CO2-neutrales Fliegen mit E-Kerosin CO2-neutrales Fliegen keine Zukunftsmusik mehr
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08. Oktober 2021, 12:38 Uhr
Im Emsland ist in dieser Woche die weltweit erste Anlage eröffnet worden, die CO2-neutrales Kerosin für Flugzeuge herstellt. Erstaunlich: Dafür wurden keine öffentlichen Gelder verwendet. Kann das Fliegen so weniger schädlich für das Klima werden?
Die Bundeskanzlerin per Video und die Bundesumweltministerin vor Ort: Mit Politprominenz wurde am Montag im niedersächsischen Werlte die nach eigenen Angaben weltweit erste Anlage vorgestellt, die Kerosin CO2-neutral herstellen kann. Dabei hatte es keine öffentlichen Gelder für die Anlage gegeben.
Hinter der Anlage steht die gemeinnützige Klimaschutzorganisation "Atmosfair", die bislang vor allem Projekte zum Ausgleich von CO2-Emissionen entwickelt.
Erstaunlich, dass eine gemeinnützige GmbH ein solches Vorhaben stemmen kann, Konzernen das bislang aber nicht gelungen ist. Das sei schlimm, sagte Atmosfair-Chef Dietrich Brockhagen MDR WISSEN.
Wie die Anlage funktioniert
Mit Strom aus Windkraft- und Solaranlagen in der Umgebung wird aus Wasser Wasserstoff gewonnen. Dieser Wasserstoff wird in der Anlage mit CO2 zu Kerosin verarbeitet. Das CO2 stammt dabei aus zwei Quellen: aus einer Biogasanlage, die Nahrungsmittelabfälle nutzt, und das CO2 wird auch direkt aus der Luft gewonnen.
So entsteht sogenanntes E-Kerosin, das sich chemisch gesehen wohl nicht von herkömmlichem unterscheidet. Die Lufthansa will das Kerosin am Flughafen Hamburg abnehmen. Alle zwei Wochen fährt ein Tanklaster zur Raffinerie in Schleswig-Holstein. Im Regelbetrieb im nächsten Jahr soll eine Tonne E-Kerosin pro Tag produziert werden – acht Fässer pro Tag.
Wermutstropfen, die auch Atmosfair beklagt: die Logistik rund um die Anlage ist noch nicht CO2-neutral und die Mengen sind gering. In Deutschland müssen ab 2026 mindestens 0,5 Prozent des Kerosins CO2-neutral hergestellt werden, ab 2030 zwei Prozent. "Mit 360 Tonnen pro Jahr erzeugt unsere Anlage dann ein Prozent der benötigten Gesamtmenge", sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer und Gründer vom Betreiber Atmosfair, der privat noch nie geflogen ist und beruflich auch innerhalb Europas den Zug nimmt.
Was davon zu halten ist
Die Anlage wird von allen Experten und Organisationen grundsätzlich begrüßt: zum Beispiel Greenpeace, Klimaforscher Mojib Latif oder Christoph Arndt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Auch Falk Harnisch vom Helmholtz-Zentrum Umweltforschung (UFZ) in Leipzig sieht das Verfahren im Emsland als äußerst vielversprechend an. Er sagte MDR WISSEN: "Es muss sich zeigen, wie effektiv und wettbewerbsfähig das hier getestete Verfahren ist. Die Inbetriebnahme der Pilotanlage ist dabei ein äußerst wichtiger Schritt."
Das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-Roßlau hat schon 2019 geschrieben, solche Anlagen sollten zur Erprobung der Technologie gebaut werden (PDF, Seite 36/37).
Das UBA hat aber auch eine höhere Beimischungsquote von zehn Prozent gefordert: "Durch die damit ausgelöste Nachfrage nach größeren Mengen sinken die Produktionskosten."
Und das UBA schreibt auch, als Standort für solche Anlagen seien Orte besser, an denen sich Strom aus erneuerbaren Energien kostengünstig erzeugen ließe. Atmosfair hat bereits angekündigt (PDF), solche Anlagen auch in Indien, Marokko und Brasilien zu bauen.
Warum E-Kerosin CO2-neutral, aber nicht klimaneutral ist
Dass das E-Kerosin nicht klimaneutral ist, sagt auch Atmosfair-Chef Brockhagen: "Denn auch E-Kerosin erzeugt noch eine Reihe von anderen Klimaeffekten ähnlich wie fossiles Kerosin." Das CO2, dass die Flugzeugturbinen ausstoßen, sei zwar klimaneutral, weil es nicht zusätzlich in den Kreislauf komme. Aber es würde in großer Höhe ausgestoßen. Außerdem würde auch E-Kerosin Kondensstreifen und Ozon in großen Flughöhen erzeugen. "Diese erwärmen das Klima sogar doppelt so stark wie das reine CO2 des Kerosins."
