Brustkrebs Diagnose Krebs: Die Angst vor dem Rückfall! Was können wir tun?
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25. Mai 2023, 22:37 Uhr
Im Frühjahr 2022 ist bei MDR WISSEN Podcast-Host Daniela (36) Brustkrebs diagnostiziert worden. Nach Chemotherapie, Bestrahlung und Operation dann die erlösende Nachricht: In der betroffenen Brust wurden keine Krebszellen mehr gefunden. Eine riesige Erleichterung! Und doch schwebt seit der Erkrankung stets eine dunkle Wolke über Daniela: Was, wenn der Krebs wiederkommt? Vielleicht sogar schlimmer als beim ersten Mal?
Der 12. September 2022 ist so etwas wie der zweite Geburtstag für Reporterin Daniela vom MDR WISSEN Podcast "Meine Challenge". An diesem Tag hat sie nach Chemotherapie und Operation die wohl beste Nachricht überhaupt bekommen: "Wir haben keine Krebszellen – oder Vorstufen davon – mehr im entnommenen Brustgewebe gefunden. Frau Schmidt, Sie sind krebsfrei!" Doch im gleichen Moment der großen Erleichterung baute sich über Danielas Kopf eine bedrohlich dunkle Wolke auf: krebsfrei, ja – für den Moment! Denn was ist, wenn das nicht so bleibt?
Rückfallquote: fünf bis zehn Prozent
Die Angst vor dem Rezidiv, also dem Rückfall, ist eine Angst, die wohl jede und jeder ehemalige Krebs-Erkrankte kennt. Und das sind viele: "Aktuell erkranken in Deutschland jedes Jahr circa 510.000 Menschen an Krebs", sagt Sven Weise. Er ist Geschäftsführer der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft. "Mehr als jeder zweite Mann und mehr als jede dritte Frau erkrankt statistisch gesehen im Laufe seines oder ihres Lebens mindestens einmal."
Und nicht immer ist der Albtraum nach einer erfolgreichen Behandlung wirklich vorbei: "Bei fünf bis zehn Prozent der Brustkrebs-Patientinnen kommt es innerhalb von fünf bis zehn Jahren nach der Erstbehandlung zu einem neuen Tumor-Wachstum, manchmal in der gleichen Brust, also zu sogenannten Lokal-Rezidiven", so Weise. "Dazu kommt noch die Angst der Betroffenen, dass ein Rezidiv mit Metastasen auftritt. Das ist sehr selten, kann aber passieren."
Risikofaktor Tumor-Biologie
Bei der Frage, wie wahrscheinlich ein Rezidiv ist und wie aggressiv dieses ausfällt, spielt die sogenannte Tumor-Biologie eine entscheidende Rolle. Dazu gehören Faktoren wie die Wachstums-Geschwindigkeit des Tumors und der Grad der Entartung der Zellen, sprich: Wie sehr sich die Krebszellen von den normalen Körperzellen unterscheiden.
Auch die Frage nach dem Hormon-Rezeptorstatus ist bei Brustkrebs zentral, also ob der Tumor auf die Hormone Östrogen und Progesteron reagiert – ist dies der Fall, kann mit einer sogenannten Anti-Hormon-Therapie nach der Entfernung des Tumors das Risiko eines Rückfalls gesenkt werden. Bei manchen Tumoren lassen sich zudem bestimmte Wachstums-Rezeptoren, die sogenannten HER2-Rezeptoren, mit Antikörpern blockieren. Eine detailliertere Übersicht zu den verschiedenen Ausprägungen von Brustkrebs bietet zum Beispiel die Deutsche Krebsgesellschaft.
Die Märchen von Anti-Krebs-Wundermitteln
Der tiefe, existenzielle Wunsch, ein Rezidiv zu verhindern, führt bei manchen ehemals Krebskranken dazu, dass sie sich an jeden nur denkbaren Strohhalm klammern. "Globuli gegen Krebs, Chlorbleiche gegen Krebs, Geistheilung gegen Krebs, auch per Fernbehandlung – das sind nur ein paar der Angebote, die mir im Internet begegnet sind und die anscheinend auch ihr Publikum finden. Ich dachte manchmal echt, ich muss schreien", berichtet Podcast-Host Daniela.
Auch Sven Weise von der Krebsgesellschaft Sachsen-Anhalt beobachtet, dass die verzweifelte Suche nach Informationen auf Irrwege führen kann. Das richtige Abwägen sei da manchmal schwer: "Es ist vielleicht auch nicht immer alles falsch. Im Reagenzglas kann es durchaus sein, dass irgendeine Substanz, wenn sie auf die Tumorzelle fällt, tatsächlich Krebszerstörend wirkt. Aber eben nicht unbedingt in unserem Organismus."
