Corona-Schnelltest 3 min
Bildrechte: IMAGO/Pond5 Images

Interview "Die Evolution von Corona ist wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen"

21. März 2024, 16:03 Uhr

Die erste Erkältungs- und Grippesaison nach dem offiziellen Ende der Pandemie ist beendet. Kliniken waren nicht überlastet und Corona- und Grippetodeszahlen begrenzt. War das nun der endemische Zustand mit Sars-Cov-2?

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Am 5. Mai 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den gesundheitlichen Notstand in Bezug auf Corona aufgehoben. Doch das Virus ist natürlich geblieben und hat auch im vergangenen Herbst und Winter wieder viele Menschen angesteckt. Wie ist sie gelaufen, die erste Erkältungs- und Grippesaison nach dem offiziellen Ende der Pandemie? Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie bei Helmholtz München und zieht für MDR WISSEN Bilanz.

Schauen wir auf die aktuell laufende Saison für Erkältungen, Grippe und andere Atemwegserreger: Wenn man die Zahlen mit Jahren vor der Pandemie vergleicht, kann man den Eindruck gewinnen, wir haben eine relativ normale Saison. Stimmt das?

Der Verlauf ist von der Verteilung her relativ gewöhnlich. Seit Herbst haben wir wieder die klassischen Atemwegserreger, die wir immer schon hatten, und da kommt jetzt auch das neue Coronavirus Sars-CoV-2 dazu. Um den Jahreswechsel kommen dann vermehrt auch RSV-Infektionen und die Influenzawelle.

Das ist eine bekannte Saisonalität, dass Influenza im späten Dezember anfängt und dann im Januar und Februar dominiert. Entspricht das den Beobachtungen vor der Pandemie?

Professorin Ulrike Protzer, TU München
Die Virologin Ulrike Protzer. Bildrechte: IMAGO/Sachelle Babbar

Also, von der Verteilung der Erreger her sind wir wieder da, wo wir vor der Pandemie waren. Wenn man die Zahl der Fälle betrachtet, ist die schon höher als vor der Pandemie. Das betrifft sowohl die einfachen Erkältungskrankheiten als auch die Infektionen, die grippeähnliche Symptome hervorrufen (Influenza-Like Infekte, ILI). Das sind Erkrankungen mit Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und weiteren Symptomen, die den ganzen Körper betreffen können. Es ist aber verständlich, dass die Zahlen höher sind, weil es jetzt eben einen Erreger mehr gibt, der zirkuliert, das ist das SARS-Coronavirus.

Beeinflusst Corona das gewöhnliche Ansteckungsgeschehen, gibt es eine Wechselwirkung mit anderen Erregern? Oder kommt Corona einfach "on-top" zu den anderen Infektionen?

Meine Interpretation der Daten ist, dass es on-top kommt. Es ist zwar möglich, dass dieses Coronavirus die Empfänglichkeit gegenüber anderen Viren beeinflusst, aber da schützt es eher. Wir wissen, dass es eine sehr starke sogenannte angeborene Immunantwort auslösen kann. Diese kann vor anderen Erregern schützen. Aber das ist nur ein Effekt, der relativ kurz während der akuten Infektion anhält.

Bei Corona haben wir gesehen, dass die Zahl der Ansteckungen bereits im August gestiegen ist und es eine Zunahme bis kurz vor Weihnachten gab. Seit dem Jahreswechsel sind die Neuansteckungen stark rückläufig. Kann man daran schon eine Art saisonales Muster für Sars-CoV-2 ablesen?

Das ist noch ein wenig spekulativ. Es ist die erste Saison, wo eine solche Saisonalität relativ gut erkennbar ist, nämlich vom Herbst bis hin zum Jahreswechsel. Das war in den Jahren vorher noch nicht so eingespielt. Ich nehme aber an, dass es jetzt in den kommenden Jahren so weitergeht.

Es gibt ja inzwischen einige Erkenntnisse darüber, dass die Immunität im Durchschnitt nach einer Infektion oder einer neuen Impfung etwa für ein halbes Jahr anhält und danach langsam nachlässt. Man kann auch die Mutationsrate des Virus beobachten, das in regelmäßigen Abständen neue Subtypen hervorbringt, die der Immunantwort wieder ein Stück weit ausweichen können. Nehmen Sie an, dass sich auch diese Muster fortsetzen?

Für die schon länger bekannten saisonalen Coronaviren ist die Entwicklung der Immunität gut untersucht. Und da sieht man ein ganz klares Bild: Die Immunität hält ein oder zwei Jahre an. Das führt immer dazu, dass die Viren leichter übertragen werden können, wenn die Tage im Herbst kürzer werden. Dann können sie einfacher überleben, weil weniger UV-Licht da ist. Und dann kommt es zu einer neuen Welle, bei der neue Immunität entsteht, die dann wieder für ein beziehungsweise zwei Jahre hält. Neue Varianten entstehen vor allem bei solchen neuen Wellen. Denn wenn sich das Virus stark ausbreitet, steigen auch die Chancen, dass es zu Mutationen kommt. Welche Varianten entstehen, kann man aber nicht vorhersagen.

