Covid-19 Wie wahrscheinlich ist eine neue, gefährliche Corona-Variante aus China?
Hauptinhalt
05. Januar 2023, 15:45 Uhr
Im Reich der Mitte leiden derzeit wohl viele Millionen Menschen an Covid-19. Befürchtungen wurden laut, dass daraus eine neue, tödlichere Sars-CoV-2-Mutation entstehen könnte. Wie groß ist die Gefahr? Und was wissen wir derzeit über XBB1.5?
Schätzungen gehen von rund 250 Millionen Infizierten in China seit dem Ende der strengen Null-Covid-Politik Anfang Dezember 2022 aus – das wäre fast ein Fünftel der Bevölkerung. Darauf deuten geleakte Daten sowie Informationen aus Sozialen Medien hin. Die kommunistische Staatsführung spricht dagegen nur von einigen Tausend Fällen und veröffentlicht seit dem 24. Dezember gar keine tagesaktuellen Zahlen mehr.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die chinesische Regierung bereits zur Herausgabe von mehr Daten zum Verlauf der aktuellen Welle aufgefordert. Das vermutlich große Ausbruchsgeschehen in der Volksrepublik könnte laut Experten zur Entstehung neuer Sars-CoV-2-Varianten führen – auch zu gefährlicheren als den bisher bekannten? Und wie sollten Europa und Deutschland damit umgehen?
Neue Varianten wohl nur Frage der Zeit
Eine erste Reaktion besteht in der Empfehlung einer Testpflicht für Reisende aus China in der Europäischen Union. Darauf einigten sich die Gesundheitsexperten der EU-Mitgliedstaaten auf ihrem Treffen am Mittwochabend (04.01.2022). Demnach sollten Menschen, die aus China in die EU einreisen, einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein soll – verbindlich ist diese Regelung aber nicht. Deutschland wird sie aber einführen. Das teilte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag mit. Die deutsche Einreiseverordnung werde kurzfristig verändert, Reisende aus China benötigten künftig bei Reiseantritt nach Deutschland mindestens einen Antigenschnelltest, sagte der SPD-Politiker. Dazu kommt eine Empfehlung für Reisende, auf Flügen von und nach China Masken zu tragen. Während Johannes Nießen, der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, eine EU-weite Testpflicht gefordert hatte, sehen andere Experten eine solche Vorschrift als nicht zielführend an.
Und was ist mit der Entstehung von neuen Sars-CoV-2-Varianten? "Es ist möglich, dass etwas Neues entstehen könnte, da die chinesische Bevölkerung so groß ist", sagt George Gao dazu dem Fachjournal "Science". Der Wissenschaftler, bis Juli 2022 Leiter der chinesischen Seuchenschutzbehörde, betont, dass bisher keine neuen Varianten identifiziert worden seien – noch nicht. Bei einer lückenlosen Sequenzierung, wie sie in Europa bisher durchgeführt wurde, sei dies aber wohl nur eine Frage der Zeit. Um möglicherweise gefährlichere Varianten entdecken zu können, sei aber vor allem ein dichteres Monitoring in China sowie eine bessere Zusammenarbeit mit den Forschungseinrichtungen aus anderen Teilen der Welt unabdingbar.
Neue Varianten könnten auch in anderen Weltgegenden entstehen
Die Virologin Prof. Isabella Eckerle von der Universität Genf schlägt zusätzlich eine Sequenzierung von Reisenden aus China vor. Aus den bisherigen Erfahrungen heraus erwartet die Expertin aber keine größeren Überraschungen: "Da China im Vergleich zum Rest der Welt keine hohe Bevölkerungsimmunität hat, insbesondere nicht an natürlichen Infektionen, ist die Entwicklung einer Immunflucht-Variante in China vor diesem Hintergrund nicht besonders wahrscheinlich." Neue, besorgniserregendere Varianten könnten genauso gut in anderen Teilen der Welt entstehen, in denen nicht so viel sequenziert wird, so Eckerle. Oder auch im globalen Norden.
