MDR KLIMA-UPDATE | 17. März 2023 Was Weltraumforschung mit Klimaschutz zu tun hat
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Ausgabe #80 vom Freitag, 17. März 2023
17. März 2023, 11:00 Uhr
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt befasst sich nicht nur mit Satelliten und Mondflügen, sondern auch mit der Frage, wie wir den Klimawandel mit neuen Technologien bremsen können.
Einen sonnigen Freitag allerseits,
in der Klimaberichterstattung laufen wir als Journalisten ja immer Gefahr, Sie als Lesende zu verlieren, einfach, weil die meisten Menschen die immer gleichen schlechten Nachrichten irgendwann nicht mehr hören können.
Hier im Newsletter setzen wir deshalb ab und an Kontrapunkte, etwa, indem wir Wissenschaft vorstellen, die Lösungen zeigt oder eine neue Perspektive.
Deshalb blicke ich mit Ihnen heute kurz zurück auf die Jahrespressekonferenz des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die war Anfang März und hatte nicht nur Weltraum-, sondern auch eine Menge Klimathemen zu bieten. Das liegt daran, dass die über 10.000 Mitarbeitenden dort auch Grundlagenforschung zu Verkehr, Energie und Digitalisierung machen. Also genau die Felder, bei denen wir unbedingt Fortschritte brauchen, wenn eine post-fossile Gesellschaft weiterhin Komfort bieten und keine post-technologische Neo-Steinzeit werden soll.
Mehr dazu gleich, zunächst zur:
Zahl der Woche:
1,9
Prozent, um diesen Wert konnte Deutschland seinen CO2-Ausstoß vergangenes Jahr senken im Vergleich zu 2021. Das ist insofern erstaunlich und eine gute Nachricht, weil viele Expertinnen und Experten vorher einen steigenden Wert als Folge des Ukraine-Kriegs befürchtet hatten. Durch den Ausfall der russischen Erdgaslieferungen haben Kohlekraftwerke wieder mehr Strom produziert und dabei insgesamt 10,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente mehr ausgestoßen als im Vorjahr. (Der Energiesektor lag bei insgesamt 256 Millionen Tonnen). Allerdings waren auch Wind-, Solar und Biomasse wesentlich ergiebiger, als angenommen. Sie konnten daher viele Mehremissionen auffangen, hat das Umweltbundesamt berechnet.
Sorgenkind ist neben dem Gebäudebereich weiterhin der Verkehr. Hier gehen die Emissionen kaum zurück. Ich ärgere mich deshalb sehr über unseren Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der die europaweite Abschaffung von Verbrennungsmotoren blockiert – wahrscheinlich aus reiner Sturheit. Die Autoindustrie selbst hat längst ihre Pläne fertig, wie sie die alte Technik hinter sich lassen will.
Rocketscience: Technologien gegen den Klimawandel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Auch am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt schaut man längst in eine Welt jenseits von Verbrennungsmotoren und Kohlekraftwerken. Bei der Jahrespressekonferenz Anfang März haben die Forschungsteams dort drei innovative Projekte aus den Feldern Verkehr, Luftfahrt und Energie hervorgehoben.
1. U-Shift – autonomes Fahren und städtischer Verkehr
In Stuttgart, der Heimatstadt von Mercedes-Benz und Porsche, erforscht das DLR am Zentrum für Fahrzeugkonzepte eine völlig neue Idee für die Güterlogistik und den Personenverkehr in Städten. Rund zehn Millionen Euro Steuergeld hat das Land Baden-Württemberg in "U-Shift" investiert, eine sich selbst steuernde Fahrzeugplattform. Das Driveboard mit seinen vier Rädern ist ein flaches Fahrzeug mit jeder Menge Sensoren und einem U-förmigen Ladeschacht. Damit kann es verschiedene Module laden, etwa eine Buskapsel mit sieben Sitzplätzen für Passagiere. Es kann aber auch mit einer Transportbox für Fracht bestückt werden. Denkbar sind aber noch ganz andere Nutzungen, etwa Boxen für Imbissbuden, eine fahrende Minibücherei und vieles mehr.
