Tiefseebergbau in Norwegen Warum Norwegen in der Tiefsee nach Rohstoffen suchen will
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06. März 2024, 11:32 Uhr
Als erstes Land überhaupt will Norwegen Rohstoffe in der Tiefsee suchen. Umweltschützer und Forschende befürchten Folgen nicht absehbaren Ausmaßes für Umwelt und Klima. Genau damit argumentiert allerdings auch die norwegische Regierung. Denn die Rohstoffe, die sie aus der Tiefsee gewinnen will, braucht es für die Energiewende. Am besten im eigenen Land.
Im Januar hat es Norwegen offiziell gemacht: Das Land will in den Tiefseebergbau einsteigen. Ganz konkret sind die Pläne noch nicht. Erst soll gesucht, erforscht und bewertet werden. Frühestens in den 2030er Jahren könnte es losgehen im Nordpolarmeer. Doch schon jetzt ist die Kritik deutlich. Umweltschützer und Forschende warnen davor, dass der kommerzielle Abbau von Rohstoffen am Boden internationaler Meere Gefahren noch nicht absehbaren Ausmaßes für dortige Ökosysteme birgt. Das Ökosystem der Tiefsee sei besonders anfällig für Einflüsse, die Gefahr Arten auszulöschen, bevor sie überhaupt entdeckt würden, sehr groß – mit möglicherweise unwiderruflichen Konsequenzen für die Ökosysteme, zu denen sie gehören.
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Kritik, die auch Anette Brock Mathisen Tvedt, indirekt trifft. Denn sie ist CEO von Adepth, einem Unternehmen, das nach Rohstoffen in der norwegischen Tiefsee suchen wird. Beunruhigt ist sie trotzdem nicht, denn für die promovierte Geologin sprechen die Daten eindeutig für den Tiefseebergbau. Die lassen sich im Wesentlichen auf drei Argumente herunterbrechen.
Die Rohstoffe braucht es für die Energiewende
Befürworter des norwegischen Tiefseebergbaus verweisen immer wieder darauf, wie dringend die dort erwarteten Rohstoffe gebraucht werden – auch Anette Brock Mathisen Tvedt. Dabei sei gerade der Klimaschutz das größte Argument. Denn ein Treiber des steigenden Bedarfs ist die Energiewende.
Für diese nennt die International Energy Agency 5 Schlüsselmineralien, die in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen werden. Dazu zählen Kupfer, Kobalt, Lithium, Nickel und Neodym, ein Metall der Seltenen Erden. Alles Rohstoffe, die (bis auf Nickel) laut Berechnungen in der norwegischen Tiefsee liegen. Und Rohstoffe, bei denen sich – je nachdem, wie viele der geplanten Klimaziele umgesetzt werden – der Bedarf verdoppeln, teilweise verzehnfachen wird.
Kupfer etwa wird in einer Zeit, in der fast alles elektrifiziert wird, dringend als kostengünstiger Wärme- und Stromleiter gebraucht. Neodym und andere Seltene Erden finden sich in Magneten für Elektromotoren oder für Generatoren von Windturbinen, aber auch in unseren Smartphones. Kobalt, Lithium und Nickel sind vor allen Dingen in Batterien verbaut, die wir in Laptops oder Elektroautos finden.
Das größte Problem ist aber nicht der steigende Bedarf, sondern dass dieser Bedarf auf eine Produktion trifft, die auf wenige Länder konzentriert ist und Abhängigkeiten schafft. Für die norwegische Regierung und Anette Brock Mathisen Tvedt einer der Hauptgründe dafür, die Produktion nach Norwegen zu verlagern. Ein Schritt, der den Befürwortern zufolge auch der Umwelt zugutekommen würde.
Der norwegische Tiefseebergbau löst Abhängigkeiten
Denn der Abbau von Rohstoffen findet derzeit oft in Ländern statt, in denen Umweltschutz und Menschenrechte nicht unbedingt eingehalten werden. Länder, von denen die EU abhängig ist. Denn mit weltweiten Produktionsanteilen im unteren einstelligen Bereich spielt die Union im Rohstoffmarkt kaum eine Rolle.
Das bestätigt auch Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts Freiberg für Ressourcentechnologie. Zwar gebe es in Skandinavien, Irland oder auch Ländern in Südosteuropa durchaus industriellen Bergbau, gleichzeitig ruhe man sich seit den 70ern darauf aus, dass andere den Abbau übernehmen. Nach eigenen Lagerstätten würde, vor allem in Zentraleuropa, kaum noch gesucht.
