UN-Artenschutzkonferenz im Dezember Forschende hoffen auf einen "Paris-Moment" für die Biodiversität
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12. November 2022, 15:00 Uhr
Die UN-Artenschutzkonferenz in Montreal soll im Dezember einen neuen Rahmen für die globale Biodiversität festlegen. Viele Forschende sind im Vorfeld der Konferenz angespannt, denn: die Zeit drängt – immerhin wurde die Konferenz mittlerweile vier Mal verschoben und besticht auch in den Vorverhandlungen nicht gerade durch Entscheidungsfähigkeit. Der Biodiversitätsschwund auf unserem Planeten nimmt unterdessen rapide zu.
Vom 7. Bis 19. Dezember findet die UN-Biodiversitätskonferenz in Montréal statt. Mit zwei Jahren Verspätung, wohlgemerkt – denn ursprünglich sollte die Konferenz bereits 2020 in China stattfinden. Mittlerweile wurde sie aufgrund der Corona-Pandemie vier Mal verschoben. Das globale Artensterben unterdessen legt leider keine Pandemie-Pause ein. Weltweit sind in den vergangenen 30 Jahren mindestens 25 Prozent der Insekten verlorengegangen, haben Forscher vom iDiv, dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig, errechnet.
Neue Leitlinien für den globalen Artenschutz
Das Ziel der UN-Konferenz ist dabei auch nicht gerade ein kleines: Es sollen neue Leitlinien für den globalen Arten- und Naturschutz festgelegt werden, die dann bis 2030 gelten. Dass die Konferenz nun bereits um zwei Jahre verschoben wurde, ist aus Sicht vieler Forscherinnen und Forscher dramatisch, denn: Je später ein Abkommen getroffen wird, desto später werden auch dessen Effekte eintreten.
Die Zeit drängt
Der Ökologe Henrique Pereira betont, der Kampf um unsere Biodiversität sei in einigen Regionen unserer Erde tatsächlich ein Wettlauf gegen die Zeit – wie beim Klimawandel: "Wenn wir in diesem Jahr keine Richtlinien einführen, wird es im nächsten und übernächsten Jahr zu einem irreversiblen Verlust an biologischer Vielfalt kommen, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann." Pereira forscht am iDiv und begleitet die Konferenz seit vielen Jahren.
Dass die Biodiversitätskonferenz in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben wurde, die Klimakonferenzen aber unterdessen stattgefunden haben, habe auch ein wenig einen symbolischen Charakter, kritisiert Andrea Perino, die ebenfalls am iDiv als Science-Policy-Koordinatorin arbeitet, also quasi an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik: "Ich glaube, das zeigt auch ein Stück weit, wie wichtig die Biodiversität gesehen wird, jetzt in der Weltgemeinschaft, im Vergleich zum Klima", kritisiert die Wissenschaftlerin. Dabei hängen Klimawandel und Artenschutz eigentlich unmittelbar zusammen.
Ich glaube, das zeigt auch ein Stück weit, wie wichtig die Biodiversität im Vergleich zum Klima gesehen wird.
Die Verhandlungen im Vorfeld der Biodiversitätskonferenz hätten zudem auch stagniert, sagt Perino. Das Problem sei, je häufiger sich Delegationen treffen, desto eher würden auch Punkte noch einmal diskutiert, in denen es eigentlich bereits Übereinstimmungen gegeben hätte. Denn zu Übereinkünften zu kommen, ist bei diesen großen, internationalen Konferenzen erwartungsgemäß kompliziert. Ein Beispiel: das deutsche Positionspapier alleine nimmt einen langen Weg hinter verschlossenen Türen, bevor es dann auf der UN-Konferenz eingebracht wird.
Verhandlungen nehmen einen langen Weg
Yves Zinngrebe forscht ebenfalls zu Biodiversitätsthemen und beschreibt: "Da hat man vorher die deutsche Position mit den ganzen Ressorts abgestimmt, bei Naturschutz ist das Länderebene, dann wahrscheinlich auch noch länderspezifische Sachen innerhalb der Länder, und dann hat man mit der EU eine EU-Position ausgehandelt. Das heiß, da ist wenig Spielraum, was dann noch passieren kann." Der Wissenschaftler arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und verfolgt die Biodiversitätskonferenzen seit vielen Jahren. Im Dezember wird er in Montréal als Beobachter vor Ort sein.
Es geht auch immer um nationale Interessen
"Vordergründig geht’s natürlich um die Zielformulierungen – Hintergründig gibt’s aber auch andere Interessen", betont der Forscher. So gingen beispielsweise einmal die Verhandlungen um marine Schutzgebiete nicht voran, weil Chile und Peru sich nicht einig gewesen seien, wo ihre marine Grenze verlaufe. Diese Dinge müsse man dann erst einmal ausräumen, bevor weiterverhandelt werden könne.
Bei der Artenschutz-Konferenz im Dezember hoffen viele Forschende auf einen sogenannten Paris-Moment, also auf wichtige und bahnbrechende internationale Einigungen, die denen der Pariser Klimaschutzkonferenz von 2015 gleichen. Damals einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf das 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der globalen Klimaerwärmung. Damals waren viele Staatschefs persönlich angereist, was einen Unterschied machen kann. Yves Zinngrebe betont, er hoffe, dass im Dezember dann auch Olaf Scholz oder Annalena Baerbock nach Kanada reisen, um an den Verhandlungen persönlich teilzunehmen.
Die Landwirtschaft trifft die Hauptschuld am Artenschwund
Bislang hielten sich die Zusagen aber in Grenzen, dabei zeigt auch eine aktuelle Studie, dass der Artenschwund ein politisches Problem ist: Hauptverantwortlich für den Verlust der biologischen Vielfalt sei die Umwandlung von Wäldern und Grünland in landwirtschaftliche Flächen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie im Magazin Science. Der Klimawandel ist zwar ebenfalls eine relevanter Faktor für den Artenschwund, liegt in der aktuellen Studie aber lediglich auf Platz vier. Davor finden sich auf den Plätzen zwei und drei die ausbeuterische Nutzung wildlebender Pflanzen und Tiere durch Fischerei, Holzeinschlag, Handel und Jagd sowie die Umweltverschmutzung.
Links/Studien
Hintergrundartikel Natur und Artenvielfalt schützen! beim WWF.
Die aktuelle Studie The direct drivers of recent global anthropogenic biodiversity loss gibt es hier zum Nachlesen.