Astronomie Wie der schnelle Sonnenwind entsteht
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21. August 2023, 12:28 Uhr
Die Sonne ist uns so nah und doch wissen wir nun wenig über ihre Prozesse. Ein Beispiel dafür ist die Entstehung von Sonnenwinden. Ein Forschungsteam konnte dieses Rätsel nun entschlüsseln. MDR WISSEN hat mit dem Sonnenexperten Volker Bothmer über das Studienergebnis gesprochen.
Besonders in den dunklen Monaten kann man auf der Erde Polarlichter erkennen. Je näher die Sonne an ihre Maximalphasen der Sonnenaktivitäten rückt, desto eher können solche bunten Lichter auch in den frühen Sommermonaten beobachtet werden. Genau dies war in diesem Jahr auch über (Mittel-)Deutschland zu bewundern. Verursacht werden diese phänomenalen Lichtschauspiele durch den Sonnenwind, der auf die Erde trifft.
Das Problem an dem Sonnenwind ist, dass die astronomische Fachwelt diesen bisher kaum versteht oder vielmehr die Prozesse, die zu seiner Entstehung führen, nicht nachvollziehen kann. Bis jetzt. Denn einem Forschungsteam ist es gelungen, etwas von diesem Geheimnis zu lüften. Dies gelang ihnen mit der Hilfe von Daten der Sonnen-Raumsonde Parker Solar Probe von der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa.
Die Raumsonde näherte sich auf etwa 20,9 Millionen Kilometer an die Sonne an (zum Vergleich: die Erde ist rund 149,6 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt.) Bei dem Annäherungsflug konnten die Instrumente der Sonde feine Strukturen des Sonnenwindes aufspüren, die in der Nähe der Photosphäre – also der untersten Schicht einer Sternenatmosphäre – entstehen.
Es gibt schnellen und langsamen Sonnenwind
MDR WISSEN hat mit dem Sonnenexperten Volker Bothmer von der Universität Göttingen über die Ergebnisse der Studie gesprochen. Er selbst war zwar nicht an der Studie beteiligt, arbeitet aber gemeinsam mit der Nasa an der wissenschaftlichen Erforschung der Sonne durch Parker Solar Probe. Zudem kennt er den Autor der Studie, der einen viel diskutierten Vortrag zur diesjährigen internationalen Sonnenwind-Konferenz (International Solar Wind Conference) in Kalifornien gehalten hat.
Bothmer zufolge hatte die Fachwelt lange Zeit angenommen, dass aufgrund der enormen Schwerkraft der Sonne keine Atmosphärenteilchen entweichen könnten. In den 1960er- bis 1970er-Jahren konnten dann die Daten mithilfe der Mariner-Raumsonden der Nasa "verschiedene Geschwindigkeiten von Sonnenströmen festgestellt" werden, einige von ihnen periodisch mit der Sonnenrotationszeit.
Der langsame Sonnenwind bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 400 Kilometern pro Sekunde (also mit etwa 1.440.000 Stundenkilometern), der schnelle erreicht eine Geschwindigkeit, die zwischen 600 und 800 Kilometern pro Sekunde (etwa 2.160.000 bis 2.880.000 Stundenkilometern) liegt. "Beide Sonnenwinde unterscheiden sich in Plasmazusammensetzung, -temperatur, -dichte und der Magnetfeldstärke. Es ist also nicht nur ein Wind von Teilchen, sondern das von der Sonne erzeugte Magnetfeld wird im Sonnenwind nach außen transportiert", erklärt Bothmer, "der Sonnenwind ist ein von der Sonne abströmendes magnetisches Plasma."
Der lange Weg zur Erforschung der Sonne
Bis hierhin ist das für die Fachwelt bekannte Materie. Woher diese Teilchen genau kommen und wie sie letztendlich ins Weltall gelangen können, war dagegen ein Rätsel. Woher stammt also die nötige Energie, damit die Winde die Sonne verlassen können? "Man spricht auch von der Heizung der Korona, die die Entweichung des Sonnenwindes hervorruft", sagt Bothmer in Bezug auf die äußerste Schicht der Sonnenatmosphäre. Dabei verweist er auf die Vorhersagen von Eugene Newman Parker, der den Begriff des Sonnenwindes 1959 einführte. Nach ihm ist auch die Nasa-Raumsonde benannt.
