Erhitzte Gemüter Extreme Temperaturen befeuern Hass im Netz
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08. September 2022, 05:00 Uhr
Ein Forscherteam hat auf der Social-Media-Plattform Twitter Hassbotschaften aus mehr als vier Milliarden Tweets herausgefiltert und mit Wetterdaten verglichen. Das Ergebnis: Wenn Menschen sich außerhalb einer "klimatischen Komfortzone" befinden und mit extremerem Wetter konfrontiert sind, steigt auch die Zahl der Hasspostings. Die Wissenschaftler gehen davon aus, der der Klimawandel sich stark auf Hass im Netz und somit auch auf unsere Psyche auswirken wird.
Annika Stechemesser vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist die Erstautorin der aktuellen Studie zum Thema Hatespeech. Sie erklärt, man sehe, dass außerhalb des "Wohlfühlfensters" von 12 bis 21 Grad Celsius der Hass im Netz zunehme. Sinke die Außentemperatur unter 12 Grad, sei mit 12 Prozent mehr Hasspostings zu rechnen – steige sie dagegen auf über 21 Grad, nehme der Hass um 22 Prozent zu. Diese Aussagen gelten erst einmal lediglich für die USA, weil Stechemesser und ihr Team ausschließlich Daten von US-Nutzern in ihrer Analyse erfassten.
Datensatz mit US-Twitterusern
Grundlage der aktuellen Studie ist ein Datensatz mit mehr als vier Milliarden Tweets, die zwischen 2014 und 2020 auf Twitter in den USA gepostet wurden. Mittels maschinellem Lernen identifizierten die Forschenden aus diesem Datensatz 75 Millionen Tweets, die auf Englisch verfasst waren und verglichen sie jeweils mit den erfassten lokalen Temperaturen.
Hassrede Für die aktuelle Studie "Temperature impacts on hate speech online: evidence from four billion tweets" wurde die offizielle Definition der Vereinten Nationen für Hassrede verwendet. Diese umfasst diskriminierende Sprache mit Bezug auf eine Person oder eine Gruppe aufgrund ihrer Religion, Ethnizität, Nationalität, Rasse, Hautfarbe, Abstammung, ihres Geschlechts oder anderer Identitätsfaktoren
Es gibt einen Temperaturbereich für freundliche Tweets
So wie das Wetter Hass im Netz offenbar befeuern kann, kann es diesen aber auch mildern: Die Forschenden fanden heraus, dass dies bei Temperaturen zwischen 15 und 18 Grad Celsius geschieht. Bei diesen Temperaturen wurde ein auffällig niedriges Hass-Niveau erreicht. Dieses "Wohlfühlfenster" variiert ein wenig, je nachdem welche Temperaturen in der entsprechenden Klimazone üblich sind. Die eingängige Erkenntnis des Forscherteams um Annika Stechemesser ist aber dennoch: Wenn es heißer als 30 Grad Celsius wird, ist in allen Klimazonen eine starke Zunahme von Online-Hass zu beobachten.
Wir können uns nicht unbegrenzt an Hitze anpassen
Für Anders Levermann, Co-Autor der Studie ist das ein wichtiges Indiz dafür, dass wir uns an sehr hohe Temperaturen nicht unbegrenzt anpassen können. "Selbst in einkommensstarken Gebieten, in denen Menschen Klimaanlagen und andere Optionen zur Abmilderung der Hitze besitzen, beobachten wir eine Zunahme von Hassrede an extrem heißen Tagen." Das bedeute, es gäbe eine klare Grenze dessen, was Menschen ertragen können. Diese Grenze sei womöglich schon deutlich früher überschritten, als sich körperliche Beschwerden bemerkbar machen.
Klimawandel und psychische Gesundheit hängen zusammen
Die aktuellen Befunde legen auch einen Rückschluss nahe, der erst auf den zweiten Blick auffällt: Wie heiß es draußen ist, beeinflusst unsere Psyche in größerem Ausmaß. Hassposts im Netz können zudem negative Auswirkungen auf die Psyche der Opfer haben und sind mitunter auch Vorboten von Hassverbrechen in der "echten" Welt. Wenn sich die Durchschnittstemperaturen in den kommenden Jahren wegen des Klimawandels erhöhen, könnte das dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schaden, befürchtet das Forscherteam. Der Schutz unseres Klimas sei auch für unsere psychische Gesundheit entscheidend.
Links/Studien
Die Studie "Temperature impacts on hate speech online" ist im Journal The Lancet erschienen und hier zum Nachlesen verfügbar.
iz