Temu-App-Symbol auf dem Bildschirm eines Laptops mit Einkaufkorb.
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Neuer Online-Marktplatz Klimasünder Temu – Warum wir trotzdem kaufen

20. August 2024, 14:39 Uhr

Aus dem Nichts ist der Online-Marktplatz Temu zur Konkurrenz etablierter Unternehmen wie Amazon geworden. Gleichzeitig gibt es Warnungen vor giftigen Stoffen und Abmahnungen zu manipulativem Verhalten. Selbst die Konsumierenden sind nicht immer glücklich. Warum aber konsumieren Sie weiter? Ein Blick auf die psychologischen Mechanismen von Temu und was das für das Klima bedeutet.

Junge Frau mit langen, braunen Haaren gelben Mantel, lacht und blickt mit leicht gesenktem Kopf in Kamera
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Egal welches Produkt, Temu ist einer der ersten Shops, die bei der Onlinesuche angezeigt werden. Mit seinem aggressiven, teuren und weltweiten Marketing ist der neue Online-Marktplatz aus dem Nichts zu einer echten Konkurrenz für etablierte Plattformen wie Amazon geworden. Allein in der EU zählt er mittlerweile mehr als 45 Millionen Nutzende monatlich. In nur zwei Jahren hat Temu damit das geschafft, was andere über Jahrzehnte versuchen.

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Der Online-Marktplatz wirbt dabei mit dem Slogan "Shoppe wie Milliardäre" und meint damit, dass sich jeder alles leisten kann und auch alles findet. Ohrringe gibt es für 0,89 Cent, eine Smartwatch für 11 Euro. Wer länger auf der Plattform ist, wird diese Dinge vielleicht auch günstiger bekommen und genau dort beginnt sich Temu von anderen Anbietern abzuheben.

Shoppen in Dauerschleife: Holt Temu das "Bummeln" ins Netz?

Temu ist besonders geschickt darin, die Menschen auf die Plattform zu ziehen und zu halten. Etwa durch massive (personalisierte) Werbung auf Social Media, spontane Preissprünge, die Möglichkeit, beinahe alles auf einer Seite zu erwerben oder durch Spiele, mit denen die Nutzenden sich zusätzliche Rabatte und bessere Lieferzeiten erspielen können.

Während die Verbraucherzentrale Bundesverband Temu wegen mehrerer Regelverstöße bereits abgemahnt hat und teils von manipulativem Verhalten spricht, äußert sich der E-Commerce-Experte Alexander Graf im ZDF-Interview fast schon bewundernd über die Errungenschaften von Temu. Der Anbieter habe das geschafft, wovon andere Plattformen nur träumen würden. Nämlich ein "Bummeln" im Netz. Wie in der Fußgängerzone würden Menschen durch die Plattform "gehen", sich inspirieren lassen und den Kauf nebenbei erledigen. Auf Temu würden die Menschen sich eher wie auf Tik Tok oder Instagram bewegen. Allein die Chinesen verbrächten dort durchschnittlich 50 Minuten am Tag.

Glücksrad in der Temu-App als Screenshot und Autorin, die in der Temu-App scrollt
Per Glücksrad kann man sich in der Temu-App Rabatte erspielen Bildrechte: Katja Evers

Von "Bummeln" möchte Ralf Deckers vom Institut für Handelsforschung nicht sprechen. Er hat Befragungen zum Nutzungs- und Konsumverhalten unter anderem auf Temu durchgeführt und sieht – zumindest in Deutschland – eher den Trend, dass Nutzende etablierte Plattformen wie Amazon als Produktsuche und zum Preisvergleich verwenden, das besagte Produkt dann aber bei Temu kaufen. Das Endergebnis ist aber das gleiche: Der Konsum findet auf Temu statt. Und das zwar nicht zu einer hohen Belastung für den Geldbeutel, aber trotzdem zu einem hohen Preis.

Der hohe Preis: Wie die Mechanismen dem Klima schaden

In Zeiten diverser Krisen und finanzieller Unsicherheiten scheint eine Plattform wie Temu gerade recht. Das zeigt auch die Studie von Ralf Deckers. Das Gefühl, ein Schnäppchen zu machen und schließlich durch das eigene Spielverhalten noch etwas zusätzlich zu bekommen, führt quasi zu einer doppelten Dopaminausschüttung, so die Psychologin Lea Dohm, die unter anderem Psychologists for Future mit initiiert hat. Beides aktiviert unser Belohnungszentrum im Gehirn. Ein Hochgefühl, das solange anhält, wie wir konsumieren. Gleichzeitig spielt Temu mit Verlustängsten, indem es mitteilt, wie viele das gleiche Produkt bereits im Warenkorb haben oder wie viele Produkte es überhaupt noch gibt.

Entsprechend groß ist der Anreiz zum Überkonsum, der zwar auch bei anderen Händlern vorkommt, mit Temu und der Zusammenstellung psychologischer Mechanismen aber eine neue Dimension erreicht: Bereits Ende 2023 ist die Anzahl von Paketen aus China sprunghaft angestiegen und hat sogar für Probleme bei der Luftfracht gesorgt. Die Agentur Reuters berichtete Anfang 2024, dass laut Daten des Luftfracht- und Luftfahrtberatungsunternehmen Cargo Facts Consulting allein Temu etwa 4.000 Tonnen täglich verschicken würde (bei Apple sind es etwa 1.000 am Tag, bei Amazon dürften es deutlich mehr sein). Zusammen mit den Waren anderer Asienanbieter wie Shein, AliExpress und Tik Tok seien das 100 Frachter vom Typ Boeing 777 täglich.

