Gastbeitrag Was gehen die Beschlüsse von Glasgow Mitteldeutschland an?
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19. November 2021, 12:13 Uhr
COP26 – die Weltklimakonferenz in Glasgow ist Geschichte. Jetzt geht es daran, die Beschlüsse umzusetzen. Doch was bedeuten sie für Mitteldeutschland? Wo liegen die Risiken und wo die Chancen? Ein MDR WISSEN-Gastbeitrag von Prof. Dr. Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ).
Der 26. Klimagipfel der UN (COP26) fand diesjährig im schottischen Glasgow statt. Er stand ganz im Zeichen der Beschleunigung internationaler Klimaverhandlungsprozesse im Lichte der wissenschaftlichen Befunde einer alarmierenden Erderwärmung des Weltklimarats (IPCC). Das dem Gipfel vorgelagerte Treffen der Staatsoberhäupter diente ebenso dazu wie eine intensive diplomatische Vorbereitung durch die britische und italienische Regierung auf höchster Ebene der G20. Das Treffen in Glasgow wurde mit einem Trommelfeuerwerk freiwilliger Selbstverpflichtungen der dort anwesenden Staaten eröffnet –zum Ausstieg aus der Kohle, zum Ende der internationalen Finanzierung von fossilen Brennstoffen, zum Ende des Verbrennungsmotors und zur weltweiten Methanreduktion. "Coal, Cash, Cars and Cows" lautete das Motto, dass die britische Regierung unter Boris Johnson dafür herausgegeben hatte. Obwohl dem eigentlichen Klimagipfel nur vorgelagert, sind diese "Initiativen der Willigen" der Motor zur Beschleunigung der lahmen UN-Prozesse und von größerer Bedeutung für Deutschland, das fast alle dieser Initiativen unterschrieben hat, und für Mitteldeutschland.
Coal und Cash – was bringt das schnelle Ende der Kohle?
Von herausragender Bedeutung für die mitteldeutsche Politik ist die Kohleausstiegsinitiative, der zufolge die mehr als 190 Unterzeichnerstaaten bis zur Jahrhundertmitte aus der Kohleverbrennung aussteigen wollen, zumindest sofern das entstehende Kohlendioxid nicht aufgefangen und gespeichert werden kann. Auch wenn der darauf Bezug nehmende Gipfeltext im letzten Moment der UN-Verhandlungen von der Staatengruppe China (als Sprecher für die Entwicklungsländer), Indien, Russland, Australien und Ölförderländern wie dem Iran noch zu einem "schrittweisen Abbau der Kohleförderung" verwässert wurde, teilen alle Länder die Sicht, dass es mit der Kohle vorzeitig zu Ende gehen muss. Schon im nächsten Jahr sollen die Staaten ihre Klimaschutzpläne unter diesem Gesichtspunkt nachbessern. Bisher waren Nachbesserung nur alle fünf Jahre geplant. Die Beschleunigung der Umsetzung unterstreicht die Dringlichkeit im Klimaschutz, die inzwischen alle Länder der Welt anerkennen. Auch Subventionen für Kohle, Öl und Gas sind spätestens bis 2030 vollständig einzustellen, jedenfalls, wenn sie in effizient sind.
Das sehen die meisten Umweltökonominnen und Umweltökonomen so. Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert daher zurecht den vorgezogenen Ausstieg aus der Kohle und deren nationaler und internationaler Subventionierung bis 2030. Das Bekenntnis weiter Bereiche der Finanzwirtschaft zum vorzeitigen Kohleende beschleunigt den Prozess zusätzlich, so dass sich der Bau und Betrieb von Kohlekraftwerken möglicherweise schon lange vor 2030 nicht mehr rentieren wird. Nach diesem Beschluss ist daher zu erwarten, dass die Kraftwerke in Mitteldeutschland möglicherweise früher eine Stilllegung beantragen als gegenwärtig eingeplant. Aber sind dann genügend erneuerbare Energien für Deutschland verfügbar? Wie kann die möglicherweise dadurch entstehende Lücke gefüllt werden? Und fließen die geplanten Strukturwandel-Mittel dann auch beschleunigt? Diese Fragen sind weitgehend offen. Stimmen aus der Landes-, Regional- und Kommunalpolitik in Mitteldeutschland sind von dieser Perspektive eher nicht begeistert, wie man verhört. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer sprach vom "Gnadenstoß für die Lausitz" durch einen vorgezogenen Kohleausstieg, Ministerpräsident Haselhoff hat sich in ähnlicher Weise skeptisch dazu geäußert. Nur Linke und Grüne sind dafür. Die FDP ist gleichzeitig gegen die umfangreichen Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber, die damit einhergingen. Politisch bewegte Zeiten kommen da auf Mitteldeutschland zu.