Die Grundidee ist bestechend: Durch die Trennung von Fahrzeug und Nutzungsmodul entsteht ein flexibles, ressourcensparendes System, dass zahlreiche Aufgaben der alltäglichen Logistik in Städten übernehmen kann. So könnte die Belieferung von Supermärkten dank leiser und autonomer Elektroantriebe einfach in die verkehrsarmen Nachtstunden verlegt werden. Der Stadtverkehr tagsüber wäre entlastet und die Fahrzeuge frei für andere Nutzungen wie den Personenverkehr.
Aktuell gibt es bereits einen Prototyp, der in diesem Jahr zwischen April und Oktober über die Bundesgartenschau in Mannheim rollen soll.
Bis zum Praxiseinsatz ist es freilich noch ein weiter Weg. Erfahrungen aus anderen Projekten, etwa dem Leipziger "Absolut", zeigen: Vor allem das autonome Fahren bereitet den Systemen oftmals Probleme, wenn sie Hindernisse nicht richtig erkennen oder Ampelschaltungen. Wie gut "U-Shift" hier in einem Real-World-Kontext performen würde, war kein Thema auf der Pressekonferenz. Aber ich finde: Die Gedanken der DLR-Forschenden gehen in eine Richtung, dir mir persönlich sehr gut gefällt.
2. Emissionsfreies Fliegen – so viel, wie möglich
Bisher sind Ingenieure und Forschende ja sehr skeptisch: Weder Batterien noch Wasserstoff können mit der hohen Energiedichte von Kerosin und anderen kohlenstoffbasierten Treibstoffen mithalten. Die Konsequenz: Auf langen Strecken, also den für den Luftverkehr eigentlich wichtigsten Verbindungen, wird es wohl in auch in Zukunft nicht ohne CO2-Emission gehen. Mein Kollege Florian Zinner hatte dieses Problem ja bereits mehrfach in diesem Newsletter aufgegriffen.
Das DLR hat trotzdem ein ehrgeiziges Strategiepapier mit dem Titel "Auf dem Weg zu einer emissionsfreien Luftfahrt" veröffentlicht. Nur ein "disruptiver Ansatz" könne das Ziel erreichen, schreiben die Forschenden. Heißt: Nur wenn alles auf den Prüfstand kommt, also die Flugzeughülle, der Antrieb, die ganze Logistik, ist hier ein echter Fortschritt möglich.
In Bezug auf die Klimawirkung dürfen nicht nur die Effekte des CO2s bewertet werden. Auch andere Abgase und Aerosole müssen betrachtet und Folgen durch beispielsweise Kondensstreifen einbezogen werden.
Bis 2050 soll der Energiebedarf von Flugzeugen um die Hälfte reduziert werden, indem die Konstruktion grundsätzlich leichter wird, damit mehr Gewicht für Batterien oder Wasserstofftanks übrig bleibt. Auf der Webseite kann man schon allerlei futuristisch anmutende Flugzeugkonzepte bewundern, bei denen Wasserstoff die nötige Energie liefert. Unter anderem werden Flieger vorgestellt, die ihre elektrisch betriebenen Propeller so verstellen können, dass senkrechte Starts und Landungen möglich werden.
Doch – und das müssen auch die optimistischsten unter den Ingenieurinnen und Ingenieuren einsehen – solche Antriebskonzepte funktionieren nur auf Kurz- und Mittelstrecken. Auf Langstrecken wiederum wird es nicht ohne die kohlenstoffbasierten Treibstoffe gehen, wenngleich diese als sogenannte eFuels direkt aus der Luft gewonnen werden sollen. Das DLR wird dazu in den kommenden Jahren eine eigene Produktionsanlage aufbauen.
Das Rad wird also auch am DLR nicht neu erfunden.