Omikron-Variante XBB.1.5 in den USA und Europa
Aktuell zeigt sich das in den USA und Europa mit der Omikron-Subvariante XBB.1.5. Die US-Gesundheitsbehörde CDC hatte Anfang des Jahres geschätzt, dass XBB.1.5 in der Woche vor dem Jahreswechsel rund 40,5 Prozent aller Neuansteckungen in den USA ausgemacht hatte. Am Mittwoch hatte sich bereits die Weltgesundheitsorganisation (WHO) besorgt über die neue Coronavirus-Variante gezeigt. Die erst seit Kurzem bekannte Variante sei so leicht übertragbar wie keine der bisher bekannten Varianten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist besorgt über die neue Coronavirus-Variante XBB.1.5. "Hoffentlich kommen wir durch den Winter, bevor eine solche Variante sich bei uns ausbreiten kann", schrieb er in der Nacht zu Donnerstag auf Twitter.
Prinzipiell zeige das Beispiel XBB.1.5, dass eine ungebremste Infektionsdynamik das Entstehungsrisiko neuer Varianten mit Selektionsvorteil begünstigen kann, erklärt Prof. André Karch vom Universitätsklinikum Münster. Bei der Überwachung dieser neuen Linien sei jedoch die Begrenzung auf Basis von Flugreisenden auf ein einzelnes Land nicht sinnvoll, so der Experte. Stattdessen müsste das Monitoring international abgestimmt in einer großen Zahl von Ländern durchgeführt werden.
Verantwortung liegt in China
Was die Entwicklung und das Monitoring in China angeht, so liegt die Verantwortung hier ganz klar in Peking, so Epidemiologie-Prof. Hajo Zeeb, da man sich von ein paar Tausend Reisenden kein umfassendes Bild vom Infektionsgeschehen machen könne. "Neuere Meldungen weisen ja darauf hin, dass bisher weiterhin Omikron-Varianten das Bild prägen", erklärt der Forscher vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen. Der jetzige Ausbruch laufe zudem schon seit Anfang Dezember mit vielen Infektionen und habe offensichtlich keine größere Veränderungen für die Welt außerhalb Chinas gehabt.
Grippe und RSV derzeit größere Probleme in Deutschland
Dr. Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) in Göttingen betont ebenfalls, dass die Gefahr von neuen, besorgniserregenden Varianten (VOC) aus China sehr schwer abzuschätzen sei. Durch eine Testpflicht könnte in dieser Hinsicht zumindest etwas Vorlauf gewonnen werden: "Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass es eine extrem problematische VOC geben sollte, kauft das einige Wochen Zeit, die sehr wichtig sein können". Für Deutschland sei das Testen in Verbindung mit einer Isolationspflicht aktuell nicht sinnvoll, so Priesemann. Denn damit versucht man normalerweise im Zielland eine möglichst niedrige Inzidenz zu erreichen – was in Deutschland gerade nötig ist.
Das liegt auch daran, dass bei uns aktuell Corona gar nicht das größte Problem ist. Nur neun Prozent der akuten Atemwegserkrankungsfälle entstünden durch Corona, viel häufiger kommen in diesem Winter Grippe und RSV vor, erklärt der Virologe Klaus Stöhr. Der frühere Leiter des Globalen Influenza-Programms der WHO spricht sich daher auch eher für Grippe- und RSV-Tests aus, denn diese würden seiner Meinung nach einen größeren Hebel bewegen.
Nicht äußern zu den Fragen einer möglichen gefährlichen Variante aus China und zur Zusammenarbeit mit den dortigen Kollegen bzw. zur Sinnhaftigkeit einer Testpflicht für Reisende aus China wollte sich auf Anfrage von MDR WISSEN die Berliner Universitätsmedizin Charité. Beim Robert Koch-Institut (RKI) teilte die Pressesprecherin mit, dass das RKI generell keine politischen Maßnahmen oder Situationen in anderen Staaten kommentiere. Ansonsten verwies man auf die Stellungnahme der Europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC. Darin heißt es unter anderem, dass die ECDC ihre Monitoring-Maßnahmen verstärken will und man in engem Kontakt mit der WHO und der chinesischen Seuchenschutzbehörde CDC stehe. Da die Bevölkerung in der EU eine deutlich höhere Immunität aufweist als die chinesische, sehe man aktuell nicht die Gefahr eines neuen Corona-Ausbruchs in Europa.
cdi
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 05. Januar 2022 | 12:00 Uhr