Das Bild zeigt die globalen saisonalen Klimavorhersagen. Abweichungen vom Temperaturmittel sind blau (kälter) oder rot (wärmer) abgebildet
Diese Klimavorhersage des Deutschen Wetterdienstes zeigt für das Frühjahr 2023 eine deutliche Erwärmung des pazifischen Ozeans vor der Küste Perus – ein erstes Anzeichen für den Beginn des El Niño-Zustands. Bildrechte: Deutscher Wetterdienst/DWD

Klimakrise Nach La Niña kommt El Niño: Stärkere Erwärmung der Erde könnte bevorstehen

22. Januar 2023, 20:48 Uhr

Klimamodelle deuten darauf hin, dass sich der tropische Pazifik rasant aufheizt. Im nächsten Winter könnte wieder ein El Niño-Zustand heraufziehen und ein erstmaliges Überschreiten der 1,5 Grad-Grenze bewirken.

Das Mädchen lässt den Ozean frieren

Die letzten drei Jahre waren unnormal kalt. Nein, dies ist nicht der Beginn eines Artikels, der die Erderwärmung leugnet, sondern die Beschreibung eines periodischen Klimaphänomens: Drei Jahre lang erstreckte sich eine kalte Zunge einmal quer von der chilenischen Küste bis nach Indonesien über den Pazifik. Das Oberflächenwasser des Stillen Ozeans auf Höhe des Äquators war kälter als gewöhnlich. Wobei kalt ein relativer Begriff ist, da die Wassertemperaturen immer noch bei um die zwanzig Grad lagen. Doch die Durchschnittstemperatur des tropischen Pazifiks ist ein paar Grad höher, sodass auch zwanzig Grad kalt sein können.

Erst einmal sorgt das kalte Wasser vor der Westküste Südamerikas dafür, dass Nährstoffe an die Wasseroberfläche gelangen; das Buffet für Fische deckt sich reichlich und so kann auch die Fischerei florieren. Mit der Kälte im tropischen Teil des Ozeans sind außerdem veränderte Wind- und Niederschlagsmuster verbunden: in den ohnehin trockenen Ländern Chile, Peru und Argentinien regnet es weniger, weil kaltes Oberflächenwasser mit kalter Luft einhergeht – und kalte Luft bekanntlich weniger Feuchtigkeit speichert.

Die Grafik zeigt den pazifischen Ozean auf Höhe des Äquators am 13. September 2022. Ein blaues Band zieht sich von der Westküste Südamerikas bis hin nach Indonesien. Umgeben ist es von roten Flächen. Die blauen und roten Flächen signalisieren die Abweichungen von der Durchschnittstemperatur. Rot bedeutet wärmer als normal, blau kälter als normal.
Die blaue Farbe zeigt die Bereiche, die kühler sind als normal. Rot bedeutet wärmer. Hier die Werte vom 13. September 2022 im Pazifik. Bildrechte: European Union, Copernicus Marine Environment Monitoring Service data

Dafür erhöhen sich die Niederschläge in Südostasien und Australien deutlich. Weil im Klimasystem der Erde atmosphärische und ozeanische Phänomene selten regional begrenzt bleiben, gehen die Auswirkungen noch weiter: Trockenheit am Horn von Afrika, zu viel Regen in Pakistan und Indien. Ernteausfälle, Dürren, Starkregen und Überschwemmungen sind die direkten Folgen; Wirtschaftseinbrüche, Flucht und Migration die indirekten. Diese Effekte verbergen sich hinter einem unschuldig klingenden spanischen Wort: La Niña – das Mädchen.

Der Junge bringt die Wärme zurück

Dieses Mädchen, so zeigen es mittlerweile saisonale Klimavorhersagen vom Deutschen Wetterdienst (DWD), dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus und der amerikanischen National Ocean and Atmosphere Administration (NOAA) unternimmt gerade eine Geschlechtstransformation: Für die zweite Jahreshälfte deutet sich der Junge, El Niño, an und mit ihm wiederum regionale und globale Klimaeffekte: Die kalte Zunge im Pazifik verschwindet Stück für Stück und erwärmt sich in rasantem Tempo – also in Zeiträumen von Wochen und Monaten. Als erstes lässt sich das vor der Küste Perus beobachten: Die Klimamodelle zeigen für das Frühjahr 2023 eine Art "Aufploppen" einer heißen Blase an der Meeresoberfläche. Heißes Wasser macht das Buffet für die Fische zunichte und mit ihm die Fischerei vor der Küste. Bei einem El Niño-Zustand sind außerdem höhere Niederschläge und Starkregen in Nord- und Mittelamerika zu erwarten, sowie am Horn von Afrika und im Osten Chinas. Trockener als gewöhnlich ist es hingegen in Australien, im Süden Afrikas und den südostasiatischen Inselstaaten. All das kann ebenso wie La Niña gravierende Auswirkungen auf die regionale Ernährungssicherheit, globale Lieferketten und die Stabilität von Gesellschaften haben.

