Schüler lernen in einer Klasse.
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Bildungsbericht 2024 Immer noch zu wenig Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem

22. Juni 2024, 18:00 Uhr

Der Bildungsweg von Kindern in Deutschland hängt weiterhin sehr stark von Umständen ab, in die die Kinder "hineingeboren" wurden. Von Chancengerechtigkeit kann noch keine Rede sein.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
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Der 436 Seiten lange Bildungsbericht 2024 liefert viele, teils beunruhigende Erkenntnisse. Hauptsächlich fehlt es im deutschen Bildungswesen an Personal und an Geld.

Aus den Daten, die dem Bericht zugrunde liegen, geht aber noch etwas sehr eindrücklich hervor: Das Leben von Kindern, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, ist, statistisch gesehen, mehr oder weniger vorgezeichnet. Dem deutschen Bildungssystem gelingt es im Zusammenspiel mit Eltern und sozialem Umfeld der Kinder viel zu selten, Chancengleichheit fürs spätere Leben herzustellen.

Wenn Eltern beispielsweise selbst keinen Schul- und Berufsabschluss haben, dann ist es deutlich unwahrscheinlicher, dass ihr Kind die (Fach-) Hochschulreife erlangt als wenn die Eltern einen Abschluss haben. 42,6 zu 73,7 Prozent – das ist ein beträchtlicher Unterschied. Umgekehrt ist die Quote der Kinder, die nur den sogenannten "ersten Schulabschluss" erreichen (im Normalfall nach der achten Klasse) bei Eltern ohne Abschluss mehr als viermal so hoch wie bei Eltern mit Abschluss (28,2 zu 6,8 Prozent).

Bildungsbezogene Risikolagen: Fehlender Abschluss der Eltern, Erwerbslosigkeit, Armut

Der fehlende Schul- und Berufsabschluss der Eltern ist eine von drei im Bericht benannten "bildungsbezogenen Risikolagen", in denen Kinder aufwachsen. Die anderen beiden sind Erwerbslosigkeit der Eltern und Armutsgefährdung. Und oft bedingen sich alle drei gegenseitig. Fast die Hälfte der Kinder mit Eltern ohne Abschluss wächst auch in Bedingungen unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze auf. Das heißt, die Familie hat finanziell monatlich weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung.

Kinder mit Einwanderungsgeschichte haben es besonders schwer

Wie viele Kinder mit solchen Risikolagen sind das nun aber eigentlich? Bei dieser Frage lohnt sich eine Unterteilung in Familien mit und ohne Einwanderungsgeschichte. Ohne Einwanderungsgeschichte ist es genau jedes fünfte Kind, das in mindestens einer der drei Risikolagen aufwächst. Das ist schon ein recht hoher Wert. Aber mit Einwanderungsgeschichte sind es sogar drei von fünf Kindern mit mindestens einer der drei Risikolagen. Und jedes zehnte ist von allen drei Risiken gleichzeitig betroffen.

Das führt dazu, dass in Bundesländern, in denen es mehr Familien mit Einwanderungsgeschichte gibt, tendenziell auch mehr Kinder in bildungsbezogenen Risikolagen aufwachsen. So ist in Bremen gar die Mehrheit der Kinder (51,5 Prozent) von mindestens einer Risikolage betroffen, in Nordrhein-Westfalen sind es 37,9 Prozent. In Brandenburg und Sachsen dagegen "nur" 22,8 beziehungsweise 24,8 Prozent.

Chancengerechtigkeit für Kinder: Ungleichheit schon ab der Geburt

Ab dem kommenden Schuljahr 2024/25 gibt es das "Startchancen-Programm", bei dem über zehn Jahre hinweg insgesamt 20 Milliarden Euro aus Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden, von denen 4.000 Schulen in sozial benachteiligten Lagen profitieren sollen. Dieses Programm dürfte die Lage verbessern, allerdings nicht von Grund auf.

Denn die Unterschiede beginnen schon viel früher. Kinder, die in ein Elternhaus mit niedrigem Bildungsabschluss "hineingeboren" werden, erleben schon mit der Geburt eine Ungleichbehandlung. Ihre Eltern nehmen, abgesehen von der Schwangerschaftsberatung, deutlich weniger Förder- und Unterstützungsangebote wahr.

Noch eklatanter wird es dann im Kleinkind-Alter, wenn man dem Bildungsbericht folgt, der die Daten für 2023 aus einer Stichprobe von mehreren Hundert Personen gezogen hat. Demnach werden Angebote wie Baby-Schwimmen, Prager‑Eltern‑Kind‑Programm (PEKiP), Krabbelgruppe, Eltern-Kind-Gruppe und Eltern-Kind-Turnen mit großer Mehrheit von Eltern mit hohem Bildungsabschluss wahrgenommen. Mit mittlerem Bildungsabschluss gab es schon deutlich weniger Elternteile. Und mit niedrigem Abschluss kein einziges. Null Prozent, überall.

Und ganz ähnlich geht es dann weiter, wenn das Kind zwei bis fünf Jahre alt ist. Auch bei Förderangeboten für diese Kinder waren in mehreren Hundert Stichproben so gut wie keine Elternteile mit niedrigem Bildungsabschluss vertreten.

Kann sich daran etwas ändern? Ja, sagt Susanne Kuger, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), die davon überzeugt ist, dass solche Angebote positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder haben. Sie glaubt, dass man auch formal niedrig gebildete und armutsgefährdete Familien dafür gewinnen kann: "Mit aufsuchenden Hilfen, also dort, wo man auf die Familien zugeht, werden durchaus Eltern und Kinder erreicht, die sonst unter dem Radar fliegen und vielleicht verloren gehen würden", so Kuger.

Links/Studien

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 17. Juni 2024 | 17:50 Uhr

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