Dass die Gewinnung anderswo stattfinde, hat es auch leichtgemacht, etwa bei Umweltschäden einfach wegzusehen, so Jens Gutzmer. Die Quittung habe man dann 2010 erhalten, als China die Ausfuhr von Seltenen Erden zwischenzeitlich beschränkt hatte. Zu diesem Zeitpunkt kamen 90 Prozent des Rohstoffs aus China.
Mittlerweile sind es nur 60 Prozent, trotzdem hält China die Zügel in der Hand – auch dort, wo man es nicht direkt vermutet. Zwei Drittel des weltweiten Kobaltes etwa kommen aus dem Kongo. Dort ist es aber zu großen Teilen in chinesischer Hand. Weiterverarbeitet wird es dann zu fast 80 Prozent in China. Ähnlich ist das bei Nickel: Produziert wird es fast zur Hälfte in Indonesien, hinter den Investitionen für den Abbau steckt aber abermals China. Eine Entwicklung, die laut Jens Gutzmer bedenklich ist. Denn Chinas aggressive Produktion von Nickel hat jetzt schon für einen Preisverfall auf dem Weltmarkt gesorgt. Produktionsländer wie Australien, die eigentlich genug Vorkommen hätten, haben daraufhin die Produktion heruntergefahren. Und das verstärkt Chinas Marktmacht weiter.
Norwegens Tiefseebergbau hat indes tatsächlich Potenzial, glaubt man der norwegischen Regierung. Auf Basis von Kartierungen und wissenschaftlichen Arbeiten von Forschenden der Universität Bergen, Trondheim und Tromsø, hat sie die betreffenden Tiefseegebiete ausgewertet und modelliert, welche Rohstoffe in welchen Mengen erwartbar sind. Das Ergebnis: Mit den Vorkommen könnte Norwegen auch den angenommenen hohen EU-Bedarf aus dem Jahr 2050 für viele Jahrzehnte decken.
Aber: Nicht alle dieser Vorkommen könne man am Ende auch gewinnen, meint Jens Gutzmer, und auch die norwegische Regierung vermerkt das in ihrer Bewertung. Viele der genannten Rohstoffe könne man mit den heutigen Technologien noch nicht umfassend heben. Genau das will Anette Brock Mathisen Tvedt aber ändern und mit ihrem Unternehmen neue Technologien entwickeln. Je mehr Rohstoffe am Ende gewonnen werden könnten, desto niedriger sei auch der Eingriff in die Natur.
Der norwegische Tiefseebergbau ist umweltfreundlicher
Denn die Geologin betrachtet vor allen Dingen, wie viel Rohstoff sie pro Kilo Stein erhält. Je mehr sich im Stein befindet, desto weniger Gebiete müssen für die gleiche Menge Ertrag erschlossen werden und desto weniger Eingriff findet statt. So die Argumentation. Anette Brock Mathisen Tvedt sieht diesbezüglich den Tiefseebergbau im Vorteil gegenüber dem klassischen Bergbau. Auch die Vorgaben der norwegischen Regierung seien klar darauf ausgerichtet, den Abbau so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten.
Die Bemühungen Norwegens sieht auch Jens Gutzmer: „Tatsächlich gibt es nicht nur in Norwegen, sondern auch im Rest von Europa sehr starke Bemühungen, diesen Eingriff zu minimieren und auch Rohstoffe, die dann entnommen werden, ganzheitlich zu nutzen.“ Dazu zählten, keine riesigen Halden mehr zu produzieren, sondern beispielsweise die Hohlräume, die untertage entstanden sind, wieder zu verfüllen.
Haldis Tjeldflaat Helle von Greenpeace Norwegen kritisiert indes, die norwegische Regierung hätte bisher nicht genug Wissen eingeholt. So seien die Auswirkungen von Umweltbelastungen wie Lärm und Vibrationen nicht bewertet worden, genauso wenig wie die Einflüsse von künstlichem Licht in einem Ökosystem, in dem komplett Dunkelheit herrscht. Und auch nicht, wie sich Partikel aus dem Bergbau über die Strömungen im Ozean verteilen könnten.
Ein Eingriff in die Natur wird jeder Abbau von Rohstoffen bleiben, so Jens Gutzmer. Die Möglichkeit, auf Rohstoffe zu verzichten, gibt es nicht, nur den Bedarf könne man verschieben. Für Jens Gutzmer gibt es aber zwei Stellschrauben, die unabhängig von der heiklen Frage des Abbaus gedreht werden können: Wir müssen mehr recyceln und anfangen, weniger zu konsumieren. Ein Punkt, den auch Haldis Tjeldflaat Helle nennt, um den Bedarf gar nicht erst so hoch werden zu lassen.
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