Disskussion an der Leopoldina Embryonenforschung: Warum Eizellen auf Eis liegen

20. März 2024, 11:14 Uhr

Wo fängt menschliches Lebens an und wie sieht ein respektvoller Umgang damit aus? Mit dieser Frage müssen sich Politik und Gesellschaft beschäftigen – erneut. Denn eine Debatte um die Forschung an menschlichen Embryonen steht wieder an. Wo wird's ethisch kompliziert – und warum sollte man überhaupt an frühem menschlichen Leben forschen?

3D-Illustration einer menschlichen Eizelle (Kugel mit welliger Oberfläche) und vielen kleinen Spermien (ovaler Kopf, kleines Schwänzchen), die darauf zusteuern.
Eigentlich ganz einfach: Spermium trifft auf Eizelle und macht Mensch. Oder ab wann sind wir wir? Bildrechte: imago images/Science Photo Library

Also wenn Mama und Papa ganz eng miteinander kuscheln, dann … Wie ein Techtelmechtel so abläuft, das haben wir irgendwann zwischen Klapperstorch im Vorschulalter und Sexualkundeunterricht in der Oberstufe verstanden. Letzterer hat nicht nur für ordentlich Tuschel-Hihihi auf den hinteren Bänken gesorgt, sondern auch den praktischen und wissenschaftlichen Background geliefert: Rein, raus, Samenzelle, Eizelle, Embryo, einnisten, wachsen, Kind. Man könnte annehmen, bei dieser drängenden Frage der Menschheit sei alles geklärt und wir wüssten Bescheid.

Mitnichten. Nicht mal die Forschung: "Die Einnistung der Eizelle in den Uterus ist nach wie vor nicht richtig verstanden." Bitte was? Aber ja, Jürgen Knoblich meint es ernst. Der Biochemiker und Stammzellenforscher ist wissenschaftlicher Leiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und sorgt sich angesichts der Art und Weise, wie die Menschheit Empfängnisverhütung betreibt – einfach weil sie noch nicht richtig verstanden hat, wie dieser entscheidende Prozess des Menschwerdens vonstattengeht. Verhütung, die passiert vor allem mit einer ordentlichen Ladung Hormonen und den bekannten Nebenwirkungen. Wenn wir mehr über diesen Einnistungsvorgang der befruchteten Eizelle wüssten, ja dann! Worauf warten wir?

Wie viel Mensch ist ein Zellhaufen?

So einfach ist das nicht, weil dazu die Forschung an menschlichen Embryonen notwendig wäre. Und das ist in Deutschland nicht möglich. Ein Embryo, das ist eine entwicklungsfähige, befruchtete Eizelle. Noch kein Mensch, aber mit den gleichen Rechten ausgestattet. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es im Grundgesetz. Fraglich nur, ob die Ansammlung an Zellen überhaupt schon ein Mensch ist. Hier müsse man klar unterscheiden, findet Horst Dreier. Der Rechtsphilosoph war einige Jahre Mitglied im Ethikrat und tastet sich an das Thema ganz nüchtern heran: "Frühes menschliches Leben ist noch kein unteilbares Individuum." Soll heißen: Aus der Ansammlung an Zellen könnte zwar ein Individuum werden, aber auch zwei (Zwillinge), oder drei (Drillinge), oder … na, Sie wissen schon. Zudem stelle sich die Frage, wie sich so ein nullkommaeins Millimeter großer Zellverband demütigen oder verachten lasse, so dass seine Würde angetastet wäre.

Embryonenforschung oder Stammzellenforschung?

Forschung an befruchteten menschlichen Eizellen – Embryonen – ist in Deutschland derzeit verboten. Unter gewissen Umständen darf jedoch an embryonalen Stammzellen geforscht werden, die unter strengen Auflagen importiert werden dürfen. Für embryonale Stammzellen gibt es mit künstlich erzeugten iPS-Zellen bereits eine Alternative. Die sind jedoch weniger stabil als embryonale Stammzellen und enthalten ein entschlüsselbares Genom.

Wie gesagt, das ist die sachliche Seite. Aber Ethik ist vor allem eine menschgemachte Perspektive. Und eine ethische und irgendwie auch wissenschaftliche Antwort zu finden, ab wann ein Mensch ein Mensch ist, also einfach ist das nicht. Auch Martin Hein saß im Deutschen Ethikrat und hat nicht nur als Theologe gearbeitet, sondern war bis 2019 Bischof der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck. Er probiert es so: "Die Eizelle entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch." Das sei ein wichtiger Unterschied, der beschreiben würde, dass die Veranlagung, ein Mensch zu sein, von Anfang an gegeben sei. Forschung an dieser Eizelle mit Mensch-Veranlagung schließe das allerdings nicht automatisch aus, auch wenn er das vor zwanzig Jahren noch anders gesehen hat. Unter gewissen Richtlinien sei auch in Deutschland eine Embryonenforschung denkbar, das kann sich Hein mittlerweile durchaus vorstellen.

