Feature Wenn es im Wald wispert, ächzt und knackt – wie Bäume und ihre Artgenossen "reden"
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27. Februar 2023, 17:34 Uhr
Pflanzen können mehr als man sieht. Denn ihre Vernetzung erfolgt unterirdisch oder unsichtbar über chemische Duftstoffe. Das hilft Bäumen und ihren Artgenossen beim Überleben. Das MDR KULTUR Feature nimmt Sie mit in den Wald, wo es wispert, ächzt, knackt und Wissenschaftler die Bäume belauschen.
Mit dem Wald verbinden wir vieles: Erholung, Geheimnisse, Mythen. Im Wald hören wir vieles: unsere Schritte, Vögel, das Knacken von Zweigen, das Rauschen der Blätter. Doch was geht im Innern des Baumes vor?
Der Wald als Forschungslabor
Das untersuchen seit etwa zehn Jahren Schweizer Forscher um den Biologen Dr. Roman Zweifel. In Birmensdorf nahe Zürich gibt es einen Wald, indem Bäume verkabelt sind. Sie werden vermessen und belauscht. Hochsensible Mikrofone und Sensoren nehmen die Geräusche unterhalb der Rinde auf. Man hört eine ganze Menge: z. B. das Krabbeln von Ameisen, die zu den Blattläusen unterwegs sind. Oder Insekten, die im Gewebe innerhalb des Baumes nagen.
Man kann dem Baum auch beim Austrocknen zuhören. Wie Blutadern durchziehen Wassersäulen den Baum, durch die das Wasser auf und ab fließt. Wenn ein Baum wenig Wasser bekommt, reißt diese Wassersäule in einzelnen Gefäßen des Baumes. Dann entstehen sogenannte Klickgeräusche. Doch alle Geräusche kann sich Dr. Roman Zweifel noch nicht erklären: "Die Daten zeigen, dass Geräusche eben auch während der Nacht entstehen. Und da gibt es eben ein ganzes Spektrum von Geräuschen, die wir nicht zuordnen können. Wir versuchen es schon seit mehreren Jahren, aber irgendetwas verstehen wir noch nicht."
Die Daten zeigen, dass Geräusche eben auch während der Nacht entstehen.
Tief unter der Erde
Tief unter der Erde wächst das Leben, das hoch bis in die Baumkronen ragt. Der Baum ist das größte Geschöpf der Pflanzenwelt und hat – wie seine Artgenossen – erstaunliche Fähigkeiten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen diese seit langem. Bereits 2005 trafen sie sich zum ersten internationalen Symposium zum Thema "Pflanzenneurobiologie", einem neuen Aspekt in der Pflanzenforschung, den aber auch Charles Darwin und sein Sohn Francis bereits vor gut 150 Jahren untersuchten. In ihren Beobachtungen hatten sie aufgeschrieben: Pflanzen hätten Sinne wie der Mensch und das Tier.
Der Zellbiologe Frantisek Baluska beschäftigt sich an der Universität Bonn mit den im Verborgenen liegenden Teilen der Pflanze: mit den Wurzeln. Für Baluska ein spannendes Universum, da Wurzeln sehr feine Strukturen hätten, die speziell zur Weiterleitung von Informationen dienten. Er hat u.a. herausgefunden, dass sie sich in Richtung einer Schallwelle von etwa 200 Hertz hinbewegen. Diese Frequenz hat das Geräusch von strömendem Wasser. Der Boden dient den Pflanzen also als Schallträger: sie nehmen Schwingungen wahr und fangen sie auf. Wie gezielt das alles geschieht, darüber ist sich Baluska noch nicht im Klaren.
Zeichen einer pflanzlichen Sprache
Und so gibt es noch mehr Beispiele: Pflanzen nehmen z.B. Gerüche wahr und produzieren selber welche. Millionen von chemischen Verbindungen bilden Zeichen einer pflanzlichen Sprache, die der Mensch noch nicht vollständig entschlüsseln kann. Pflanzen produzieren Stresshormone, nehmen Gefahr wahr und reagieren darauf. Etwa wenn Fressfeinde sie angreifen. "Die können sich die sogenannten Bodyguards anhand von Duftstoffen holen, die dann die Parasiten fressen", erklärt Prof. Dr. Frantisek Baluska, Biologe an der Universität Bonn. "Zum Beispiel die Tomatenpflanzen, wenn zu viel Raupen kommen, dann können sie durch Duftstoffe die Raupen zum Kannibalismus treiben, das heißt, die haben sehr gute Strategien, die würde man nie erwarten von einer Pflanze."
Die können sich dann die sogenannten Bodyguards anhand von Duftstoffen holen, die dann die Parasiten fressen.
Die Gesellschaft für Pflanzenneurobiologie hat sich inzwischen in die Gesellschaft für Pflanzenkommunikation und -verhalten umbenannt, da Pflanzen über kein Nervensystem verfügen.
Würde der Kreatur
Pflanzen überleben seit Jahrtausenden Klimaveränderungen. Und das, obwohl sie sich nicht von der Stelle bewegen können. Heute brauchen sie unseren Schutz. Denn der Mensch ist zwar von der Natur abhängig, geht aber nicht besonders sensibel mit ihr um. Als erstes Land der Welt hat die Schweiz 2000 die Würde der Kreatur in ihre Verfassung aufgenommen. So steht im Artikel 120 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: "Der Mensch und seine Umwelt sind vor Missbräuchen der Gentechnologie geschützt. Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten."
Der Schweizer Soundkünstler und Umweltwissenschaftler Marcus Maeder hat größten Respekt vor der Natur und will sie hörbar machen. Er hängt Mikrofone an Bäume und nimmt sie auf. Die bioakustischen Geräusche in ihnen inspirieren Maeder zu eigenen Klängen. Er vermischt sie und macht Natur so musikalisch erfahrbar. Seit Sommer 2021 beobachtet er das Aclatobel im Safiental akustisch. Er hat die Daten aufbereitet und visualisiert. Es ist sein Weg, um auf Klimaveränderungen hinzuweisen.
Links/Studien
Den Soundatlas von Markus Maeder finden Sie hier.
Roman Zweifel hat viele spannende Waldprojekte. Hier die Übersicht über seine Forschung.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Feature | 25. Februar 2023 | 09:00 Uhr