Drei Minuten Zukunft Den perfekten Mord wird's nicht mehr geben, außer …
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26. Februar 2024, 09:50 Uhr
Wer sich ansehen mag, wie ein Mord in der Vergangenheit aufgeklärt wurde, schaut heute Fernsehen. Denn die Rechtsmedizin ist sehr viel weiter, als am Sonntagabend dargestellt. In Zukunft wird es kaum ein Tötungsdelikt geben, das nicht rekonstruiert werden kann. Und schon jetzt kommt ein erheblicher technischer Fortschritt den Ermittlungen zugute.
Wenn Odenthal, Ballauf oder Schenk am Sonntagabend die Rechtsmedizin betreten und Boerne und Thiel naturgemäß dort bereits das erste Scharmützel am Laufen haben, dann präsentiert uns die Fernsehunterhaltung viel mehr einen historischen Kriminalroman als wirklichkeitsgetreue Fiktion. Denn die Zukunft der Forensik ist – jetzt. Also: Schaffen wir uns einen Überblick mit Michael Thali von der Uni Zürich. Steckenpferd des Rechtsmediziners: Virtuelle Autopsie.
Der Tatort:
Früher war es so: "Man ging an einen Tatort, da war ein Mordopfer, man hat es so hauruckmäßig mitgenommen, ist ins Institut gefahren, hat Autopsie gemacht", erklärt Michael Thali. Heute sei das anders – je nach Ausstattungsgrad der örtlichen Behörde. "Wenn man eine Leiche findet, mit Verdacht auf Tötungsdelikt, kommt zuerst die Polizei und scannt die ganze Szenerie in 3D." Erst danach komme das, was wir schon kennen: DNA-Proben vom Körper und der Umgebung nehmen (im Hinblick auf die Kriminalgeschichte auch noch neuer heißer Scheiß) und erst dann die Leiche ins rechtsmedizinische Institut transportieren.
Im Institut:
In der Rechtsmedizin wird das Opfer einem Verfahren unterzogen, das man vielmehr mit der Medizin für lebende Menschen verbindet: Computertomografie, kurz CT. "Jede Leiche, die hier in Zürich ins Institut kommt, bekommt zuerst einen CT-Scan", so Michael Thali. "Und dann sehen wir schon: Was hat sich morphologisch verändert? Was sind die Befunde? Dann vielleicht noch eine Oberflächendokumentation." Damit sind alle Daten – vom Ereignisort und vom Körper selbst – in 3D gesichert. Erst dann folgt eine Autopsie – also eine Öffnung und Untersuchung der Leiche. Also, sofern das überhaupt noch notwendig ist.
Prof. Dr. Michael Thali … … ist ein Schweizer Rechtsmediziner, der sich vor allem mit bildgebenden Verfahren in der Forensik beschäftigt – insbesondere mit der u.a. durch ihn geprägten virtuellen Autopsie. Er ist seit 2011 Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Uni Zürich und seit 2015 Mitglied der Leopoldina.
Gene und Gifte:
Nicht nur in der dreidimensionalen Untersuchung der Tatorte und Tötungsopfer haben sich die Möglichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten immens verbessert. Gleiches gilt auch für Genetik, also DNA-Analyse, und Toxologie, also die Analyse von Vergiftungen. Beides ist mittlerweile in enorm hoher Auflösung möglich: "Wenn ich aus einer sehr kleinen DNA-Spur, die ich gar nicht sehe, praktisch ein Signalament [Personenbeschreibung, Anm. d. Red.] wie eben Haarfarbe, Augenfarbe, Körperfarbe, Hautfarbe, Alter und sogar geografische Herkunft analysieren kann – das ist enorm", schwärmt Michael Thali. Und wenn es um die Genauigkeit bei der Untersuchung von Körpersäften, also Blut und Urin, geht, sind die technischen Fortschritte der vergangenen Jahre ebenfalls nicht zu unterschätzen: "Ich habe einen Kollegen, der sagt immer: Wenn ich ein Zuckerstück in den Zürichsee oder ins Mittelmeer schmeiße, kann ich das heute mit diesen Maschinen in der Toxikologie detektieren."
Im Kommissariat und Gerichtssaal:
Durch die digitale Dokumentation könne man sich in die Szenerie der Tat "digital rein-beamen", wie Michael Thali das treffend beschreibt. Dadurch ist es möglich, Geschehensabläufe virtuell nachzuspielen. Die Beweislage landet also direkt im Kommissariat oder im Gerichtssaal, ohne dass der Tatort erneut betreten werden muss. Das spare Zeit und Kosten, so Thali: "Der Rechtsmediziner kommt immer ins Theater, aber immer zu spät. Man sieht noch das Bühnenbild, vielleicht noch gewisse Requisiten, vielleicht liegt noch eine Leiche dort." Nun müsse das Geschehen von hinten aufgerollt werden: "Welches Stück wurde gespielt?" Die neuen Technologien seien hier immens hilfreich.
In der Zukunft:
Schon jetzt – und das zeigen selbst Polizeiruf 110, Tatort, Wilsberg oder Soko Leipzig – fließen digitale Spuren in die Ermittlungen ein, z.B. Nachrichten-Chats und Bewegungsdaten. Da wir ganz offensichtlich einen Nutzen darin sehen, mehr und mehr Daten zu produzieren und zu tracken, werden diese auch für die Rechtsmedizin noch interessanter: "Wenn die Leute immer mehr digitale Helfer tragen oder Überwachungssysteme am Körper, wird das auch für die Forensik sehr interessant werden. Und ich freue mich eigentlich auf die Entwicklung, was man dann hier herauslesen kann", so Michael Thali. Das betreffe aber nicht nur Helfer, die man sich freiwilligerweise ankleidet, sondern auch Implantate, Herzschrittmacher oder Insulinpumpen. Thali vergleicht diese Entwicklung mit der normalen Kriminalität, die sich in Richtung Cyber-Kriminalität verschiebt. Rechtsmediziner haben also in Zukunft auch die Cybermedizin auf dem Tisch.
Der perfekte Mord:
Tötungsdelikte haben es in Zukunft schwer, unentdeckt zu bleiben. Dafür sind die neuen Möglichkeiten der Forensik einfach viel zu genau. Michael Thali glaubt fest daran, Mord und Totschlag in Zukunft an praktisch jedem Körper nachweisen zu können, der zu ihm ins Institut kommt – und bei dem tatsächlich ein Tötungsdelikt vorliegt. Einschränkungen macht er bei exotischen Giften, die noch nicht in der toxikologischen Datenbank gelistet sind. Und, nun ja: Es wird sich auch nichts an der Tatsache ändern, dass der einzige perfekte Mord der unentdeckte Mord ist. "Wenn sie am primären Ereignisort, im häuslichen Umfeld etc., so kaschiert werden, dass niemand Verdacht schöpft, dass ein Tötungsdelikt passiert ist." Das könne auch bei einer Leiche passieren, die keine äußeren Verletzungen zeigt: Stichwort spezielle Gifte. Sofern die aber vorhanden sind, stehen die Chancen sehr gut, dass ein Mord aufgedeckt wird. Mindestens so gut wie sonntags ab 20:15 Uhr im Ersten.
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