Klimawandel Klimabilanz: Ist Flüssiggas wirklich schädlicher als Steinkohle?

24. November 2023, 08:38 Uhr

Deutschland investiert in den Ausbau von LNG-Infrastruktur. Eine Studie kommt nun zu dem Ergebnis, dass Flüssiggas aus den USA noch schädlicher fürs Klima ist als Kohle. Schuld daran: Das Treibhaus Gas Methan. Aber kann man das überhaupt vergleichen?

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs wird viel über Liquefied Natural Gas (kurz LNG) diskutiert. Das Flüssiggas kommt hauptsächlich per Schiff aus den USA. Es soll neben dem Gas aus Norwegen die russischen Gaslieferungen ersetzen, die zuvor per Pipeline nach Deutschland kamen. Unter anderem der lange Transport von LNG führe dazu, dass das Flüssiggas sogar eine schlechtere Klimabilanz habe als Kohle – zumindest, wenn man einer aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichung glaubt. Nach der Studie ist Verstromung von Flüssiggas bis zu 274 Prozent schädlicher als Kohle. Zuerst hatte die Neue Osnabrücker Zeitung über das Papier berichtet.

In Deutschland wird auf Gas als "Brückentechnologie" gesetzt. Als fossiler Energieträger entsteht bei seiner Verbrennung Treibhausgase. Trotzdem galt Gas bisher als deutlich effizienter und weniger dreckiger als Kohle. Erdgas sollte deshalb den Weg in eine Zukunft ohne fossile Energieträger bereiten.

Hauptproblem: Beim LNG-Transport wird unabsichtlich Methan freigesetzt

Die neue US-Studie des Methan-Forschers Robert W. Howarth von der Cornell University stellt das infrage. Sie argumentiert, dass Methanverluste an verschiedenen Stellen der Lieferkette dazu führen, dass die Emissionen von aus den USA importiertem LNG um "mindestens 24 Prozent höher" sind als, wenn Steinkohle zu Strom verfeuert wird. Bisher ist die Studie von Howarth ein Preprint, das heißt, sie wurde bisher nicht von anderen Forschenden bewertet.

Methan ist ein besonders klimaschädliches Treibhausgas. Wie schädlich, kommt darauf an, welchen Zeitraum man betrachtet. Für einen Zeithorizont von 100 Jahren wirkt es rund 28-mal stärker als CO2, betrachtet man nur 20 Jahre ist es sogar 80-mal schädlicher. Sowohl beim Fracking, bei der Reinigung, der Verflüssigung als auch beim Transport von Erdgas tritt laut der Studie Methan aus. Am meisten Methan geht demnach bei Transport von alten, dampfbetriebenen Tankern verloren.

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Bildrechte: MDR / Oliver Betke

Gas wird in Deutschland vor allem zum Heizen in Haushalten und Betrieben eingesetzt

Einiges deutet aber darauf hin, dass man die Studie so nicht stehen lassen kann. Zum einen ließe sich Gas in Deutschland nur in einem sehr begrenzten Rahmen durch Kohle ersetzen. Um das zu verstehen, muss man sich anschauen, wofür Flüssiggas in Deutschland eingesetzt wird. "Man kann gar nicht unterscheiden, für welche Anwendungen Pipelinegas oder LNG aus den USA eingesetzt wird", erklärt Daniel Münter. Er ist Energieexperte am Institut für Energie- und Umweltforschung, Heidberg (ifeu). Das Flüssiggas komme per Schiff an verschiedenen Orten in Europa an und werde dann ins Erdgasnetz eingespeist.

In Deutschland wird dann rund 40 Prozent des Gases fürs Heizen in Haushalten und Gewerbeflächen genutzt. Ein großer Teil des Erdgases geht an die Industrie, wo beispielsweise für chemische Prozesse sehr hohe Temperaturen notwendig sind. Rund fünf Prozent des Gases werden als Rohstoff genutzt, beispielsweise zur Herstellung von Plastik. In all diesen Anwendungsfeldern lässt sich Gas nicht ohne Weiteres durch Kohle ersetzen.

Gasnutzung lässt sich nicht durch Kohle ersetzen

Zusätzlich entstanden 2022 14,1 Prozent des deutschen Stroms aus Gas. Das ist ein eher kleiner Anteil. "Es macht darum, wenig Sinn, die Emissionen zu vergleichen", argumentiert Experte Daniel Münter. Der Grund für den Import von Flüssiggas sei schließlich nicht die Stromerzeugung, sondern vor allem der Wärmebereich.

Auch das Gas in der Stromerzeugung durch Kohle zu ersetzen, ergebe wenig Sinn. Kohleverstromung sei ineffizienter und klimaschädlicher. Hinzu kommt: Kohlekraftwerke sind wesentlich weniger flexibel als Gaskraftwerke und können bei Bedarf nicht schnell genug hoch- oder runtergefahren werden. Dazu Münter: "Die Diskussion geht völlig am Thema vorbei." Man müsse sowohl aus Kohle als auch aus Gas so schnell wie möglich aussteigen.

