Frühzeitforschung Frauenkörper: Venus-Figurinen als Überlebens-Vorbilder
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07. Dezember 2020, 14:59 Uhr
Sie sind die weltweit ältesten figürlichen Darstellungen der Menschheit: Die sogenannten Venus-Figurinen. Möglicherweise ist der "Vorname" Venus irreführend. Vielleicht sollten wir die Formen der Figuren nicht als für Symbole für Schönheits- oder Fruchtbarkeit verstehen. Vielleicht erzählen sie uns vielmehr etwas über eine unglaublich stressige Zeit, über Klimawandel, Ernährungs- und Überlebens-Strategien.
Vor über 30.000 Jahren wurden die ersten geschnitzt, geformt, gehauen: Frauen-Statuetten, sogenannte Venus-Figurinen. Kleine Figuren, kaum größer als eine Hand, aus Horn, aus Mammutelfenbein, aus Stein oder aus Ton, stehende Skulpturen oder solche, die als Amulette getragen wurden. Die handgroßen Frauen-Figürchen, die während der letzten Eiszeiten (bis vor ca. 12.000 Jahren) überall in den eisfreien Zonen Europas verbreitet waren, zeigten extrem kurvenreiche, meist schwangere Frauen. Die Medizin von heute spricht bei solchen Körperformen von Fettleibigkeit. Bislang wurden die Kurven der Figurinen als Fruchtbarkeits-, bzw. Schönheitssymbol verstanden, oder Darstellung einer Göttin. Ein Forscherteam in den USA sagt jetzt, die Ausmaße der Figurinen sollte man ganz anders lesen und deuten als bisher.
Eigentlich forscht Dr. Richard Johnson am Medical Campus der University of Colorado zu Fettleibigkeit. Zusammen mit Kollegen aus der Anthropologie hat er jetzt in einer Studie Venus-Figurinen untersucht und neu betrachtet. Das Forschungsteam kommt zu dem Schluss: Die Umwelt beeinflusste die Formen der Frauen, was sich wiederum in den frühesten figürlichen Darstellungen der Menschheit niederschlug. Der Schlüssel zur Enträtselung der Figurinen-Form sind Johnson zufolge Klimawandel und Ernährung.
Was war das für eine Umwelt vor 40.000 Jahren?
Dazu müssen wir etwa 40.000 Jahre zurückschauen. Damals kam der frühneuzeitliche Mensch nach Europa und zwar während einer Erwärmungsperiode: Diese heute als Aurignacien bezeichneten Menschen jagten Rentiere, Pferde und Mammuts, sie nutzten dazu Speere mit Knochenspitzen. Im Sommer lebten sie von Beeren, Fischen, Nüssen und Pflanzen. Aber auch damals änderte sich das Klima, die Temperaturen sanken, Eisschilde rückten vor.
Eine Katastrophe für die frühneuzeitlichen Menschen, es gab Monate mit Temperaturstürzen auf minus zehn bis minus 15 Grad Celsius. Ausbleibender Niederschlag führte zu verkürzten Pflanzenwachstumsphasen. Das alles bedeutete Stress pur für die Menschen der Aurignac-Kultur, nicht alle verkrafteten den Klimawandel durch die vorrückenden Eisschilde. Europas Jäger und Sammler mussten sich an gewaltige Umweltveränderungen anpassen um zu überleben, an Kälte und Nahrungsknappheit. Einzelne Gruppen starben aus, andere zogen nach Süden, wieder andere flüchteten sich in Wälder. Das Großwild wurde überjagt, die Menschen mussten "umsteigen" auf Kaninchen oder Murmeltier als Fleischquelle. Und genau aus dieser unwirtlichen Phase stammen die rundlichen Figurinen, die ältesten von ihnen aus einer Zeit vor 35.000 Jahren.
Welche Rolle spielten dabei die Figurinen?
Die Figuren könnten US-Forscher Johnson und seinem Team zufolge als Idealdarstellung überlebensfähiger Frauen gedient haben, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Es scheint, als sei Fortpflanzung die Überlebensstrategie der Stämme gewesen: Voraussetzung dafür waren Frauen, die genug Fettreserven hatten, um Schwangerschaften zu überstehen und Säuglinge auch über zwei Winter unter eisigen Bedingungen zu ernähren. Nur so konnten Stämme überleben.
Wie wurde das untersucht?
Untersucht haben die Forscher das anhand von Fotos von rund 50 Figuren. An den Abbildungen wurden die Verhältnisse zwischen Schulter und Taille sowie Taille und Hüfte gemessen. Die Maße bestätigten Johnsons Annahme: Je näher die Venusfiguren am Gletscher waren, desto dicker wurden sie. Sie könnten also indirekt den Klimawandel anzeigen und veränderte Lebensbedingungen. Ginge es nach Johnson, sollte die Wissenschaft künftig viel häufiger interdisziplinär arbeiten. Er glaubt: Vielleicht werden wir in Zukunft frühe Funde ganz anders beleuchten und deuten und die Vergangenheit in ein anderes Licht setzen.
Hier lesen Sie die Studie im Original.
(kf)
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