Prof. Dr. Reimund Schwarze
Reimund Schwarze ist Umweltökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er beobachtet seit Anfang des Jahrtausends die internationalen Klimaverhandlungen aus politisch-ökonomischer Perspektive. Seine Forschungsschwerpunkte sind Europäische und internationale Klimapolitik, Ökonomische Fragen der Klimaanpassung, Management von Naturgefahren, Umwelthaftung und Versicherung. Er war als wissenschaftlicher Beobachter bei der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow.
Elektrofahrzeug-Cluster in Mitteldeutschland
Auf dem Glasgower Klimagipfel haben sich über 30 Staaten auch darauf verständigt, enger zusammen zu arbeiten, um sog. emissionsfreie Elektrofahrzeuge spätestens bis 2030 flächendeckend nutzbar und erschwinglich zu machen. Dazu gehören neben Großbritannien, Frankreich und Polen auch viele Schwellen- und Entwicklungsländer wie z.B. Indien und Kenia, die den Übergang zu Elektromobilität in ihren Märkten beschleunigen wollen. Die Weltbank stellt dafür eine Finanzierungslinie in Höhe von 200 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Die USA und überraschenderweise auch der dort vertretene Bundesstaat Kalifornien haben diese Initiative nicht unterschrieben. Auch die scheidende deutsche Bundesregierung hat sich dagegengestellt. Die mitteldeutschen Länder und Regionen sollten sich dies aus rein wirtschaftlichen Gründen dagegen gut überlegen. Denn die Fertigung von Elektrofahrzeugen und die Batterieproduktion findet heute schon geballt in Mitteldeutschland statt. Die BMW Gruppe hat bereits 2021 am Standort Leipzig die Fertigung von Batteriemodulen für Hochvolt-Batterien ihrer Elektroflotte aufgenommen. Im thüringischen Arnstadt hat der chinesische Zellenfabrikanten Contempoary Amper Rex Technology, kurz CATL, 1,8 Milliarden Euro für den Aufbau der Zellenfertigung bereitgestellt, das etwa 2.000 Mitarbeiter beschäftigen wird und damit die größte Batteriezellenproduktion für E-Autos wäre. Ob es in Bitterfeld-Wolfen zu einer ähnlichen Entwicklung kommt, bleibt abzuwarten. Dass aber die Entwicklung am Standort Salzgitter mit Volkswagen und seinem neuen Partner Northvolt auch auf Sachsen-Anhalt wirtschaftlich ausstrahlen wird, ist dagegen sicher. Also auch jenseits von Tesla im brandenburgischen Grünheide gibt es interessante regionalwirtschaftliche Potenziale für Mitteldeutschland aus der Umstellung auf die E-Mobilität.
Methanstrategie mit Wenn und Aber
In der Methan-Verpflichtung (Global Methane Pledge) haben sich die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und über 100 Partnerländer auf eine Initiative zur Verringerung der weltweiten Methanemissionen verständigt, die entscheidend für eine schnelle Begrenzung der Erwärmung bis 2030 haben könnte. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich darin, die weltweiten Methan-Emissionen bis 2030 um mindestens 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 zu reduzieren und die besten verfügbaren Mess- und Erfassungsmethoden einzusetzen. Internationale Banken und Unternehmen der Finanzwirtschaft haben für diese Initiative bereits 328 Millionen Dollar an Finanzmitteln zugesagt, darunter auch die europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die europäische Investitionsbank und der private grüne Klimafonds. Auch die internationale Energie-Agentur (IEA) hat sich als Partner angeboten.
