Weltklimarat IPCC Synthesebericht: Die Welt arbeitet am Klimaschutz, nur nicht schnell genug
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21. März 2023, 13:35 Uhr
Der Weltklimarat IPCC hat den Abschlussbericht seiner sechsten Berichtsperiode vorgelegt. Fazit: Die Durchschnittstemperaturen sind höher als je zuvor. Gegenmaßnahmen werden ergriffen, es fehlt aber am Tempo.
- Der IPCC sieht Fortschritte beim globalen Klimaschutz, doch die Geschwindigkeit der Anpassung ist noch zu niedrig.
- Die Wissenschaftler rechnen mit einer zeitweisen Überschreitung der Marke von 1,5 Grad (Overshoot). Danach soll die Atmosphäre durch Rückholung von CO2 wieder abgekühlt werden.
- Sie sehen auch Fehlanpassungen wie eine falsche Sicherheit durch zusätzlichen Hochwasserschutz in Hafenmetropolen, die anschließend trotz ihrer riskanten Lage weiter wachsen könnten.
Die nackten Fakten zuerst: Die globalen Durchschnittstemperaturen lagen in den Jahren 2011 bis 2020 1,09 Grad Celsius höher als in der Zeit vor der industriellen Revolution. Über Land betrug der Anstieg sogar 1,59 Grad, über den Meeren fiel er mit 0,88 Grad bislang etwas schwächer aus. Allerdings hat sich die Erwärmung beschleunigt. Nie zuvor in der Geschichte der Erde hat sich die Atmosphäre so schnell aufgeheizt wie in den vergangenen 50 Jahren. So steht es im heute erschienenen Synthesebericht des Weltklimarats IPCC, der die bisher erschienenen Teilberichte aus der sechsten Berichtsperiode zusammenfasst.
Sachstandsbericht ist Grundlage für politische Verhandlungen
Vor allem seien die Folgen dieses Klimawandels deutlich spür- und messbar, heißt es weiter. Fluten, Stürme und Dürren sind heute länger und intensiver durch die Erwärmung. Die Risiken weiterer Schäden nehmen umso stärker zu, je mehr die Menschen die Atmosphäre durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas aufheizen. All das trifft diejenigen Gesellschaften am stärksten, deren Wirtschaften am wenigsten industrialisiert und die dadurch am leichtesten verwundbar sind. Andererseits sind sie diejenigen, die am wenigsten zum aktuellen Problem beigetragen haben.
Das alles ist nicht neu, trotzdem stellt die heute erschienene Zusammenfassung des Berichts für politische Entscheider einen neuen Meilenstein dar. "Aus meiner Sicht handelt es sich hierbei vor allem um ein diplomatisches Dokument, das den anerkannten Stand der Wissenschaft darlegt und das damit zur neuen Grundlage für politische Verhandlungen wird", sagt Oliver Geden, der zum Team der Autoren des Berichts gehört und Wissenschaftler am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin ist.
Klimarisiken sind größer als bisher angenommen
Denn trotz des dramatischen Zustands des Weltklimas gibt es gute Nachrichten. Viele Länder haben Klimaschutzgesetze verabschiedet und Maßnahmen ergriffen. Die Konzepte, die Emissionen zu reduzieren und die Erwärmung zu stoppen, gibt es in nahezu allen Ländern der Welt. Auch haben Forschende erste Erkenntnisse darüber, was funktioniert und was nicht. Doch das Tempo der Umsetzung sei immer noch zu langsam, sagt Mitautor Matthias Garschagen von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Die Zeit ist uns davongelaufen in den letzten 8,5 Jahren. Wir sind nicht so weit gekommen, wie wir wollten und jetzt müssen wir mehr tun."
Dass die Klimarisiken seit dem 2015 erschienen fünften IPCC-Bericht nun noch größer eingeschätzt werden, ist in gewisser Weise ein Erfolg der Forschung. "Wir verstehen jetzt besser, wie sensibel Systeme sind und wie sie sich gegenseitig hochschaukeln", sagt Garschagen. Konkret betrifft das die Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre, den Ozeanen, den großen Eisflächen an den Polen und im Hochgebirge und der Pflanzen- und Tierwelt.