Was bedeutet El Niño für Europa?

Die Effekte auf Europa sind weit weniger ausgeprägt: Forscher des DWD haben herausgefunden, dass im El Niño-Zustand die Sommermonate in Frankreich regenreicher sind als sonst, für Deutschland lässt sich das nicht zeigen. Im Winter könnte El Niño allerdings zu stärkeren Kälteeinbrüchen in Deutschland, Zentraleuropa und Nordamerika führen. Das liege an den so genannten Fernwirkungen, erklärt Kristina Fröhlich, zuständig für Jahreszeitenvorhersagen beim DWD: Die aufsteigende Wärme aus dem Pazifik gelangt in die höheren Schichten der Erdatmosphäre und von dort bis in die Arktis, wo sie wiederum vorherrschende Strömungsmuster verändern und vermehrt kalte Luft nach Europa bringen kann.

Die Kinder und die Erderwärmung

Dass die Transformation von La Niña zu El Niño stattfindet, war nur eine Frage der Zeit. Denn Junge wie Mädchen sind Teil der "El Niño Southern Oscillation", kurz ENSO – einer Schwingung der ozeanischen Temperaturen, atmosphärischen Strömungen und Windbewegungen im Pazifik. Daneben gibt es noch den neutralen Zustand, der weder besonders kalt noch besonders warm ist. Üblicherweise baut sich ein Zustand über mehrere Monate hinweg auf, bleibt ein bis zwei Jahre und wechselt danach wieder in den anderen. Die ENSO-Zyklen liegen zwischen drei und sieben Jahren. Typischerweise sind die Auswirkungen der Zyklen in unseren Wintermonaten stärker als im Rest des Jahres. Der jetzige La Niña-Zustand ist mit drei Jahren ausgesprochen lang und ausgesprochen kalt.

Womit wir bei der globalen Klimaerwärmung wären: Der Pazifik bedeckt etwa ein Drittel der Erdoberfläche. Wenn ein großer Teil des Pazifiks kälter als gewöhnlich ist, hat das Auswirkungen auf die globale Durchschnittstemperatur: sie wird heruntergekühlt. Nun waren die letzten drei Jahre allerdings global gesehen alles andere als kalt, sie rangieren unter den Top 10 der wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Was bedeutet ENSO also für das globale Klima? "Wenn wir jetzt da noch einen El Niño obendrauf bekommen, könnte das schon heißen, dass sich die gesamte globale Mitteltemperatur der Erde nochmal mehr erhöht als es auch in den La Niña-Jahren der Fall war. Das ist natürlich vor dem Hintergrund des Klimawandels keine gute Nachricht", erklärt Kristina Fröhlich vom DWD. Das weltweit heißeste Jahr war 2016 – ein Jahr, in dem der stärkste El Niño seit Aufzeichnungsbeginn gemessen wurde. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) schrieb im Mai 2022, dass mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit in den nächsten drei Jahren erstmalig die Marke von 1,5 Grad Erderwärmung überschritten werden könnte. Wissenschaftler der britischen Meteorologie-Behörde Met Office vermuten, dass dies bei einem starken El Niño bereits 2024 der Fall sein könnte. Dies hätte ein temporär noch schnelleres Abschmelzen der Polkappen, erhöhte Korallenbleiche und weitere Wetterextreme zur Folge. Daneben steigt während des El Niño-Zyklus der CO2-Gehalt in der Atmosphäre schneller, weil es weltweit heftigere Dürren und mehr Waldbrände gibt.

Laut der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der USA gibt es neben ENSO kein anderes singuläres Phänomen im Klimasystem, dass einen so großen Einfluss darauf hat, ob ein Jahr wärmer, kälter, trockener oder nasser ist als gewöhnlich. Noch sei es allerdings zu früh zu beurteilen, wie stark sich das nächste El Niño-Phänomen ausprägen werde, sagt Kristina Fröhlich. Erst in den kommenden Monaten und spätestens im August werde die Welt genau wissen, was für ein El Niño im Winter aufzieht. Die NOAA schätzt die Wahrscheinlichkeit aktuell mit 50 Prozent ein. Die Wassertemperaturen im östlichen Pazifik müssen fünf aufeinanderfolgende Monate lang mindestens ein halbes Grad wärmer sein als im Durchschnitt, damit ein El Niño-Zustand erklärt wird. Immerhin sind laut DWD unsere Klimavorhersage-Modelle mittlerweile qualitativ so hochwertig, dass sie die ENSO-Schwingungen Monate im Voraus vorhersagen können – und so den betroffenen Regionen Vorbereitungszeit verschaffen können. Bei ENSO ist es daher wie im gesamten Umgang mit der Klimaerwärmung: Erst liefern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Daten, dann sind die Gesellschaften und Regierungen am Zug.

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Dieses Thema im Programm: 3sat | nano | 10. Januar 2023 | 18:30 Uhr