Methan ist ein besonders starkes, oft unterschätztes Treibhausgas. Der Weltklimarat der Wissenschaft unterstützt seit vielen Jahrzehnten bereits die Entwicklung einer weltweiten Methan-Strategie. Ob allerdings die in der Methan-Verpflichtung angekündigten – 0,2° Celsius schon bis 2030 durch die Zielsetzungen der freiwilligen Initiative erreicht werden können, ist zweifelhaft. Auch wenn die meisten Maßnahmen ökonomisch sehr vorteilhaft sind –90 Prozent sind gemäß einer Studie von McKinsey für unter 25 Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent durchführbar – sind viele bereits in den nationalen Klimaplänen eingerechnet, so dass die Initiative wenig zusätzlich bringt. In Deutschland ist die Methanemissionen von 1990-2020 deutlich von 2,8 Millionen t auf 1,9 Millionen t zurückgegangen. Das entspricht einer Minderung von fast 60 Prozent. Besonders stark sanken die Emissionen im Bereich der Abfallverbringung – zum einen, weil Abfallmengen durch Recycling zurückgingen, zum anderen, weil die Effizienz der Methan-Entgasung im Deponiebereich verbessert wurde. Aus der Gewinnung und Verteilung von Kohle und Gas gibt es kaum noch Emissionen, vor allem durch die sinkende Kohleförderung in Deutschland. Wenn also die 30 Prozent-Reduktion bis 2030 auf das Bezugsjahr 2020 angerechnet werden müsste, bedeutet dies in Deutschland starke Eingriffe und Maßnahmen in den Bereichen Land- und Ernährungswirtschaft, die für Mitteldeutschland wichtig sind. Das würde nicht ohne Veränderung der Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher gelingen. Auch hier liegen also politisch schwierige Zeiten vor uns.
Auf der anderen Seite stellen die umfangreichen Erfahrungen der Sanierung der Deponien und Kohle- und Gasgewinnung in Mitteldeutschland ein Exportpotenzial. Sie könnten eine Blaupause für andere Länder der Welt sein. Die Energieverbände begrüßen daher die Methan-Initiative von Glasgow uneingeschränkt als "einen großen Schritt nach vorne" und versprechen, sich auch am Ausbau der internationalen Mess- und Erfassungstechnologien auf der Grundlage ihrer Erfahrung zu beteiligen.
Mittel und längerfristig ergeben sich wirtschaftliche Chancen für die mitteldeutsche Energiewirtschaft, wenn sie nach einer Transformationsphase zur Nutzung erneuerbarer und dekarbonisierter Gase (mit Abscheidetechnologien) übergeht. Mitteldeutschland könnte auf Basis seiner Wärmenetze zu einem bedeutenden Standort für die Produktion, das Know-how und die Nutzung moderner Gasinfrastrukturen werden.
Zünglein an der Waage
Zusammenfassend gibt es also zugleich Nachteile wie Vorteile durch den Glasgower Klimapakt und seine Zusatzinitiativen. Der entscheidende Vorteil für Mitteldeutschland ergibt sich dadurch, dass sich damit zumindest eine deutliche Unterschreitung einer globalen Erwärmung auf unter 2°C erreichen ließe, wie die IEA errechnet hat, wenn diese Zusagen jetzt wie beschlossen beschleunigt umgesetzt werden. Bei Überschreitung von 2°C nämlich könnte das, was wir in 2018 und 2019 als Dürre erlebt haben, schon zur Jahrhundertmitte zum "Normalklima" in unserer Region werden. Die hierdurch entstandenen wirtschaftlichen Verluste in der Land- und Forstwirtschaft wären also das entscheidende Zünglein an der Waage für die Vorteilhaftigkeit der Beschlüsse von Glasgow für Mitteldeutschland.
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