Überschreitung der 1,5 Grad-Grenze sehr wahrscheinlich
Ein Pessimist ist der Professor mit dem Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen trotzdem nicht. "Die wiederholten Warnungen des IPCC haben viel gebracht. Wir stünden heute nicht dort, wo wir jetzt sind", glaubt er und meint konkret die Verständigung auf das 1,5 Grad-Ziel, die Diskussionen über die bereits entstehenden Verluste und Schäden. "Das sind alles Dinge, die der IPCC erarbeitet hat. Wir müssen aber noch deutlicher und tiefgreifender ins Handeln kommen."
Zwar ist die Wahrscheinlichkeit inzwischen groß, dass die globale Erwärmung auf über 1,5 Grad Celsius steigen wird. Einen Grund dafür, dieses Ziel aufzugeben, sehen die Forschenden darin aber nicht. "Im IPCC haben wir immer wieder damit kalkuliert, dass wir diese Marke überschreiten werden für eine gewisse Zeit, die Temperatur dann später aber wieder drücken", sagt Oliver Geden. Dass sei in den sogenannten Overshoot-Szenarien abgebildet.
Das Ziel muss sein, netto-negativ zu werden
Durch die verpasste Reduzierung in der Vergangenheit steigt nun die Anforderung, wie stark die Kohlenstoff-Emissionen im Vergleich zu 2019 zukünftig gemindert werden müssen. Bis 2030 muss der CO2-Ausstoß um rund 48 Prozent gesenkt werden, bis 2050 dann um 99 Prozent.
Klar ist deshalb auch, dass das Ziel vieler Staaten mittlerweile nicht mehr lautet, bei den Emissionen die sogenannte Netto-Null zu erreichen, als keine zusätzlichen Klimagase mehr auszustoßen. Sondern mittlerweile müsse man ein Netto-Negativ anstreben, etwa durch Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS), mit der CO2 eingefangen und dauerhaft unterirdisch gelagert werden soll.
Gefährliche Strategien: Hochwasserschutz, der zu Ansiedlung in Risikogebieten einlädt
Ein gefährlicher Trugschluss sei aber, dass man sich den Overshoot leisten könne, und dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung dann später einfacher werde, wenn die Technologien dafür entwickelt seien. Denn jede Überschreitung berge die Gefahr, dass sensible Systeme wie Korallenriffe, Gletscher oder das polare Eis dadurch unwiederbringlich verloren gehen könnten, sagt Garschagen.
Eine andere Gefahr sehen die Wissenschaftler in falschen Anpassungen. So könnte ein zusätzlicher Hochwasserschutz großen Hafenmetropolen wie Hamburg, London, New York, Shanghai oder Lagos in Nigeria zwar eine Zeit lang Sicherheit im Angesicht von steigenden Meeresspiegeln bieten. Doch wüchsen diese Zentren dann durch den Zuzug von Menschen weiter, dann würden die Risiken größer und nicht kleiner.
Das Geld fließt noch nicht genug in den Klimaschutz
Größte Hindernisse für die Klimapolitik seien nach wie vor falsch gelenkte Finanzströme, bei denen immer noch mehr Geld in fossile Energieträger investiert werde, anstatt in erneuerbare, heißt es im Bericht. In vielen Staaten halte die finanzielle Ausstattung des Klimaschutzes nicht Schritt mit den steigenden Risiken, zudem seien Privatwirtschaft und Bürger zu wenig eingebunden.
Der IPCC schätzt, dass die Investitionen in den Klimaschutz um das drei- bis sechsfache Steigen müssen.
"Wir müssen diese globalen Risiken durch Armut, den Verlust von Biodiversität und den Schutz des Klimas zusammen denken", sagt Garschagen. Bei dieser Erkenntnis habe sich seit den vergangenen Sachstandsberichten einiges getan.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 20. März 2023 | 19:30 Uhr
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