Eine Hand in einem lila Handschuh hält vier Spritzen mit Impfstoff in die Luft.
Eine vierte Impfung ist laut Experten nur bei Menschen mit einem stark geschwächten Immunsystem sinnvoll. (Symbolfoto) Bildrechte: IMAGO/ZUMA Wire

Covid-19 Corona: Weitere Booster-Impfungen für Gesunde frühestens im Herbst sinnvoll

03. Mai 2022, 15:12 Uhr

Weitere Corona-Impfungen, also ein zweiter oder sogar dritter Booster, sind laut Experten nur bei geschwächten Immunsystemen sinnvoll. Gesunde stören ihre Immunität durch weitere Impfungen wahrscheinlich sogar.

Ein Mann aus Magdeburg hat sich im vergangenen Sommer sage und schreibe 87 Mal gegen Corona impfen lassen – wohl vor allem, um auf diese Weise an Impfbescheinigungen zu gelangen, die er anschließend an Impfskeptiker weiterverkauft hat, die die Coronabeschränkungen auch ohne geimpft zu sein umgehen wollten. Diesen kuriosen Fall deckten Ermittler Anfang April auf. Ist der 62-Jährige dank der vielen Impfungen nun besonders gut geschützt vor dem Virus? Und würde sich auch für die übrige Bevölkerung ein zweiter Booster, also eine vierte Impfung, lohnen? Schließlich wird überzähliger Impfstoff derzeit wegen Ablauf der Haltbarkeit sogar entsorgt.

In einem Pressegespräch mit dem Science Media Center winken Immunologen hier entschieden ab. Sie betonen: Bei immunologisch gesunden Menschen stört eine zusätzliche Impfung eher den Prozess der Reifung der Immunantwort und schadet damit wahrscheinlich mehr, als sie nützt.

Mehr Booster: Weitere Impfungen könnten die Reifung der Immunantwort stören

Für die breite Bevölkerung sei eine weitere Booster-Impfung frühestens im Herbst sinnvoll, wenn ein an Omikron angepasster Impfstoff zur Verfügung steht. Wenn überhaupt. Denn in allen Geimpften läuft ein Prozess ab, der sich Affinitätsreifung nennt, erklärt Professor Andreas Radbruch, Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin. "Dabei nimmt die Konzentration der Antikörper gegen ein bestimmtes Virus in unserem Körper zwar ab. Doch diejenigen, die bleiben beziehungsweise neu gebildet werden, binden immer besser an die Rezeptoren des Virus."

Zu einem gewissen Anteil könnten solche gereiften Antikörper sogar neue, noch kommende Virusvarianten erkennen. Da gebe es zwar einen Wettlauf zwischen dem Virus und dem Immunsystem, aber unsere Abwehrkräfte seien teilweise sogar auf kommende Entwicklungen der Viren vorbereitet. Diesen Prozess der Reifung stören weitere Impfungen allerdings. "Denn dass die Virusantigene im Körper immer knapper werden, ist für die Reifung entscheidend". Bei jedem neuen Kontakt – etwa durch weitere Impfungen – würden auch wieder viele nicht so gut passende Antikörper gebildet.

Schleimhautimmuntät entscheidend – aber wenig verstanden

Geimpfte verfügen darüber hinaus nach wie vor meistens über einen guten Schutz vor schwerer Erkrankung. Das liegt an den T-Zellen, Teil der sogenannten zellulären Immunantwort, die bei einer Impfung gebildet wird. Diese T-Zellen, die eine Infektion zwar nicht verhindern können aber stark eindämmen, werden von den Mutationen bei Omikron kaum beeinflusst. Das zeigen immer weitere Studien.

Andreas Radbruch argumentiert zudem, dass auch die nachlassende Menge von Antikörpern im Blut nicht der Grund dafür ist, dass es zu zehntausenden Impfdurchbrüchen gekommen ist. Sondern dabei spiele vielmehr eine Rolle, wie viele Antikörper von dort auf die Schleimhäute der Atemwege gelangen. Das passiere in der Regel nur eine relativ kurze Zeit nach der Impfung. "Dieser Prozess ist leider noch sehr schlecht verstanden", sagt Radbruch. Unklar sei daher, wie sich die sogenannte Schleimhautimmunität später wieder steigern lasse.

Immungeschwächte Menschen sollten sich öfter Boostern

Eine Ausnahme sind Menschen, deren Immunsystem stark geschwächt ist. Wer etwa mit einer Chemotherapie gegen Krebs behandelt wird, wer immunschwächende Medikamente einnehmen muss nach einer Organtransplantation oder wer sehr alt (über 70 Jahre) und daher geschwächt ist, für den könnten weitere Booster-Impfungen durchaus sinnvoll sein, so wie es die ständige Impfkommission auch empfiehlt, betont Christine Falk. Die Immunologin von der Medizinischen Hochschule Hannover ist auch Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. "Bei solchen Menschen kann auch ein Antikörpernachweis bei einer Impfung sinnvoll sein, einfach, damit man sehen kann, ob es überhaupt eine Immunreaktion gibt."

Auch Professor Christoph Neumann-Haefelin von der Uni Freiburg hält es für sinnvoll, immungeschwächte Menschen wiederholt zu impfen. "Deren Immunsystem springt oft erst nach der dritten, teilweise auch erst nach der vierten Impfung an", sagt er mit Blick auf verschiedene klinische Studien. Für alle anderen Menschen gelte aber: Ein längerer Abstand bis zu einer erneuten Auffrischungsimpfung sei sehr sinnvoll. Mindestens sechs Monate sollten vergangen sein.

Echte Immunfluchtvariante könnte theoretisch entstehen

Dass sich das Coronavirus ähnlich schnell verändern könne wie der Grippeerreger Influenza, sei mit Blick auf die bisherige Entwicklung eher unwahrscheinlich. Auch die stark mutierte Omikronvariante sei in weiten Teilen noch mit dem ursprünglichen Virus identisch. Eine jährlich wiederholte Impfung mit einem angepassten Impfstoff werde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nötig.

"Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber theoretisch kann es passieren, dass eine Variante entsteht, die der Immunität durch die T-Zellen tatsächlich ausweichen kann", räumt Neumann-Haefelin ein. In diesem Fall nütze eine Impfung mit den bestehenden Impfstoffen aber nichts, dann müssten sie zwingend angepasst werden. "Zum Glück steht uns durch die mRNA-Technologie eine Methode zur Verfügung, wie wir sehr schnell zu angepassten Impfstoffen kommen können", sagt er.

Immunität gegen Sars-CoV-1 nach 19 Jahren noch vorhanden

Dass dieses Szenario sehr unwahrscheinlich ist, zeigt laut Andreas Radbruch aber die Erfahrung mit dem Coronavorgänger Sars-CoV-1. Dort haben Tests gezeigt: Menschen, die das Virus vor 19 Jahren hatten, haben heute noch Antikörper im Blut, die den Erreger ausschalten können.

(ens)

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