Klimawandel Gretchenfrage der Kaufmoral: Ist Shopping im Laden oder online besser fürs Klima?
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22. März 2024, 16:39 Uhr
Onlineshopping und der Versandhandel haben ihren Ruf weg: Lieferverkehr und Müllberge – das kann doch nicht gut fürs Klima sein. Besteht der schlechte Ruf mit Recht? Wir dröseln das auf.
- Online-Shopping kann mit allerlei Vorteilen punkten
- Es bringt jedoch nichts, nur auf die Handels-Emissionen zu blicken
- An einer entscheidenden Stelle wendet sich das Blatt
Ein pastellfarbenes Frühlingsleibchen, mit dem es sich erfrischt zwischen Osterglocken umherspringen lässt? Oder ein origineller Scheibenputzroboter, damit der Frühlingssonne nicht der Weg in die Wohnstube vernebelt wird? Die Konsumlaune der Deutschen ist zwar, gelinde gesagt, nicht gerade auf ihrem Höhepunkt, aber vielleicht tut die betüdelnde Frühjahrsluft ihr Übriges. Warum auf den Mai warten, wenn schon der März alles neu machen kann?
Und dann blitzt sie wieder auf, die Onlineshopping-Scham. Und dann stehen sie wieder auf den Radwegen, die Lieferfahrzeuge. Und dann stapeln sie sich wieder außerhalb der blauen Tonne, die leeren Pappverpackungen. Ökologisch bewegte Menschen rümpfen die Nase. Nur tun sie's denn gerechtfertigterweise? Die Themen Konsum und Konsumentscheidung sind derart vielschichtig, dass wir bei der Klärung des Sachverhalts gewisse Dimensionen von vornherein ausklammern müssen: zum Beispiel die prekären Arbeitsbedingungen in der Logistik-Branche. Oder die in den Warenlagern großer Onlineversandhäuser. Oder die zahlreichen Betrugsmaschen, wie die neuerliche Dreiecksmethode. Oder einfach der Dauerlauf zum Paketshop. Aber es gibt auch sonst genug, worüber es sich zu unterhalten lohnt.
Onlinehandel: Schlechter Ruf, bessere Klimabilanz?
Zum Beispiel über die eingangs genannte Sichtbarwerdung des Onlinehandelns, insbesondere in den Städten, wo sich neben verlassenen Ladengeschäften die Pappkartons und selbst nach Feierabend noch die Lieferfahrzeuge stapeln. "Das sind eben die Dinge, die man sieht und daher dann diese gefühlte Wahrheit, dass Onlinehandel per se deutlich schlechter ist als der stationäre Handel", sagt Till Zimmermann, der sich bei Ökopol mit der umweltfreundlichen Gestaltung von Produktsystemen beschäftigt, zum Beispiel im Auftrag des Umweltbundesamts. Und der selbst ein Hybrid-Käufer ist – und die Vorteile des Onlineshoppings klar zu schätzen weiß.
Und damit keinesfalls in einen Interessenkonflikt gerät. Denn die Studienlage zum Thema zeichnet ein mindestens differenziertes, wenn nicht gar eindeutiges Bild: "Wenn wir in die Studien reingucken, die den durchschnittlichen Kauf im Onlinehandel mit dem durchschnittlichen Kauf im stationären Einzelhandel vergleichen, ist es tatsächlich so, dass in der Mehrheit dieser Studien dem Onlinehandel eine ökologische Vorteilhaftigkeit bescheinigt wird."
Welche Klima-Faktoren sprechen für den Onlinehandel?
Das große Aber kommt zum Schluss, erstmal bleibt nur ein: Na sowas. Schauen wir mal rein, in so einer Studie. Zum Beispiel in die der Unternehmensberatung Oliver Wyman zusammen mit Forschenden der Universität St. Gallen. (Kleine Transparenznotiz: Die Studie wurde von Amazon in Auftrag gegeben, die Forschenden versichern laut Handelsblatt aber, dass der Onlinehändler keinen Einfluss auf Methodik, Analyse und Ergebnisse hatte.) Die Untersuchung hat ergeben, dass die durchschnittlich freigesetzten CO2-Äquivalente im stationären Handel mehr als doppelt so groß sind wie im Onlinehandel. Betrachtet man das Einkaufsverhalten in Deutschland, werden beim Kauf eines Produkts im Laden sogar fast dreimal so viele CO2-Äquivalente freigesetzt.
Wenn wir in Studien reingucken, ist es tatsächlich so, dass dem Onlinehandel eine ökologische Vorteilhaftigkeit bescheinigt wird
Wie konnte uns die eigene Klimaspürnase nur derart täuschen? Ach nun, hat sie vielleicht gar nicht, aber dazu später. Von der Herstellung des Produkts über den Transport bis hin zum Händler gibt es erstmal grundlegend keinen Unterschied zwischen Versand- und stationärem Handel. Und dann geht es los: "Wir haben das Ladengeschäft, was beleuchtet wird, was beheizt wird und wo die Produkte eben so präsentiert werden, dass sie ansprechend sind, dass sie gekauft werden", erklärt Till Zimmermann. Und dann eben die Kundschaft, die erstmal zum Geschäft und wieder nach Hause kommen muss – die legendäre letzte Meile. "Im Durchschnitt fahren die Deutschen überwiegend mit dem Auto in das Ladengeschäft und das ist eben ein ganz relevanter Punkt, der auch hier in die ökologische Bewertung mit reinfließt." Denken Sie nur, wie viele Einkaufsbummeltaschen in einen einzelnen gelben, blauen oder braunen Paketlieferwagen passen würden.