Kohleverstromung ist dreckig und die Kraftwerke vergleichsweise unflexibel

Deutschland will eigentlich bis 2030 ganz aus der Kohle aussteigen. Schon aktuell wird in Deutschland nur noch Braun- und gar keine Steinkohle mehr gefördert. Der Grund: Die Förderung ist zu teuer und Steinkohle lässt sich günstig aus dem Ausland importieren. Die Verbrennung von Steinkohle stößt etwas weniger CO2 aus als die von Braunkohle.

Kohleverstromung ist aber in allen Fällen deutlich dreckiger als Stromerzeugung aus Gas. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der ausbleibenden Gaslieferungen wurde zuletzt bereits mehr Steinkohle importiert. Sie kam beispielsweise aus Kolumbien. Abgesehen von den Emissionen gibt es in diesen Importen noch weitere Umwelt- und Menschenrechtsprobleme.

CO2-Bilanz von LNG: Wissenschaftliche und methodische Schwächen

Neben der Sinnhaftigkeit der Diskussion zweifelt der Wissenschaftler und Energieexperte Daniel Münter auch die wissenschaftlichen Methoden der neuen Studie aus den USA an. Sie beruhe auf einer Reihe irreführender Annahmen.

Ein Punkt sei, dass der Anteil des freigesetzten Methans im Fracking-Prozess zu hoch veranschlagt sei. In einer Studie zu den Klimaauswirkungen von LNG-Importen waren Münter und sein Team dabei Anfang des Jahres auf einen Verlust von 1,2 Prozent Methan gekommen, die Studie aus den USA hingegen geht von 2,6 Prozent aus.

Constantin Zerger, Energieexperte bei der Deutschen Umwelthilfe, geht damit weniger hart ins Gericht. Es gebe schon lange Streit, um die Höhe von Methanverlust beim Fracking. Viele Studien gingen auch davon aus, dass die tatsächlichen Emissionen häufig unterschätzt werden und auch andere Studien kämen zu Werten in der Größenordnung der aktuellen Studie.

Studie berücksichtigt nicht niedrigere Wirkungsgrade bei der Kohleverstromung

Einen großen Teil des Methanverlusts sieht die Studie beim Transport und der Verdampfung von Gas auf Schiffen. Aus der Sicht des Experten Münter findet insbesondere das Worst-Case-Szenario der Studie in der Realität nicht statt. Zudem vernachlässige die Studie bei Ihren Annahmen, dass Kohleverstromung einen wesentlich niedrigeren Wirkungsgrad hat als die Verstromung von Gas.

Außerdem fokussiert sich die aktuelle Studie auf einen anderen Standard als gängige Klimaanalysen, um die Schädlichkeit von Methan zu berechnen. Mit dem Referenzrahmen GWP20 berechnet sie die Klimawirkung von Methan auf einen Zeithorizont von 20 Jahren. Üblicher sind aber 100 Jahre (GWP100) – da sich das Methan zersetzt, ist seine Klimawirkung des Treibhausgases über einen längeren Zeitraum verhältnismäßig weniger schlimm.

Es gibt auch Argumente für diese Entscheidung: "Es ist wichtig, auch den kürzeren Zeithorizont zu betrachten", meint Constantin Zerger. "In den nächsten 20 Jahren entscheiden sich viele klimapolitische Kipppunkte".

LNG-Importe sind ein Problem für die Umwelt – Ausbau von Erneuerbaren nachhaltiger

Alles in allem sei die aktuelle Studie laut Daniel Münter vom ifeu "manipulativ" und "tendenziös", um ein "plakatives Ergebnis" hervorzubringen. "Das ist schade", ergänzt Münter. "Die Methanemissionen aus der Förderung von Öl und Gas sind wirklich ein großes Problem. Das muss man gar nicht zusätzlich aufblasen."

Constantin Zerger von der Umwelthilfe sieht das anders. "Verschiedene Studien kommen zu unterschiedlich schrecklichen Ergebnissen", meint er. Er weist in dem Zusammenhang noch einmal auf den Ursprung des Flüssiggases hin: Gerade das durch Fracking in den USA gewonnene Erdgas bringe prozessbedingt hohe Methanverluste mit sich. Importiertes LNG habe damit Umwelt- und Klimaauswirkungen in einer relevanten Größenordnung.

Die Experten sind sich aber einig, dass Gasimporte grundsätzlich ein Problem sind. Statt sich auf LNG zu fokussieren, müsse Deutschland "konsequent alles auf Erneuerbare" umstellen. Das heißt konkret: Ausbau von Erneuerbaren, Wärmeversorgung durch Wärmepumpen sowie die Umstellung auf grünen Wasserstoff in einigen industriellen Prozessen. Aus der Sicht von Constantin Zerger wird aktuell viel "Zeit und Geld in die Lieferkette von LNG investiert, die besser direkt in Erneuerbare fließen sollte".  

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 23. November 2023 | 13:30 Uhr

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