Frachter, die nicht mal schnell zusätzlich zur Verfügung standen, auf die Temu aber derzeit noch angewiesen ist. Denn das Unternehmen hat keine eigene Lagerlogistik (auch, wenn derzeit in den USA eine aufgebaut wird), sondern fungiert nur als Vermittler zwischen Kunden und Verkäufer und kann deswegen massiv Kosten sparen. Ein Konzept, das sich übrigens nun auch Amazon mit einem eigenen Billig-Shop zu eigen machen möchte. Das Problem dabei: Kurze Lieferzeiten sind so nur mit viel Produktionsdruck und Flugverkehr möglich. Und das zu einem hohen Preis für das Klima, denn allein, dass die Waren statt per Schiffscontainer per Flugzeug kommen, sorgt für einen 50-fach höheren CO2-Ausstoß, sagt Martin Franz, Wirtschaftsgeograph an der Universität Osnabrück im ZDF.

Verzichten kann Temu aber nicht so einfach: Zu lange Lieferzeiten können dazu führen, dass die Stimmung des Käufers kippt, so Nadja Hirsch vom Institut für Klimapsychologie. Für ein Unternehmen, das nicht durch Produktqualität glänzen kann, sondern bei dem die Dopaminausschüttung vor allem beim Kauf selbst geschieht, ist das überlebenswichtig. Und ebenfalls etwas, was Temu von anderen Billiganbietern unterscheidet.

Für Nadja Hirsch macht die Plattform aus rein psychologischer Sicht alles richtig: "Da werden alle Register gezogen, alle Mechanismen genutzt. Es gehört eine gewisse Portion Reflektiertheit dazu, um sich da nicht auch reinziehen zu lassen." Und genau damit lässt sich auch ein eigentliches Paradox erklären.

Der manipulierte Konsument, der trotzdem konsumiert

In der Studie von Ralf Decker geben ein Großteil der Befragten nämlich an, sich von Temu manipuliert zu fühlen. Auch in Sachen Nachhaltigkeit wird das Unternehmen als unglaubwürdig eingestuft: Die Nutzenden gehen davon aus, dass durch die Chemikalien und das Plastik größere Umweltbelastungen entstehen, dass die Produkte nicht lange haltbar sind und mehr Verpackungsmüll entsteht. Trotzdem kaufen Sie auf der Plattform ein.

Grafik: Wie glauben Nutzende wirken sich Temu und Co. auf das Klima aus
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Für Nadja Hirsch ist das ein klares Zeichen dafür, wie stark die psychologischen Praktiken von Temu wirken. Der Anreiz ist größer als die möglichen negativen Auswirkungen. Wie stark, dass hänge aber von den jeweiligen persönlichen Wertigkeiten ab, wie wichtig also Faktoren wie soziale Zugehörigkeit in Konkurrenz etwa zur Nachhaltigkeit erscheinen.

Viele würden negative Gefühle aber eher unterdrücken, wenn es sonst unsere Freude trüben würde, ergänzt Lea Dohm. "Verhaltensänderung ist selten die Reaktion darauf. Wir neigen eher dazu, Quellen auszublenden, abzuwerten, Argumente irgendwie in uns herumzumanipulieren, sodass sie sich nicht mehr ganz so unattraktiv anhören." In Sachen Konsum sei der typische Mechanismus die Verantwortungsdiffusion. "Dass gesagt wird: Das ist nicht meine Verantwortung. Die Unternehmen machen das ja eh. Ob ich das jetzt kaufe oder nicht, macht eh keinen Unterschied." Eine Erklärung, die auch Nadja Hirsch und Ralf Deckers nennen.

Wozu Temu vielleicht doch gut ist

Glücksrad in der Temu-App als Screenshot und Autorin, die in der Temu-App scrollt
Autorin im Selbsttest: Sieht so das neue Schaufenster-Bummeln aus? Bildrechte: MDR Wissen

Genau dieses Gefühl der Machtlosigkeit müsse in Sachen Klima aber umgedreht werden, meint Nadja Hirsch und findet, dabei kann Temu sogar helfen. Denn die spielerische Umsetzung und die Elemente könnten auch für nachhaltige Produkte eingesetzt werden: "Oft wird Nachhaltigkeit auch immer so ein bisschen als langweilig und dröge empfunden. Ich glaube, um neue Menschen für das Thema nachhaltige Produkte zu motivieren und auch anzulocken, darf nachhaltiges Shoppen auch Spaß machen. Das sollte man nicht nur den Temus überlassen." Und so hätte Temu im Bestfall auch einen aus Klimasicht positiven Trend gesetzt.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. August 2024 | 17:10 Uhr

Männerhemd bei Temu zu sehen auf einem Laptopbildschirm 11 min
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Ultra Fast Fashion, so nennt man billige Mode, die kaum getragen wieder weggeschmissen wird. Online-Händler wie Shein und Temu bieten sie an. Autorin Kerstin Scheidecker hat einen Ratgeber über diesen Trend geschrieben.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mo 22.04.2024 11:05Uhr 11:11 min

https://www.mdr.de/mdr-thueringen/audio-service-ultra-fast-fashion-100.html

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