Parker hatte auf "variierende Magnetfelder hingewiesen, die beim ständigen Blubbern der Sonne durch Auftrieb an ihre Oberfläche kommen." Die Magnetfelder mit verschiedenen Polaritäten treten dabei zwangsläufig miteinander in Kontakt. Dadurch werden wiederum magnetische Kurzschlüsse hervorgerufen und elektrische Ströme erzeugt – ähnliches passiert auch bei der Entstehung von Elektronen im Magnetschweif der Erde. Für unser menschliches Augen tanzen dann Polarlichter über den Erdhimmel.
Wo liegt der Entstehungsort des Sonnenwindes?
Bereits 1949 hatte ein weiterer Wissenschaftler, Julius Bartels von der Universität Göttingen erkannt, dass die Sonne als Quelle regelmäßig wiederkehrender geomagnetischer Störungen verantwortlich sei. Diese beruhen auf einer 27-tägigen Periode, hervorgerufen durch die Rotation der Sonne. Das alles half damals aber nicht, den Ursprungsort des Sonnenwindes zu beziffern.
Erst durch die Ulysses-Mission, die zwischen 1992 und 1998 zum ersten Mal die Sonne umrundete und bis 2009 im Einsatz war, kam die Fachwelt der Entschlüsselung des Rätsels einen Schritt näher. "Mit den erstmaligen Flügen über die Pole der Sonne konnte der Zusammenhang der Koronalöcher mit schnellen Sonnenwindströmen unterschiedlicher Magnetfeldrichtungen bestätigt und detailliert erforscht werden", erörtert Bothmer.
"Koronalöcher treten vorwiegend über den Polen der Sonne auf. In Abhängigkeit vom Sonnenzyklus entstehen auch Ausläufer bis hin zum Sonnenäquator" – genau dann können die Sonnenwinde auch die Erde treffen. Wobei die Winde auch gen Erde geschleudert werden müssen. Und selbst dann ist unser Planet ein so kleiner Punkt, dass nicht jeder Sonnensturm, der im Weltraum unterwegs ist, auch zwangsläufig auf die Erde trifft.
Koronale Löcher können über viele Monate existieren und unterschiedlich groß oder geformt sein, erklärt der Sonnenforscher. Manche von ihnen können mit etwas Fantasie wie ein Rentier aussehen oder die halbe Sonne umfassen. Das hiesige Koronaloch war um die 29.000 Kilometer groß – die Erde passt mit ihren 12.742 Kilometern Durchmesser also allein in der Ausdehnung mehr als zweimal in dieses Loch hinein.
Die Löcher können schnell neu entstehen oder verschwinden, besonders zum Maximum der Sonnenaktivitäten hin (auf das wir uns gerade zubewegen). In dieser Phase ändert sich die Sonnenkorona stetig, teils innerhalb von Tagen oder im Verlauf von wenigen Stunden.
Die merkwürdigen Magnetfeldlinien der Sonne
Das Magnetfeld ist in den Koronalöchern viel weniger ausgeprägt, als es beispielsweise bei den Sonnenflecken der Fall ist. "Aber wir haben auch in den Löchern kleine magnetische Bi-Pole – vergleichbar mit den Magnetfeldern der Erde an ihrem Nord- und Südpol. Auf der Sonnenoberfläche verbinden Magnetfeldlinien die unterschiedlichen Polaritäten der kleinen Bi-Pole. An den Sonnepolen dagegen laufen Magnetfeldlinien nach außen ohne Rückverbindung zur Sonne", erklärt Bothmer.
Man kann sich die Magnetfeldlinien wie lange Fäden vorstellen. Ähnlich wie bei einem Stabmagneten befinden sich auch auf der Oberfläche der Sonne überall Magnetfeldlinien. Hervorgerufen werden sie durch die Sonnenrotation und die dabei entstehenden induzierten Ströme und sie erzeugen im Sonneninneren schließlich das Magnetfeld der Sonne. "So ist das im Prinzip beim Erddynamo auch, aber die Erde ist natürlich kein Gasball wie die Sonne", berichtet der Sonnenexperte.