Zwischenfazit: Der Onlinehandel liegt in Sachen Klimabilanz vorn
Bei diesen Faktoren steht der Versandhandel ohne Frage besser dar. Zwar müssen auch dort große Lagerhallen mit Energie versorgt und Lieferautos betrieben werden. Runtergerechnet auf das einzelne Produkt ist diese Form aber am effektivsten. Hinzu kommen die Bestrebungen der Versandhäuser und der Logistikbranche, ihre Klimabilanz zu verbessern. Der Vorstandschef der Otto Group, zu der neben Otto zum Beispiel auch About You und Manufactum gehören, hat gegenüber dem Handelsblatt betont, die Zeiten des Greenwashings seien endgültig vorbei und klimafaires Verhalten die Betriebsgrundlage. Kein origineller Schachzug, klar, aber immerhin ein Statement.
Es steht also eins zu null für den Onlinehandel. (Außer bei Produkten, für die eine Kühlkette eingehalten werden muss. Hier schneiden Supermärkte Till Zimmermann zufolge in der Regel besser ab.) Nur, wie sieht es jetzt mit dem ökologisch produzierten T-Shirt aus der kleinen, im absoluten Energieverbrauch eher bescheidenen Innenstadtboutique aus, im Vergleich zum Kauf des gleichen T-Shirts in einem großen Onlineversandhaus? Das sei ein besonders treffendes Beispiel, sagt Till Zimmermann. Schon allein der Transport zur Boutique könnte in der Klimabilanz schlechter ausfallen, wenn er nicht in einem großen, voll beladenen Fahrzeug geschieht. "Wenn wir uns dann den kleinen Bekleidungsladen angucken, der einen deutlich, deutlich geringeren Produktumsatz hat, der gleichzeitig die Produkte präsentieren muss, im Winter muss er heizen, im Sommer wird er vielleicht gegebenenfalls sogar klimatisiert, damit die Kunden sich wohlfühlen", dann wirke sich das alles deutlich negativer auf das Einzelprodukt aus. Im Schnitt fallen, der genannten Studie zufolge, sechzig Prozent der CO2-Äquivalente pro Produkt auf den Energiebedarf der Immobilie im Einzelhandel, beim Versand sind es nur zwanzig Prozent. Wenn dann auch noch der Weg zum Geschäft mit dem Privatwagen erfolgt – nun denn.
Klimaschutz und Onlinehandel: Es gibt ein ganz großes Aber
Das können auch die eingesparten Versandverpackungen nicht mehr rausreißen, obgleich die ein wichtiger Posten bei der Klimabilanz sind. Wohl aber andere Faktoren. Wir erinnern uns: Der Klimavorteil des Onlinehandels ist eine durchschnittliche Momentaufnahme und orientiert sich am durchschnittlichen Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten. Und der Ladenbetreiberinnen und -betreiber. Stellt das Geschäft auf eine umweltfreundliche Heizung und Stromquelle um und kommt die Kundschaft vorrangig mit dem Fahrrad oder ÖPNV zum Einkauf, sieht es schon viel besser aus.
Aber auch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn wo wir etwas kaufen, wird fast unwichtig, wenn wir darauf schauen, was wir eigentlich kaufen: "Natürlich müssen wir hier zwischen den verschiedenen Arten von Produkten entscheiden, aber in den allermeisten Fällen ist es so, dass erstmal mit der Herstellung des Produkts und dann später auch in der Nutzung des Produkts potenziell deutlich mehr Umweltwirkungen verursacht werden als im Handel." Ein ökologisches T-Shirt aus dem Einzelhandel wäre also einem konventionell produzierten aus dem Onlinehandel unter Umständen vorzuziehen. Deutlich wird es beim Blick auf den Lebenszyklus eines Produkts, etwa eines Laptops: Fast siebzig Prozent der Emissionen fallen bei der Herstellung an. Bei einem Buch sind es sogar über neunzig Prozent, obgleich dessen Gesamtemissionen weitaus kleiner ausfallen und keine durch die Nutzung anfallen.
Die finale Logik dieser Erkenntnis ist im Grunde schon eine Klima-Binse: Der beste Konsum ist gar keiner. Gerade der Onlinehandel kann aber Gegenteiliges bewirken. Hier kommt es ganz klar auf die Dimension an, die wir betrachten: Wenn alle Menschen am Black Friday konsumieren und das restliche Jahr nicht, dann könnte sich die Klimabilanz sogar verbessern, weil dann die Transportfahrzeuge besser ausgelastet sind. "Aber es geht ja darum, eben Konsum zu schaffen, wo sonst keiner wäre", sagt Till Zimmermann. "Wenn hier dann noch eine Retour stattfindet, also wenn ich das Produkt zurückschicke, habe ich wieder Transport mit Umweltwirkungen." Klarer Punkt für den Einzelhandel: Dort lassen sich Sachen vorher anprobieren.
Zwar locken auch örtliche Geschäfte mit Vergünstigungen. Doch gerade im Onlinehandel ist der Preiskampf intensiv und die bequeme Verheißung, ohne Aufwand Produkte einzukaufen, ungleich höher als sich erst zur stationären Ladenzeile zu bequemen. Nur um dann festzustellen, dort doch nichts Passendes gefunden zu haben.
Im Idealfall stellen wir aber genau das fest – dass wir nichts brauchen. Auch kein pastellfarbenes Frühlingsleibchen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 08. März 2024 | 17:10 Uhr
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