Nicht jeder Saft, den ich trinke, kann dazu führen, dass mein Krebs verschwindet.
Klar, könne aus solchen Erstbeobachtungen irgendwann, nach jahrelanger Forschung, ein erfolgreicher Therapieansatz werden. Als Beispiel nennt Weise die Taxane aus der Eibe, eine Art natürliches Chemo-Medikament, die heute etwa bei metastasiertem Brustkrebs zum Einsatz kommen können. Aber: "Es hat 30 Jahre Forschung gebraucht, um das so zu synthetisieren, dass es jetzt zur Heilung helfen kann."
Patientinnen können selbst viel tun
Woran hält man sich nun am besten, um dem Krebs ein Schnippchen zu schlagen? Elmar Stickeler kennt die Antworten. Er ist Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin am Uniklinikum Aachen und widmet sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit vor allem dem Thema Brustkrebs. Stickeler war unter anderem beteiligt an der Erarbeitung der sogenannten S3-Leitlinie. Darin sind die wissenschaftlich fundierten Standards festgehalten, wie welcher Brustkrebs diagnostiziert und therapiert wird.
Doch dabei solle man nicht vergessen, dass die Patientinnen auch selbst viel tun können, um nicht wieder oder gar nicht erst zu erkranken, so Stickeler. 'Mind-Body-Intervention' ist der Fachbegriff für eben jene Dinge, die man durch eigenständiges Agieren beeinflussen kann.
Bewegung lässt das Rückfall-Risiko enorm sinken
Und ja, die meisten davon haben wir vermutlich alle schon mal gehört: "Man hat sich diese Lebensstil-Modifikationen, diese Lifestyle Factors mal in einer Umfrage angeschaut und hat gesehen, dass 40 Prozent der Betroffenen keine ausgewogene Ernährung hatten, 70 Prozent hatten Übergewicht, 20 Prozent haben Alkohol getrunken, ein Viertel hat geraucht, und 70 Prozent haben keinen Sport oder kaum Bewegung gehabt." Also: Gesund ernähren, sich bewegen, nicht rauchen, kein übermäßiger Alkoholkonsum. "Das sind die besten Hebel, die jede Patientin hat", so Stickeler.
Besonders beeindruckend ist in den Statistiken zu diesen sogenannten Lifestyle-Factors aber eine Zahl: Mit genug Bewegung lässt sich das Rezidiv-Risiko um die Hälfte senken. "Da haben wir extrem gute Daten, das ist dann zusätzlich fast so effektiv wie eine Chemotherapie", nickt Stickeler – und beruhigt gleich die Sportmuffel-Fraktion, zu der sich auch Podcast-Host Daniela zählt: "Diese Interventionen müssen nicht radikal sein. Sie müssen keinen Marathon laufen! Eine moderate sportliche Tätigkeit, zweieinhalb Stunden in der Woche, zum Beispiel ein kräftiges Walken. Und vielleicht noch ein bisschen Kraftaufbau. Dann sind Sie schon auf einem sehr, sehr guten Weg."
Brustkrebs durch Deodorants?
Darüber hinaus bietet beispielsweise die Deutsche Krebshilfe einen guten Überblick, wie sich das eigene Krebsrisiko verringern lässt – und erklärt auch, wie die Forschung zu solchen Empfehlungen kommt.
Dass der Weg zu solchen Empfehlungen aber nicht immer schnurgerade verläuft, es zu manchen Risikofaktoren widersprüchliche Daten gibt oder Hilfestellungen und Warnungen sich wandeln können, das zeigt das Beispiel der Antitranspirant-Deos. Lange galten sie wegen des enthaltenen Aluminiumchlorids als potenziell krebserregend. "Das ist dann in großen Studien nochmal aufgearbeitet worden – und wir haben keine Beweise gefunden, dass das so ist", erklärt Elmar Stickeler.
So manche Warnung und Empfehlung entbehrt dabei leider jeder wissenschaftlichen Grundlage: "Da wird zum Beispiel immer wieder mal gesagt, Sie müssen Vitamin D nehmen. Oder Sie müssten dies oder jenes machen. Aber es gibt nicht die eine Substanz, die man einfach nimmt, die alles löst. Das ist ein multi-komplexes Geschehen."
Warnungen vor Soja-Konsum
Patientinnen mit hormonsensiblen Brust-Tumoren wird außerdem oft empfohlen, möglichst wenig Soja zu sich zu nehmen. Der Grund: Soja enthält sogenannte Phyto-Östrogene, also eine Art pflanzliches Äquivalent zum weiblichen Geschlechtshormon. Genau dieses wird aber durch die Anti-Hormon-Therapie geblockt, weil es das Tumor-Wachstum anregen kann.
MDR WISSEN Podcasterin Daniela hat im Netz schon Geschichten gelesen von Patientinnen, die schreiend aus Restaurants gestürmt sind, nachdem sie erfahren haben, dass ihr Essen Soja enthielt.
Als ich dann einmal irrtümlich Soja-Joghurt gegessen habe, ist mir direkt schlecht geworden vor Angst, damit den Krebs zu triggern.
Eine begründete Sorge? Elmar Stickeler warnt vor Panik, gibt aber zu, dass die Studienlage noch nicht gesichert ist: "Diese Phyto-Östrogene werden einen gewissen hormonellen Effekt haben. Aber ob es das Rezidiv-Risiko wirklich beeinflusst, sodass wir sagen, man sollte ernährungstechnisch komplett darauf verzichten – das kann man nicht sagen. Und ich denke, wenn Sie ab und zu mal die Soja-Milch nehmen..." – Stickeler zuckt mit den Schultern. Zumal: "Während einer Therapie sind die antihormonellen Substanzen so effektiv, dass das kaum eine Rolle spielt." Solange Daniela ihre Anti-Hormon-Tabletten nimmt, sollte ein gelegentlicher Soja-Joghurt also eher kein Problem sein.
Risikofaktor: frühzeitiger Abbruch der Therapie
Eben jene Anti-Hormon-Therapie erstreckt sich über mindestens fünf, maximal zehn Jahre. Bei vielen Patientinnen führt sie aber zu teils belastenden Nebenwirkungen: "Wechseljahresbeschwerden, Hitzewallungen, nicht mehr gut schlafen können, Gedächtnis-Problematiken, manchmal Störungen der sexuellen Empfindsamkeit und damit der Partnerschaft", zählt Stickeler auf.
Ja, die Nebenwirkungen nerven. Aber lieber bin ich genervt, verpickelt und verpeilt und bleibe dafür am Leben als andersherum.
Das Problem: "Das sind Punkte, die führen dazu – da gibt es ganz gute Daten –, dass nach zwei Jahren 50 Prozent der Patienten ihre Anti-Hormon-Tabletten weglassen, dem Arzt aber sagen: Ich nehme sie. Und wir wissen aber, dass alleine durch diese Anti-Hormon-Therapie das lokale Rezidiv-Risiko auch nochmal um die Hälfte gesenkt wird."
Also ein oft vernachlässigter Risikofaktor bei der Vermeidung eines Rezidivs: das fehlende Einhalten der verordneten Medikation. Für Podcasterin Daniela ist das bislang aber kein Thema.
Verschiebung zu späteren, aggressiveren Rezidiven
Doch Daniela kann sich noch so mustergültig verhalten, ihre Tabletten nehmen, gesund essen, Sport treiben: Ab einem gewissen Punkt entzieht es sich ihrem Einfluss, ob das Rezidiv zuschlägt.
"Brustkrebs hat diese böse Eigenschaft, sich im Körper erstmal auch sehr heimlich zu verteilen, über die Blutbahn irgendwohin zu gehen. Von einer Million Tumor-Zellen ist eine dann in der Lage, möglicherweise wieder aus dem Blutsystem herauszukommen und sich irgendwohin zu setzen", erklärt Stickeler. Warum genau das so ist, sei bislang noch nicht völlig klar. "Und lokale Rezidive können einfach in der Brust entstehen, weil vielleicht irgendwo eine Zelle bleibt, die man auch mit der Bestrahlung und der Chemotherapie nicht erwischt hat."
Überlebensraten verbessern sich weiter
Die gute Nachricht: Wenn der Krebs wiederkommt, ist er oftmals gut mit den gleichen Medikamenten wie beim ersten Mal behandelbar. Doch Elmar Stickeler schiebt ein 'Aber' hinterher: "Dadurch, dass wir heute mehr Patienten länger oder dauerhaft heilen und zum Teil auch aggressivere Therapien machen, gibt es eine Verschiebung zu späterem Auftreten von Rezidiven beziehungsweise von Rezidiven, die dann auch eine aggressivere Biologie haben."
Was dann bleibt, ist die Hoffnung auf andere Therapie-Möglichkeiten – und darauf, dass die Forschung immer neue Ansatzpunkte findet. Und da passiert einiges, berichtet Stickeler: "Gerade die letzten zwei Jahre haben nochmal enorme Fortschritte gezeigt, auch gerade bei Frauen mit einer fortgeschritteneren Erkrankung. Wir haben da inzwischen auch die Überlebensraten deutlich verbessern können, wenn die Metastasierung auftritt. Man kann da sehr viel tun und wirklich viel Zeit gewinnen."