3. Forschungspark Windenergie in Krummendeich – Optimieren, messen und validieren
Um Optimierung statt um Neuerfindung geht es auch in Krummendeich an der Elbe, nahe der Mündung in die Nordsee. Hier, im Alten Land in Niedersachsen, wollen DLR-Forscher neue Konzepte für die Rotorblätter von Windkraftanlagen testen.
Die Probleme sind lang bekannt: Durch Luftverwirbelungen an den Spitzen verlieren die Windräder viel Energie. Je größer die Rotorblätter werden, desto mehr Energie kann ein Windrad erzeugen, desto stärker ist es aber auch Schwingungen ausgesetzt, die die Struktur angreifen und das Rotorblatt im schlimmsten Fall irgendwann brechen lassen.
Das DLR hat daher smarte Blätter entwickelt, die sich den Belastungen anpassen sollen, um länger stabil zu bleiben und zugleich die Effizient der Anlage zu steigern.
Ein anderes Thema ist die räumliche Konfiguration: Können Windräder in den Windschatten anderer Windräder gebaut und trotzdem effizient betrieben werden? Das wollen die Forschenden durch verschiedene Einstellungen der Rotorblätter testen.
Im Forschungswindpark, an dem auch das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme und das Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen "ForWind" beteiligt sind, sollen aber zudem auch die wechselnden Wetterbedingungen genau verfolgt werden. Die mit zahlreichen Sensoren ausgestatteten Windräder bekommen daher noch meteorologische Messtürme an die Seite gestellt.
Das alles dient auch dazu, um zu überprüfen, wie gut Simulationen das Leben eines Windrads unter den Bedingungen des echten Wetters vorhersagen können.
Dass die wichtigen Forschungsfragen für die Windenergie wohl nicht schnell, sondern nur langfristig beantwortet werden können, zeigt sich an der geplanten Laufzeit für die Anlage. Sie soll 2023 in Betrieb gehen und rund 20 Jahre lang laufen.
🗓 Klima-Termine
Dienstag, 21. März – Leipzig und Markkleeberg
Mitteldeutschland macht sich "klimafit" ist Titel der Fortbildungsreihe, bei der Helmholtz-Forschungsverbund und WWF interessierten Bürgern vermitteln wollen, was sie vor Ort gegen den Klimawandel tun können. Sechs Kursabende informieren über Ursachen und Folgen des Klimawandels und Klimaschutz in der eigenen Kommune. An diesem Dienstag startet die Reihe in Leipzig und Markkleeberg, die Teilnahme kostet 20 Euro.
Sonntag, 26. März – Dresden
Der BUND hat eine Führung mit Experten vom Nationalpark Sächsische Schweiz organisiert, bei der Teilnehmende mehr über Zustand des Walds nach den verheerenden Bränden im vergangenen Jahr und auch die Schäden durch den Borkenkäfer erfahren. Dabei soll es auch um die Frage gehen, ob Totholz aus dem Wald geholt werden muss und wie sich die abgebrannten Flächen entwickeln werden. Die Umweltschützer bitten um Anmeldung per Mail oder telefonisch unter 0351/27 51 48 00.
Ab Dienstag, 28. März - Mitteldeutschland
Die Fortbildungsreihe "klimafit" startet in Halle (Saale), Aschersleben, Dessau-Roßlau, Erfurt, Jena, Weimar, Bad Lobenstein, Hildburghausen und Ilmenau. Die Teilnahmegebühren liegen zwischen 10 und 25 Euro. Näheres auf den Anmeldeseiten.
Ab Mittwoch, 29. März - Magdeburg, Burg und Bad Berka
📰 Klimaforschung und Menschheit
Energiesteuern senken CO2-Ausstoß weniger als gedacht
CO2-Steuern werden die Kohlendioxidemissionen nicht effektiv ausbremsen. Zu diesem Fazit kommt eine Studie der Uni Oxford. Darin weist eine Forschungsgruppe nach, dass das Standardmodell, mit dem üblicherweise die Wirksamkeit der Klimapolitik berechnet wird, die Langsamkeit des technischen Fortschritts nicht berücksichtigt. Deshalb werde die Verringerung des Energieverbrauchs durch die Energiebesteuerung überschätzt. Studien-Hauptautor Gregory Casey folgert daraus: "Um umweltpolitische Ziele zu erreichen, müssen die Energiesteuern höher sein als bisher angenommen."