Eizellen-Spenden für die Forschung

Wenn hierzulande diskutiert wird, ob Embryonen zu Forschungszwecken eingesetzt werden dürfen, dann geht es weniger darum, Embryonen zu züchten, um daran Experimente durchzuführen. Sondern um Embryonen, die ohnehin schon existieren: Bei einer künstlichen Befruchtung bleiben aus verschiedenen Gründen befruchtete Eizellen übrig. Die werden eingefroren – und bleiben das auch, wenn der Kinderwunsch erfüllt werden konnte. Jürgen Knoblich weiß aus seinem Umfeld, wie die Realität aussieht: Irgendwann müssen sich Paare die Frage stellen, ob sie weiterhin die Rechnung für die Lagerung der Embryos bezahlen möchten oder die Embryos verworfen werden – so der vorsichtige wissenschaftliche Ausdruck, wenn man die befruchtete Eizelle sterben lässt. Und so das eigentliche ethische Dilemma, in dem sich unsere Gesellschaft derzeit befindet.

In-vitro-Fertilisation: Mikroskophansicht von oben mit spitzen Kanüle, die in einen Bereich mit vielen runden Blasen oder Kugeln einsticht
In vielen Ländern gängig Praxis: In-vitro-Fertilisation. Also künstliche Befruchtung einer Eizelle im Labor. Bildrechte: imago images/nevodka

Da scheint es ein durchaus sinnvoller Vorschlag zu sein, diese Embryonen für die Forschung einzusetzen. Und damit nicht nur biologische Vorgänge zu verstehen, die zu eleganteren Verhütungsmethoden führen mögen, sondern auch Krankheiten, die auf Grund von Vorgängen in der frühen Schwangerschaft entstehen. Bei einer ethischen Diskussion wie eben dieser geht es aber nicht nur um die nüchterne Logik, sondern halt um die – Ethik. Kerstin Schlögl-Flierl sitzt seit 2020 im Deutschen Ethikrat und hat außerdem den Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Augsburg inne. "Nur weil die Embryonen da sind, dienen sie nicht automatisch zu Forschungszwecken." Für sie ist klar, dass zunächst alle anderen Wege ausgeschöpft werden müssen, was mit den Waisenembryos passieren könnte. Dazu zählt für sie, Möglichkeiten zu finden, wie die Zahl überschüssiger befruchteter Eizellen generell reduziert werden könnte. Und die, die bleiben, zur Adoption freizugeben.

Adoption von Embryos: Plausibel, aber nicht ausreichend

Ein plausibles Konzept, Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen, bei denen andere Wege bisher nicht zum Erfolg geführt haben. Und ein Konzept, das bekannter werden solle, das wünscht sich Kerstin Schlögl-Flierl. Allerdings: "Adoption ist zahlenmäßig keine Alternative", so die Einschätzung von Rechtsphilosoph Horst Dreier. Die Nachfrage nach so vielen Embryonen sei gar nicht da. Und andere vernünftige Alternativen gebe es nicht. Ein recht fragwürdiges Unterfangen sei zudem die Doppelmoral, mit der in Deutschland die Embryonenforschung diskutiert werde. "Wir profitieren als Trittbrettfahrende von anderen Staaten." Denn während in Deutschland die Forschung an befruchteten Eizellen untersagt ist, gebe es wenig Bedenken, die Früchte der Forschung zu importieren.

Diese Diskrepanz stößt auch Stammzellenforscher Jürgen Knoblich auf, zum Beispiel bei der Entwicklung einer besseren Empfängnisverhütung. Andere Länder würden die Forschung weitertreiben und wir schlussendlich diese Forschungsergebnisse verwenden. Das sei ethisch deutlich problematischer.

Die Mammutaufgabe, die es auf diesem Gebiet zu bewältigen gibt, sind also gleich zwei Mammutaufgäbchen: Einen Konsens zu finden, mit dem ein Großteil der Gesellschaft aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gut leben kann. Und den Anschluss bei internationalen Forschungsaufgaben nicht zu verlieren. Dem wird sich auch die neue Bundesregierung widmen müssen, das hoffen zumindest die hier genannten Akteur*innen.

Hochrangige Forschungsziele unabhängig prüfen

Und auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hofft das und verweist auf Umfragen in vielen Ländern, die bescheinigen, dass Eltern mit abgeschlossener Familienplanung durchaus bereit sind, überschüssige Embryonen für hochrangige Forschungsziele zu spenden. Freiwilligkeit, das ist die eine Grundvoraussetzung, eh klar. Aber auch ohne Prüfung der Forschungsrelevanz geht es nicht. Die Leopoldina versteht unter hochrangigen Forschungszielen Grundlagenforschung und Erkenntnisgewinn zur Erweiterung medizinischer Kenntnisse. Forschungsprojekte müssten sich so etwa der Prüfung durch eine Bundesbehörde in Zusammenarbeit mit einer Ethikkommission unterziehen, ob die Kriterien erfüllt sind, mit befruchteten Eizellen zu arbeiten.

Diskutieren, Richtlinien schaffen, Gesetze umschreiben, eine Behörde aufbauen – freilich, von heute auf morgen wird das nicht passieren, aber vielleicht auf übermorgen. Der Wind in den Segeln ist da, gleichwohl der nötige Respekt vor Sache und Mensch. Und die gesellschaftliche Debatte inzwischen eine andere als vor zwanzig Jahren.


Die genannten Akteur*innen waren Teil eines Podiums der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften. Die Diskussion ist demnächst auf dem Youtube-Kanal der Akademie abrufbar.

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