Bedeutet das, dass Corona ein harmloses Erkältungsvirus wird?

Bisher ist es das nicht. Wissenschaftlich unterscheiden wir zwischen akuten Atemwegserregern, die Husten, Schnupfen oder Heiserkeit machen und solchen Erregern, bei denen eine Infektion zu grippeähnlichen Symptomen führt. Da liegt man mit Gelenkschmerzen und Fieber im Bett oder hat sogar die Gefahr, eine Lungenentzündung zu entwickeln oder den Herzmuskel zu schädigen. Diese Gefahr geht nicht von allen Viren aus, aber von der Influenza und eben auch vom SARS-Coronavirus-2. Denn diese Erreger beschränken sich nicht auf die Atemwege, sondern können den ganzen Körper befallen und auch Organe angreifen.

Corona war bereits kurz nach seinem Auftauchen in der Menschheit extrem ansteckend und ist dann immer noch ansteckender geworden. Wird diese Evolution weitergehen?

Man könnte das vergleichen mit dem Influenzavirus, das hat – so meine Interpretation – die maximale Ansteckungsfähigkeit erreicht. Ob man sich da ansteckt, hängt dann immer davon ab, ob man bereits eine Immunität gegen den momentan zirkulierenden Influenzavirus-Strang hat. Beim SARS-Coronavirus-2 haben die meisten Menschen inzwischen eine Immunität aufgebaut. Aber das Virus ist trotzdem noch dabei, immer ansteckender zu werden. Es bindet immer besser an den ACE-2-Rezeptor, also das Molekül, das dem Virus die Aufnahme in die Zelle ermöglicht. Daneben gibt es weitere Faktoren, die die Übertragbarkeit verbessern, das sind vor allem die Mutationen, die Corona ermöglichen, der Immunantwort auszuweichen. Das ist ein evolutionärer Prozess, der nun gerade mal drei Jahre läuft und daher wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen ist.

Kann man sagen, wie groß das Potenzial von Corona noch ist? Bisher haben sich ja alle Vorhersagen hier als falsch erwiesen, dass ein Maximum der Ansteckungsfähigkeit erreicht wurde.

Da muss man ehrlich sein: Auch als Virologen können wir die Evolution nicht vorhersagen. Das wird durch so viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst, dass selbst Berechnungen mit künstlicher Intelligenz es bisher nicht geschafft haben, korrekte Aussagen zu treffen. Ich persönlich gehe davon aus, dass das Virus sich noch weiter anpassen kann. Aber irgendwann erreicht es natürlich ein Level, wo es weitestgehend optimiert ist. Aber wann das genau sein wird, das weiß ich nicht.

Das massenhafte Testen von Infizierten ist ja inzwischen stark zurückgefahren worden. Stattdessen gibt es aber flächendeckende Untersuchungen des Abwassers. Reicht das zur Überwachung des Infektionsgeschehens aus oder sehen Sie eine Gefahr, dass blinde Flecken entstehen, wo es dann zum Beispiel zu überraschenden, neuen Ansteckungen kommen kann?

Als Virologen unterstützen wir das Abwassermonitoring sehr stark. Es erlaubt uns ein Monitoring, das unabhängig ist davon, ob sich Menschen gerade testen. Man kann daran gut sehen, wie häufig bestimmte Viren gerade wo vorkommen. Aktuell machen wir das für das SARS-Coronavirus-2, aber natürlich geht das auch für andere Viren und übrigens auch für antibiotikaresistente Bakterien.

Solle man die Abwasserüberwachung ausdehnen, etwa auf RSV, Influenza und antibiotikaresistente Keime?

Grundsätzlich gibt es ja zwei Möglichkeiten, zu erfassen, welche Viren gerade unterwegs sind. Das eine ist ein engmaschiges Abwassermonitoring. Das lässt sich leicht über ganz Deutschland ausbreiten, ist aber nicht sehr sensitiv. Da sind ja tausende Liter Abwasser, da kann man leicht mal einen Erreger übersehen, der nicht ganz so stark vermehrt wird, wie SARS-CoV-2. Alternativ kann man auch in den großen Krankenhäusern erfassen: Welche Patienten kommen gerade mit welchen Infektionen an. Das erfasst die Infektionslage nicht ganz so flächendeckend. Dafür kann man aber fast alle Erreger erfassen und weiß auch, welche davon so krank machen, dass Menschen ins Krankenhaus müssen.

Berrichtigung In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, die WHO habe die Corona-Pandemie für beendet erklärt. Richtig ist, dass sie den gesundheitlichen Notstand in Bezug auf Corona beendet hat. Die Pandemie halte weiterhin an, heißt es in der Mitteilung, nur der Gesundheitsnotstand sei vorerst vorbei.

Mehr zum Thema

Ein Bär steht auf einem felsigen Boden in einer Waldlandschaft. 52 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Frau mit Maske 44 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK