Hitze und Trockenheit Wie der Klimawandel die Artenvielfalt verändert
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09. November 2022, 10:21 Uhr
Klimawandel und Artenvielfalt greifen wie zwei Rädchen ineinander, das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Je heißer die Temperaturen, je mehr Arten sterben. Wir wollen die grundsätzlichen Mechanismen begreifen und erklären, was da abläuft und zeigen: Artenschutz ist gleich Klimaschutz. Klimaschutz ist gleich Artenschutz. Fangen wir mit letzterem an und zeigen, wie die Klimaerwärmung das Artensterben verstärkt, bei uns in Mitteldeutschland.
Wie wirkt sich Trockenheit am und im Fluss aus?
Was eignet sich besser, die Folgen der heißeren Tage und der Trockenheit zu beschreiben, als ein Fluss. Denn an dem kann man die Trockenheit messen. Und der Fluss, der durch Deutschland noch relativ frei fließen kann, das ist die Elbe. Am Flusskilometer 280 steht der Ökologe und Buchautor Ernst Paul Dörfler. Seine Schuhe sind leicht im Dünensand eingesunken. Direkt vor ihm fließt das Elbe-Wasser langsam in Richtung Hamburg.
Jahrelang Niedrigwasser in der Elbe
"Die Elbe hat 2013 das letzte Hochwasser erlebt. Seitdem haben wir kein Hochwasser und auch überhaupt kein Mittelwasser mehr. Stattdessen messen wir auf der Elbe fast durchgängig Niedrigwasser oder auch extremes Niedrigwasser", erklärt Dörfler. Hinter ihm wachsen grüne Auenwiesen und Wälder – doch auch viele Bäume sind abgestorben. "Auf der einen Elbseite sehen wir, dass fast alle Eschen kahl sind, abgestorben", erklärt Dörfler. "Auf der anderen Seite sehen wir, wie die Eichen absterben, weil der Wasserstand durch die Elbvertiefung und durch die Klimaveränderung so dramatisch gesunken ist."
Artenreicher Auwald in Gefahr
Laut Dörfler sind jedoch nicht nur die Bäume in den Auwäldern vom Sterben bedroht, sondern der Auwald als gesamter Lebensraum. "Die Auenlandschaft ist unser tropischer Regenwald. Es ist der artenreichste Lebensraum, den wir in Mitteleuropa haben", erklärt Dörfler. "Wenn dieser Lebensraum stirbt, wenn diese Bäume verschwinden, dann verschwinden auch die Lebewesen."
Störche bekommen schon jetzt weniger Junge
Frösche, Kröten, Unken, Kiebitz, Feldlerche, Kranich und verschiedene Vögel die Feuchtwiesen zum Brüten brauchen – sie alle brauchen die Auwälder und viele stehen bereits jetzt auf der roten Liste der bedrohten Arten. Laut Dörfler finden selbst Störche, die "seit Jahrhunderten in der Aue brüten", oft keine Regenwürmer und keine Frösche mehr. "Der Nachwuchs der Störche hat sich schon jetzt reduziert. Statt drei bis vier Jungen bekommen sie jetzt nur noch ein bis zwei Jungen im Jahr", erklärt Dörfler. "Das bedeutet auf lange Sicht nicht weniger, als dass der Storch ausstirbt, weil ein bis zwei Nachkommen zu wenig sind, um die Art zu sichern."
Mitteleuropa ist Hotspot des Klimawandels
Rene Orth vom Max-Plack-Institut in Jena erforscht die Wechselwirkungen zwischen Hydrologie, Biosphäre und Klima. In dem Rahmen hat er sich globale Klimamodelle angeschaut und errechnet, wo die Vegetation besonders durch Hitze beeinflusst wird. Er hat vier Hotspotregionen gefunden. Der Süden Kanadas, die Amazonasregion, Nord und Osteuropa und auch Mitteleuropa ist dabei. Deutschland gehört also dazu. Der Hydrobiologe schaute sich nicht einzelne Arten an, sondern Regionen, also ganze Vegetationszonen. Auch er hat gesehen, dass die hohen Temperaturen das Problem für die Artenvielfalt sind und erklärt es an einem Beispiel, das jeder kennt.
Höhere Verdunstung durch heiße Sommer
"Wenn ich Wäsche an einem heißen Tag draußen trockne, ist sie nach einer Stunde trocken. Wenn ich das an einem Tag mache, an dem es mit 15 Grad deutlich kühler ist, dauert das deutlich länger, bis die trocken ist", erklärt Orth. "Also diese zunehmenden Temperaturen und die zunehmend warmen Sommer, führen dazu, dass mehr Wasser verdunstet und weniger Wasser für die Pflanzen verfügbar im Boden zurückbleibt. Es heißt aber nicht, dass es weniger regnet. Also es geht mehr Wasser raus, es kommt nicht weniger rein."
Wie viel Wasser haben Pflanzen zur Verfügung?
Wasserverfügbarkeit ist also der Dreh- und Angelpunkt für Artenreichtum in einer Region. Da verändert sich in Deutschland gerade sehr viel. Waldökologe Henrik Hartmann vom Max-Planck-Institut in Jena geht da pragmatisch ran. "In den nördlichen Regionen, in den es bislang wenig Vegetation gab, wird bereits eine Vergrünung beobachtet", erklärt Hartmann. "Der Wald wächst dort langsam hinein." Die Natur werde sich anpassen und verändern. "Das Problem haben wir, der Mensch", sagt Hartmann. "Weil uns das Holz ausgeht, die Städte heißer werden, Insekten nicht fleißig Blüten bestäuben und wir dadurch weniger Früchte ernten. Ohne die Klimaerwärmung, hätten wir diese Probleme vielleicht nicht."
Entsiegelung wieder rückgängig machen
Theoretisch könnten wir den Klimawandel abbremsen, indem wir der Natur wieder das Wasser lassen, was ihr natürlicherweise zusteht. So, wie wir unser Land zubetoniert haben, Moore trockengelegt, Flussauen zugebaut, mit derselben Energie können wir auch einiges wieder rückgängig machen und somit wieder ausreichend landschaftliche Biodiversität schaffen. Das klingt verrückt. Ist aber machbar. Die Klimaerwärmung könnten wir so abfedern. Denn intakte Ökosysteme bieten nicht nur Lebensraum, sie kühlen auch und binden viel Kohlenstoffe.
(Annegret Faber/tom)