Diese feinen Koronastrahlen lassen sich beispielsweise bei einer Sonnenfinsternis recht gut beobachten. Und genau diese Feldlinien sind der Ursprungsort des schnellen Sonnenwindes. Laut einer Theorie bewegen sich die Sonnenwindteilchen durch Wellen, die durch die ständige Bewegung der Feldlinien entstehen. Bothmer beschreibt das Bild als "Surfer auf den Wellen", der dadurch an Energie gewinnt. Aber wie kann der Sonnenwind auf eine so hohe Geschwindigkeit kommen, dass er einfach abbricht und ins Weltall geschleudert wird?
Wie bekommt der Sonnenwind so hohe Geschwindigkeiten?
Die Raumsonde Parker Solar Probe konnte nun "erstmals Messungen von Feinstrukturen des Sonnenwindes zusammen mit dem Auftreten energiereicher Teilchenflüsse, die dem Sonnenwind überlagert sind, registrieren", sagt Bothmer gegenüber MDR WISSEN. Diese Beobachtung wurde dicht an der Sonne vorgenommen und in den Messungen der Magnetfeldrichtung des Sonnenwindes treten Richtungsänderungen mit wiederkehrender Regelmäßigkeit auf – sogenannte Switchbacks.
In der Granulation – die körnige Struktur von Sternoberflächen beziehungsweise der Sonnenoberfläche – kommt es nun "ständig zu magnetischen Kurzschlüssen, bei denen offen nach außen laufen Magnetfeldlinien mit auftauchenden Bi-Polen in Kontakt kommen". In den erzeugten elektrischen Feldern kommt es zu Beschleunigungen von verschiedenen Teilchen – denen mit der Energie des Sonnenwindes und anderen, die noch schneller sind.
Das Zusammenkommen der kleinen Bi-Pole mit den offenen Feldlinien einer magnetischen Polarität nennt man Interchange-Reconnection. Dabei werden kleine magnetisierte Plasmajets beschleunigt, die den Sonnenwind ergeben.
Er verweist aber auch darauf, dass nicht alle dieser Jets genügend Energie besitzen, damit die Protonen, Elektroden und wenige schwere Ionen nach außen abströmen können. Diese fallen dann einfach auf die Sonnenoberfläche zurück. Die nötige Fluchtgeschwindigkeit wird durch ständig auf der Sonne stattfinden, magnetische Kurzschlüsse erzeugt. Bei den Koronalöchern findet die Teilchenbeschleunigung ganz dicht über der Sonnenoberfläche statt, wo die Teilchen schon sehr schnell sind.
"Auf Sonnenoberfläche und Korona finden kontinuierlich Beschleunigungsprozess statt, die zu kleine Jets führen und zusammen den Sonnenwind hervorrufen werden. Daneben finden wir noch einen ganz langsamen Anteil an Sonnenwind mit Geschwindigkeiten um die 200 Kilometern pro Sekunde, der stetig aus der Korona entweicht." Es wäre also theoretisch auch möglich, dass der langsame Sonnenwind auf die benötigte Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt werden kann, um seine interstellare Reise anzutreten.
Ein universeller Vorgang fürs Universum
Laut dem Forschungsteam seien die koronalen Löcher wie eine Art Duschkopf, aus dem die geladenen Teilchen wie Wasserstrahlen herauskommen. Für Bothmer eine passende Umschreibung. Zudem seinen die Ergebnisse auch auf andere Sterne anwendbar: "Das ist ein universeller Vorgang, der bei rotierenden Sternen mit elektrisch leitender Materie in ihrem Inneren entsteht. Daher kann man die bei der Sonne mit Parker Solar Probe beobachteten Prozesse auf eine ganze Reihe anderer Sterne im Universum übertragen."
Die Sonnenerforschung ist noch lange nicht am Ende angelangt. Weitere Fragen über die Sonne und ihre Prozesse sind noch zu klären und Raumsonden wie Parker Solar Probe, der Solar Orbiter der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, die chinesische Raumsonde Aso-S oder das chinesische Radioteleskop Daocheng zur Sonnenbeobachtung helfen bei der Erforschung unseres nächsten Sterns.
Studien
Die Studie wurde am 7. Juni 2023 im Fachmagazin Nature veröffentlicht: Interchange reconnection as the source of the fast solar wind within coronal holes (Wechselwirkungsrückkopplung als Quelle des schnellen Sonnenwinds in koronalen Löchern).
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