Greenpeace sagt, zwei Drittel des Klimaschadens beim Fliegen entstehe durch Kondensstreifen in großer Höhe. Flüge innerhalb Deutschlands und auf kürzeren europäischen Strecken sollten daher umgehend ausgesetzt werden.
Urs Maier von der Berliner Denkfabrik "Agora Verkehrswende" fasst im SWR zusammen:
Für das Klima ist Nicht-Fliegen immer besser als Fliegen.
Warum das Fliegen mit E-Kerosin teurer wird
Weil vor allem für die Herstellung von Wasserstoff sehr viel Energie benötigt wird, ist E-Kerosin teurer. Der Atmosfair-Chef Brockhagen sagt, sein Kerosin koste sechs Euro pro Liter. Werde es an anderen Orten produziert, könnte der Preis auf fünf Euro sinken. Der Liter "normales" Kerosin kostet derzeit 50 Cent.
Was das für den Flugpreis heißt, hat Volker Quaschning von der HTW Berlin dem SWR gesagt: "Fliegen wird erheblich teurer. Locker doppelt so teuer wie jetzt."
Alle sind überzeugt: E-Kerosin wird sich durchsetzen. Vor allem weil die Flugzeuge, die derzeit im Betrieb sind, technisch nicht so umgerüstet werden können, dass ihre Turbinen andere Energieträger verarbeiten können. "Ein Flugzeug, das heute zum ersten Mal startet, wird auch 2050 noch fliegen", sagt Atmosfair-Chef Brockhagen.
Dabei gibt es einige Ideen, welche anderen Treibstoffe Flugzeuge nutzen können oder aus welchen Quellen sich noch CO2-neutraler oder gar klimaneutraler Treibstoff gewinnen lässt.
Heiko Stolzke von Airbus sagt MDR WISSEN, dass zum Beispiel ein wasserstoffbetriebenes Flugzeug des Konzerns 2035 in den Liniendienst gehen kann. Stolzke: "Schon heute können unsere Flugzeuge zu 50 Prozent synthetische Kraftstoffe tanken. Wir wollen, dass es hundert Prozent werden."
Dabei können allerdings synthetische Kraftstoffe auch aus fossilen Quellen erzeugt werden, sind dann also nicht CO2-neutral.
Experten glauben, dass E-Kerosin für Langstreckenflüge auch in Zukunft die einzige Möglichkeit bleibt. Kurzstreckenflüge könnten aber mit batteriebetriebenen Flugzeugen erledigt werden.
Dabei ist Fliegen global gesehen natürlich ein Transport für die Eliten: Nur zehn Prozent der Weltbevölkerung haben jemals ein Flugzeug betreten, sagt Volker Quaschning. Und: "Ein Flug nach Australien verdoppelt den CO2-Fußabdruck eines ganzen Jahres."
Und so berechtigt die Frage nach dem Preis unter Klimagesichtspunkten ist, so unerheblich ist sie mitunter, weil ein Vergleich schwerfällt: Denn in den bisherigen Energieträgern sind die Kosten der Klimaschäden nicht ausreichend eingepreist, sagt Atmosfair-Chef Brockhagen. "Das E-Kerosin sind quasi jetzt die wahren Kosten."
Aber die große Frage, die über allem schwebt, ist: Wie kommt Energie dorthin, wo sie benötigt wird und wie lässt sie sich flüssig machen?
Welche Ideen für synthetische Kraftstoffe es noch gibt
Falk Harnisch vom UFZ aus Leipzig kann flüssige Treibstoffe mithilfe von Bakterien herstellen: aus Abwasser und Molke. "Neben dem Verfahren im Emsland sehe ich ein fast noch größeres Potenzial in der Kopplung elektrochemischer Verfahren mit biotechnologischen Verfahrensschritten zur Nutzung von CO2 und erneuerbarer elektrischer Energie."
Harnisch kann so aus zehn Litern Abwasser so viel Energie erzeugen, wie in zehn Gramm Schokolade oder einem Apfel steckt und hat errechnet, dass sich die Energiemenge von einem Drittel des deutschen Atomstroms auch aus dem gesamten Abwasser im Land erzeugen lässt. Aus einem Liter Abwasser entstehen im Labor schon elf Milliliter Benzin. Dabei helfen Bakterien, die aus Abwasser Strom und sauberes Wasser erzeugen. Das Konzept hat im Sommer eine Sieben-Millionen-Euro-Förderung der EU erhalten.
Technologien und Ideen für neuartige Energiegewinnung sind also genug da. Und im ganz großen Maßstab ist eigentlich auch genug Energie da: Alle fossilen Brennstoffe, alle biologischen Vorgänge und Windkraft existieren nur, weil unser Stern uns kontinuierlich mit Energie versorgt. Unseren weltweiten jährlichen Energiebedarf schickt uns die Sonne – in einer Stunde.
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