Ein Problem, mit dem sich die Menschheit lange genug herumschlagen musste, wird durch eine simple Lösung, sozusagen auf Knopfdruck, aus der Welt geschafft – als hätte das Ding Daniel Düsentrieb persönlich unter die Leute gebracht. Kein Wunder, dass die Abnehmspritze zuletzt in einer gegen Hypes nicht gerade immunen Nation wie den Vereinigten Staaten auch einen solchen ausgelöst hat. Und seitdem das verschreibungspflichtige Medikament in deutschen Apotheken zu haben ist, geht es hierzulande weiter – das besagen im Übrigen auch die Nutzendenzahlen bei MDR WISSEN zum Thema.

Wie so oft sind die vermeintlich einfachen Lösungen irgendwie auch ein großes Missverständnis: Die Abnehmspritze funktioniert nämlich nur bei Menschen, die tatsächlich unter Adipositas leiden, und nur für die ist sie auch zugelassen. Die Liste möglicher Nebenwirkungen ist lang und erfordert eine präzise Nutzen-Risiko-Abwägung. Der Hersteller ist sowieso nicht ganz unanrüchig. Und: Ohne begleitende Verhaltenstherapie nützt das teure Medikament niemanden, vor allem dann nicht, wenn es abgesetzt wurde.

Wegovy und Ozempic – Schluss mit der schlechten Stimmung!

Nach all der schlechten Stimmung um die Spritze, mit der die Pfunde purzeln sollen, gibt es auch überaus Interessantes zu berichten. Genauso, wie die Abnehmspritze das Körpergewicht reduziert, macht sie offenbar auch schlau. Noch ein Traum wird wahr – aber Sie wissen ja: Es ist kompliziert.

Es ist erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt.

Dr. Ruth Hanßen MPI für Stoffwechselforschung

Der Reihe nach: Übergewicht führt zu einer verminderten Insulinempfindlichkeit der Zellen. Forschende des Kölner Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung haben nun gezeigt, dass eine verminderte Insulinsensitivität der Zellen bei Übergewicht die Fähigkeit zum assoziativen Lernen herabsetzt. Assoziatives Lernen ist eine wichtige Sache, weil es unser Verhalten steuert – es ist das, was einen Reiz zu einer Konsequenz macht. Denken Sie an eine rote Ampel. Das rote Licht löst den Reiz aus, die Kreuzung oder Straße jetzt nicht passieren zu dürfen. Rotes Licht ist sowieso ein gutes Beispiel: Wenn das Herdplattenlämpchen leuchtet, ergibt sich daraus eine Konsequenz, die dringlicherweise "Bitte nicht anfassen!" lauten sollte.

Reize werden zu Wissen

Die Forschenden aus Köln sagen: Das assoziative Lernen ist die Grundlage für die Bildung neuronaler Verknüpfungen und verleiht Reizen eine motivierende Kraft. Es wird vom Mittelhirn gesteuert, einer Region, die viele Hormonrezeptoren hat, auch für Insulin. Die Frage ist nun, was mit dem Gehirn passiert, wenn die Insulin-Empfindlichkeit im Körper durch das Übergewicht herabgesetzt ist. Das Team hat dazu Probandinnen und Probanden untersucht, von denen 24 Adipositas und 30 ein normales Körpergewicht hatten. Die Forschenden stellten fest, dass die Fähigkeit, sensorische Reize miteinander zu verknüpfen, bei den Probandinnen und Probanden mit Adipositas geringer ausgeprägt war als bei Normalgewichtigen und dass die Hirnaktivität in den Hirnbereichen vermindert ist, die dieses Verhalten beeinflussen.

Einem Teil der Studienteilnehmenden wurde Liraglutid gespritzt. Das ist der Wirkstoff, der zum Beispiel im Abnehmedikament Ozempic zu finden ist, welches auf die Behandlung von Typ-2-Diabetes ausgerichtet ist. Jetzt wird's spannend: Bereits nach einmaliger Gabe von Liraglutid hätten die Probandinnen und Probanden mit Adipositas keine Beeinträchtigung der Gehirnaktivität mehr gezeigt. Somit hätte kein Unterschied zu Probandinnen und Probanden mit Normalgewicht und Adipositas mehr gesehen werden können – das Medikament versetzte das Gehirn wieder in den Zustand normalgewichtiger Personen.

Wegovy und Ozempic? Es gibt eine bessere Lösung!

Das Ergebnis ist also mit Vorsicht, aber auch ziemlich eindeutig zu interpretieren: Eine Abnehmspritze macht nicht schlau. Genauso wie sie das Sättigungsgefühl bei an Adipositas erkrankten Menschen normalisieren kann, normalisiert sie die Gehirnaktivität. "Während es erfreulich ist, dass die verfügbaren Medikamente einen positiven Einfluss auf die Hirnaktivität bei Adipositas haben, ist es aber erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas ohne sonstige Erkrankungen zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt", sagt Ruth Hanßen, Erstautorin der Studie und Ärztin an der Uniklinik Köln. "Die Prävention von Adipositas sollte in Zukunft eine viel größere Rolle in unserem Gesundheitssystem spielen. Die lebenslange Einnahme von Medikamenten ist die deutlich schlechtere Option, wenn wir durch Prävention Übergewicht und Folgeerkrankungen vermeiden könnten." Bilden, aufklären, Erkrankungen verhindern – damit dürfte klar sein, was nicht nur der vermeintliche, sondern der tatsächlich verheißungsvolle Segen ist. Und das auch noch verschreibungsfrei.

flo

Links/Studien

Die Studie Liraglutide restores impaired associative learning in people with obesity erschien am 17. August 2023 im Fachjournal Nature Metabolism.

DOI: 10.1038/s42255-023-00859-y

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