Klimawandel Luftverschmutzung kühlt die Erde ab – und das ist erstmal okay so
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28. September 2022, 15:00 Uhr
Während wir versuchen, die Erderwärmung zurückzuschrauben, spielt uns ausgerechnet verschmutzte Luft in die Karten: Sie kühlt die Erde ab, 2019 um ein halbes Grad. Das haben u.a. Forschende der Universität Leipzig herausgefunden. Die Gründe für das Phänomen sind aber durchaus plausibel – und Luftverpestung trotzdem keine gute Idee.
Als das Leben noch eines in Saus und Braus war, hat sich im gutbürgerlichen Alltag niemand mit Treibhausgasen beschäftigt. Wenn überhaupt, hieß das Unwort damals Luftverpestung – das Naserümpfen war eher auf den Gestank als auf eine sich anbahnende Klimakatastrophe zurückzuführen. Man denke an motorisierte Vehikel ohne Katalysator und an schlaksige Schlote mit dickem Rauch-Krönchen oben drauf. Von Luftverpestung im ursprünglichen Sinne ist kaum noch die Rede, was einen einfachen Grund haben mag: Sie ist nicht mehr ganz so das Problem.
Das legen aktuelle Daten einer internationalen Forschungsgruppe nahe, unter Federführung des Instituts für Meteorologie an der Universität Leipzig. Johannes Quaas und seinem Team ist nicht nur aufgefallen, dass es weniger rauchende Schlote gibt, sondern dass die Luft seit der Jahrtausendwende auch messbar deutlich besser geworden ist. "Wir haben die Daten der NASA-Satelliten Terra und Aqua analysiert. Sie liefern seit dem Jahr 2000 umfassende Satellitenbeobachtungen der Erde und messen die ein- und ausgehende Strahlung, Wolkenbildung sowie die Aerosol-Belastung", so Quaas. "Diese nahm über Nordamerika, Europa und Ostasien seit 2000 deutlich ab."
Aerosole wirken wie Sonnencreme
Die Daten bestätigen also so ein Gefühl, das man ohnehin schon hatte - und eins, das man so noch gar nicht hatte. Die Forschenden zeigen, dass die verbliebenen Aerosole in der Luft unsere Erde nicht erhitzen, sondern abkühlen. Das mag eine eigentümliche Erkenntnis sein, ist aber nachvollziehbar: Bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe werden Aerosole in Form von Schadstoffpartikeln wie Ruß oder Schwefelsäure freigesetzt. Aerosole kennt man spätestens seit der Covid-19-Pandemie – also die Verteilung wirklich feinster fester oder flüssiger Stoffe in in einem Gas oder Gasgemisch (unserer Luft). Diese Partikel funktionieren im Grunde wie eine mineralische Sonnencreme aus dem Bioladen: Sie reflektieren das Sonnenlicht bis zu einem gewissen Grad und sorgen dafür, dass mehr Licht an den Wolken abprallt.
Diesen Effekt, bei dem sich die Klimakatze durchaus in den Schwanz zu beißen scheint, kann man messen: 2019 wurde die Temperatur um ein halbes Grad reduziert, allein durch die Schwebstoffe in der Luft. Bei einem derzeitigen Anstieg der globalen Temperatur um 1,1 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit und einem 1,5-Grad-Ziel im Pariser Klimaabkommen scheint dieses halbe Grad essentiell zu sein, damit die Welt nicht sofort untergeht. Ganz so einfach kann man sich das dann doch nicht an zehn Fingern abzählen, denn Johannes Quaas gibt gegenüber MDR WISSEN Entwarnung: "Die 0,5 Grad sind der gesamte Einfluss der Luftverschmutzung gegenüber einer Welt um 1750, in der es praktisch keine Aerosole gab. Auch wenn wir seit einigen Jahrzehnten jetzt weniger Aerosole haben, sind es immer noch viel mehr als vorindustriell, ein guter Teil der Abkühlung findet also nach wie vor statt."
Ohne die Verbesserung der Luftqualität seit dem Jahr 2000 wäre es rein rechnerisch 2019 um 0,1 Grad kühler gewesen. "Aber dazu kommt, dass es ja gerade über Europa wesentlich verschmutzter war, und dass der Effekt im Sommer, wenn viel Sonne scheint, besonders groß ist."
Klar ist, Luftverschmutzung ist gefährlich für Mensch und Natur. Es führt also kein Weg an besserer Luftqualität vorbei.
Und wie die Sonne geschienen hat, 2019! Also: In heißen Sommern tüchtig Ruß produzieren, Herr Quaas? "Klar ist, ich möchte nicht für mehr Luftverschmutzung eintreten. Aber bei verschmutzter Luft ist gerade im Sommer bei starker Sonnenstrahlung ein deutlich kühlender Effekt zu erwarten." Was nach einem ordentlichen Dilemma im Umwelt- und Klimaschutz aussieht, ist aber vielleicht gar keines. Wir werden uns nicht von heute auf morgen sämtlicher Aerosole aus der Atmosphäre entledigen können, ein sprunghafter Temperaturanstieg – also noch sprunghafter als ohnehin schon – ist demnach nicht zu erwarten. "Noch sind nach unseren Schätzungen mindestens drei Viertel der Effekte durch die Luftverschmutzung vorhanden", erklärt Johannes Quaas. Diese würden nochmal 0,4 Grad Erwärmung kompensieren. "Allerdings ist auch zu beachten, dass bei besserer Luftqualität voraussichtlich auch die Belastung mit Ozon und Methan zurückgeht. Diese Treibhausgase erwärmen den Planeten, so dass ein Rückgang die Erwärmung durch die Luftverschmutzung mit Partikeln teilweise aufhebt."
Noch schneller handeln
Für Quaas und Team ist die Devise nicht, im Klimaschutz mal ganz entspannt Fünfe gerade sein zu lassen. Die Erkenntnisse sind vielmehr als Alarmsignal zu verstehen: "Klar ist, Luftverschmutzung ist gefährlich für Mensch und Natur." Stichwort: saurer Regen. "Es führt also kein Weg an besserer Luftqualität vorbei. Um diese zu erwartende Erwärmung auszugleichen, müssen wir sehr schnell die CO2-Emissionen reduzieren und auch die Emissionen insbesondere von Methan zurückfahren."
Die seit den 1970er Jahren stetig strengeren Rechtsvorschriften zur Verbesserung der Luftqualität seien nur folgerichtig. Und sie sind mitunter auch der Grund, warum wir heute "nur noch" von Treibhausgasen sprechen – und eben nicht mehr von Luftverpestung. Ach ja: Bei neuen Benzinern wurde der Katalysator im Übrigen erst 1993 EU-weit zur Pflicht.
Link zur Studie
Die Studie Robust evidence for reversal of the trend in aerosol effective climate forcing erschien im September 2022 im Fachjournal Atmospheric Chemistry and Physics.
DOI: 10.5194/acp-22-12221-2022
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