Neue interaktive Karte von Deutschlands Wäldern
Das Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut unter anderem für Wälder, hat zwei interaktive Karten im Internet veröffentlicht, die Deutschlands Waldbestand und die darin dominanten Baumarten anzeigen. Die Karten liefern Forstwissenschaftlern damit wichtige Daten zum laufenden Umbau der Wälder und zur Anpassung an den Klimawandel. Auf den Karten, die den Zustand im Jahr 2018 zeigen, sind noch große Flächen von Nadelhölzern zu sehen, die in den vergangenen Dürrejahren stark gelitten haben. Mit den neuen Daten aus der im vergangenen Jahr durchgeführten Bundeswaldinventur sollen diese Informationen 2024 auf den neuesten Stand gebracht werden.
Warum China keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr fördert
2021 hat China angekündigt, keine neuen Kohlemeiler im Ausland mehr bauen zu wollen. Der Schritt sorgte für einiges Aufsehen und wurde verstanden als Anerkennung des Klimaproblems. Doch wahrscheinlich hatte die Entscheidung wohl weniger mit Klimaschutz zu tun und war eher wirtschaftlich und finanziell motiviert, schreibt Christoph Nedopil von der Fudan Universität in Shanghai in einem Beitrag für das Magazin Science. Innenpolitisch gebe es in China starke Interessen, sowohl die Kohle, als auch die Erneuerbaren auszubauen. In der umweltpolitischen Zusammenarbeit mit dem Land sei daher wichtig, Chinas internationales und sein innenpolitisches Engagement separat zu betrachten, argumentiert der Autor. Gerade die internen Interessengruppen müssten stärker wahrgenommen und die Wissensdiplomatie verstärkt werden.
Ozon behindert Paarung von Fliegen und anderen Insekten
Erhöhte Ozonwerte stiften Verwirrung bei der Paarung von Fruchtfliegen. Das zeigt eine Studie des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena, das die Auswirkung von Luftverschmutzung auf Insekten anhand verschiedener Drosophila-Arten untersucht hat. In den Experimenten wurden männliche Fruchtfliegen einer leicht erhöhten Ozon-Konzentration ausgesetzt. Nach zwei Stunden wurde gemessen, ob und wieviel Pheromone sie abgaben. Der Vergleich mit Drosophila-Männchen, die sich in normaler Umgebungsluft aufgehalten hatten, zeigte, dass bei den Männchen in der Ozon-Versuchsgruppe die Pheromonwerte gesunken waren. Sie wurden von den Weibchen schlechter erkannt und zogen eher andere Männchen an. Die Forscher vermuten, dass dieser Mechanismus einen Teil des Insektensterbens erklärt, das auch in Naturschutzgebieten beobachtet wird. Bodennahes Ozon entsteht vor allem, wenn Industrie- und Verkehrsabgase an heißen Sommertagen mit dem Sauerstoff in der Luft reagieren.
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Ich hoffe, mit den neuen Ideen aus der Forschung gehen sie nun etwas optimistischer ins Wochenende. Kommende Woche ist das wahrscheinlich wieder Zeit für Pessimismus. Am kommenden Montag erscheint der sechste Synthesebericht des Weltklimarats IPCC. Das Papier fasst den aktuellen Stand des Klimawandels zusammen. Wie in den vergangenen Berichten gibt es hier wohl leider wenig positives zu berichten.
Aber es hilft ja nichts: Die Wahrheit verschwindet nicht, wenn man nicht hinschaut. In diesem Sinne: Bleiben Sie auch bei schlechten Klimanachrichten aufmerksam. Und engagieren Sie sich für den Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft.
Herzliche Grüße
Clemens Haug
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