Nach der Behandlung knallt die Angst rein
Doch auch, wenn Daniela sowohl von Seiten der Statistik als auch von Seiten des wissenschaftlichen Fortschritts Gründe hat, optimistisch zu sein: Die Angst vor dem Rezidiv oder gar einem möglichen Krebstod bleibt, manchmal im Hintergrund, manchmal in knallharten Panik-Attacken voller Verzweiflung.
"Klar, das ist wie ein Damoklesschwert, das permanent über einem hängt", nickt Leopold Hentschel. Er ist Diplom-Psychologe und Psychoonkologe beim Palliativdienst des Uniklinikums Dresden und gehört außerdem zum Netzwerk der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs.
"Während der Krebsbehandlung herrscht bei vielen Betroffenen so ein Funktionsmodus, ich hangle mich von einer Behandlung zur nächsten, habe einen sehr genau getakteten Zeitplan, sehe meine Ärzte wöchentlich, teilweise täglich. Das heißt, da habe ich ein ganz anderes Sicherheitsnetz. Und wenn ich da dann rausfalle, dann gibt es die Sicherheit nicht mehr." Die entsprechenden Angstgefühle sind deshalb gerade nach Abschluss der direkten Behandlung oft besonders stark, zeigt eine Meta-Analyse aus den Niederlanden.
Angst findet immer einen Weg
Und nun? Muss sich Podcasterin Daniela einfach damit abfinden, dass die Angst ihr regelmäßig in die Knochen kriecht, und darauf hoffen, dass sich das im Laufe der Jahre schon irgendwie einpegeln wird?
"Diese Angst ist was ganz Normales und wird mal mehr, mal weniger Teil der eigenen Biografie sein. Das ist nichts, wo der Psychologe drei Sätze sagt und die Angst verschwindet", sagt Hentschel. Je weniger man sich dagegen sträube und je mehr man die Angst zulassen könne, umso besser:
Wenn ich versuche, mich von der Angst abzuwenden, kommt sie von hinten angeschlichen. Wenn ich versuche, die Tür zuzuhalten, steigt sie durchs Fenster.
Ein Stück weit müssen Ex-Patienten sich also damit arrangieren, dass die Angst vor dem Rezidiv immer mal wieder hochschwappt.
Andere Menschen, andere Perspektiven
Neben aller Akzeptanz sei aber auch der Versuch völlig legitim, den Kopf anderen Dingen zuzuwenden, so Leopold Hentschel. "Wenn die Angst mich vom Schlafen abhält, ist das kacke. Es darf gerne abgelenkt werden. Was sind denn Sachen, womit ich meinen Kopf gut beschäftige? Oder wer sind vielleicht Leute, die ich anrufen kann oder denen ich schreiben kann, die vielleicht auch nicht fragen: 'Oh Gott, wie ist es denn mit deiner Nachsorge?', sondern die vielleicht einfach auch andere Themen bieten."
Diese Erfahrung hat auch Daniela gemacht: Wenn die dunkle Krebsangst-Wolke in ihrem Gehirn zu bedrückend wird, sucht sie bis heute den Austausch mit Familie und Freunden. "Meine Leute helfen mir auch, die Perspektive zu wechseln. Manchmal habe ich nämlich richtig Scheuklappen auf, sehe nur noch Krankheit und Tod – dann bin ich irre froh, wenn jemand mir diese Angst-Scheuklappen abnimmt."
Heilung ist ein Dimmer, kein Schalter
Generell braucht es nach einer tiefgreifenden Erkrankung wie Brustkrebs einfach Zeit, damit nicht nur der Körper, sondern eben auch Kopf und Herz heilen und wieder in einen normalen, strukturierten Lebensalltag zurückfinden können.
Monatelang ist man in einem Ausnahmezustand, körperlich und seelisch. Das kann ich nicht wie einen Lichtschalter auf einmal wieder ausmachen.
Dass es dabei zu einem gewissen Nachhall-Effekt kommen könne, sei vollkommen legitim, so Hentschel. "Das ist eher wie so ein Dimmer, glaube ich: dass die Anteile des 'gesunden Lebens' wieder zunehmen, während die Anteile des 'kranken Lebens' dann auch abnehmen." Und dass nach und nach wieder so etwas wie eine Normalität eintritt – eine neue zwar, aber eine Normalität.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 02. Februar 2023 | 21:00 Uhr
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