Schottergarten vor einem Einfamilienhaus
In einigen Bundesländern wurden solche Schottergärten verboten, da sie nur wenigen Tieren und Pflanzen einen Lebensraum bieten. Bildrechte: IMAGO/Arnulf Hettrich

UN-Artenschutzkonferenz COP15 Biodiversität: "Wollen uns Naturschützer alles verbieten?"

15. Dezember 2022, 11:38 Uhr

Im kanadischen Montréal läuft der UN-Naturgipfel, auf dem globale Ziele für den Schutz der Artenvielfalt festgelegt werden sollen. Experten warnen, dass vom Artensterben eine ebenso große Bedrohung für die Menschheit ausgeht wie vom Klimawandel. Aber für viele ist Artenschutz ein rotes Tuch und hat mit Bevormundung, Vorschriften und kompromisslosen Positionen zu tun. Wir haben mit Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Frankfurter Senckenberg-Forschungszentrums, über das Thema gesprochen.

Frage: Frau Böhning-Gaese, lassen Sie uns mit unserem Fleischkonsum beginnen. Hier wird ja oft ein Umdenken gefordert und manch einer fühlt sich deshalb dazu gedrängt, fleischlos leben zu sollen. Was würden Sie als Expertin für Biodiversität sagen: Sollten wir im Sinne des Naturschutzes komplett auf Fleisch verzichten? Will uns der Naturschutz quasi alle zu Vegetariern machen?

Böhning-Gaese: Das macht der Naturschutz ganz bestimmt nicht. Es ist in der Tat besser, weniger Fleisch zu essen, allein aus Gesundheitsgründen. Aus Sicht der Biodiversitätsforschung würde man sagen: Zurück zum Sonntagsbraten ist die richtige Strategie. Und das liegt daran, dass wir sehr diverse Lebensräume in Deutschland in der Agrarlandschaft haben. Und die, die am meisten verloren gehen, blühende Wiesen und Weiden sind. Und die gibt’s nur, wenn da Weidetiere stehen, zum Beispiel Rinder oder Schafe. Und die stehen da nur, wenn die Landwirtinnen und Landwirte ihr Fleisch verkaufen können. Deswegen: Einmal in der Woche ein wertvolles Fleisch von der Weide aus der Region ist ein Beitrag zum Biodiversitätsschutz.

Bleiben wir einmal bei den Tieren. Wenn Kinder kleine Tiere einfangen, um sie zu beobachten, bekommt man als Eltern immer öfter scharfe Kritik zu hören. Tiere seien freie Lebewesen, die in die Natur gehören und nicht in eine Beobachtungsbox. Das leuchtet natürlich ein, schafft aber auch Unsicherheiten. Sollten wir Ihrer Meinung nach Kindern verbieten beispielsweise Kaulquappen zu fangen?

Die Natur ist nicht ganz so empfindlich wie wir das manchmal denken, wenn wir gucken, wie in der Natur Wachstum von Populationen passieren kann. Und deswegen hat die Natur durchaus ein großes Potenzial, sich zu erholen und man muss dann einfach gucken, wo sind die großen Sachen, die die Natur schädigen. Und Kinder, die Kaulquappen fangen, gehören nicht dazu. Kinder müssen Natur erfahren und richtig erleben mit allen Sinnen. Mit den Händen, mit der Nase, mit den Augen, mit den Ohren. Letztlich geht’s drum, dass Kinder Natur kennenlernen und letztlich auch lieben lernen. Im Naturschutz wissen wir: man schützt nur, was man liebt und was man kennt.

Stehen Natur und Mensch eigentlich im Widerspruch zueinander? Macht der Mensch nur kaputt und Naturschutz ist ausschließlich Schadensbegrenzung oder kann der Mensch auch zur Artenvielfalt beitragen? Kann es Naturschutz eigentlich nur ohne Menschen geben? Beispielsweise auch ohne indigene Völker?

Naturschutz geht nur mit den Menschen. Und für den Naturschutz brauchen wir ein breites Spektrum von Maßnahmen. Da brauchen wir definitiv Wildnis, wo keine Menschen oder wenige Menschen oder nur ein paar indigene Gruppen leben können. Aber wir brauchen auch Naturschutz wirklich in der Fläche. Unsere Kulturlandschaften zum Beispiel, wo wir Streuobstwiesen haben, oder einen nicht sehr intensiven Weinanbau. Das sind auch unglaublich wertvolle Lebensräume für seltene Arten. Es gibt im Naturschutz eine Tradition des sogenannten Festungsnaturschutzes, wo man die Menschen aus den Gebieten wirklich entfernt. Und da gibt’s auch ganz schlechte Beispiele aus der Geschichte des Naturschutzes, der Nationalparks, aber in der Zwischenzeit sind wir da viel weiter und solche Gebiete werden in der Art nicht mehr angelegt. Sondern das geht immer mit den Menschen und vor allen Dingen mit indigenen Menschen, die in den Gebieten zum Teil schon Jahrtausende leben, die oft einen nachhaltigen Umgang mit der Natur haben und die dann auch das Recht haben müssen, in diesen Regionen weiter leben zu können

Würden Sie sagen, dass im Naturschutz in den letzten Jahren auch Fehler gemacht worden sind? Fehler, die dazu geführt haben, dass manche Menschen ihre Interessen im Naturschutz nicht mehr wiedergefunden haben und sich von Naturschützern nicht verstanden gefühlt haben?

Ich glaube, in der Gesellschaft sind auf beiden Seiten Fehler gemacht worden. Einmal im Naturschutz und andererseits zum Beispiel in der Wirtschaft oder der Politik, die dann die Natur nur als Ressource wahrgenommen hat, die wir nach Belieben ausbeuten können. Und der Naturschutz hat dem ein ähnlich starkes Bild entgegengesetzt, dass Naturschutzgebiete, das Nationalparks quasi heilige Räume sind, in denen man esoterische oder spirituelle Naturerfahrungen machen kann und wo das dann nur gelingt, wenn man keinen Menschen sieht oder hört. Wir brauchen da einen dritten Weg, der dazwischenliegt. Nämlich ein Miteinander von Mensch und Natur. Solche Wildnisgebiete kann man auch nur schützen, wenn Menschen diese Erfahrungen machen können.

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cdi/pm

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 15. Dezember 2022 | 08:20 Uhr

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