Steigende Lebenserwartung Wo ist das Ende der Fahnenstange: Knacken wir bald die 150?
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03. April 2023, 08:34 Uhr
Seit Generationen steigt unsere durchschnittliche Lebenserwartung, in den letzten 150 Jahren hat sie sich mehr als verdoppelt: 1871 lag sie bei Männern bei 35,6 Jahren, 2021 bei 78,5 Jahren. Bei Frauen stieg sie in der gleichen Zeitspanne von 38,5 auf 83,4 Jahre. Wird das ewig so weitergehen? Und wenn ja, mit welchen Konsequenzen? Dieser Frage geht eine aktuelle Studie der University of Georgia nach und kommt zumindest statistisch zu einem klaren Ergebnis.
Dazu analysierten der Wirtschaftswissenschaftler David McCarthy von der University of Georgia (Athens/USA) und sein Kollege Po-Lin Wang, Experte für Risikomanagment an der University of South Florida in Tampa/USA, die Sterblichkeit älterer Menschen in 19 Industriestaaten anhand der dort aufgezeichneten Daten. Das Ergebnis ihrer Studie: Von den Menschen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurden, werden viele ein hohes Alter erreichen. Für die zwischen 1910 und 1950 Geborenen sagen die Forscher voraus, dass viele von ihnen durchaus 120 Jahre oder älter werden könnten.
Da diese Kohorten in den kommenden Jahrzehnten ein höheres Alter erreichen, "können die Langlebigkeitsrekorde erheblich zunehmen", sagte McCarthy. "Unsere Ergebnisse bestätigen frühere Arbeiten, die darauf hindeuten, dass wir uns noch nicht dem annähern, was die maximale Grenze für die menschliche Lebensspanne ist."
Die Frage, wie alt wir maximal werden können oder wie wir immer älter werden können, beschäftigt Forschende verschiedener Disziplinen. Seit Jahrzehnten steigt die durchschnittliche Lebenserwartung und 2020 wurden in Deutschland mehr als 20.000 Menschen über 100 Jahre alt. Geht da noch was oder ist ein Limit in Sicht?
Irgendwann kommt das System an seine Grenzen
Unsere Lebensspanne hat natürliche Grenzen. Zu diesem Ergebnis kamen 2021 Timothy Pyrkov und seine Kollegen. Dazu werteten sie die Daten nationaler Erhebungen zur Gesundheit Tausender Menschen aus den USA, Großbritannien und Russland aus. Konkret untersuchten sie die Geschwindigkeit des Alterns anhand der Anzahl der Blutkörperchen sowie der täglich zurückgelegten Schritte und setzten diese Werte in Bezug zum Alter. Denn wie schnell sich diese nach beispielsweise einer Krankheit wieder erholen, gibt Aufschluss über den Gesundheitszustand des Menschen. Es zeigte sich: Mit zunehmendem Alter gelingt es dem Körper immer weniger, sich zu regenerieren und zu erholen. Die biologische Resilienz gegenüber Krankheiten, Stress oder Verletzungen lässt nach. Das Fazit der Studie: Ab einem Alter von 120 bis 150 Jahren wäre sie quasi nicht mehr vorhanden.
Wird es die Evolution schon richten?
Dass die Evolution hier regulierend wirkt, davon ging zumindest der Alternsforscher James V. Vaupel († 2022) aus. Der Demograph, Gerontologe und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung hielt es für möglich, dass die Evolution das menschliche Reparatursystem Schritt für Schritt verbessert. Als Beispiel führte er den Süßwasserpolypen ins Feld, der innerhalb weniger Tage all seine Zellen komplett erneuern und damit unter optimalen Umweltbedingungen sein Leben beliebig verlängern kann. Zugegeben, er ist viel einfacher gebaut als wir. Aber für uns komplexere Wesen sah Vaupel durchaus eine Chance: Wenn es gelänge, überschüssige Energie aus Nahrung nicht in den Fettspeichern abzulegen, sondern ins Reparatursystem zu investieren.
Ist es schön, so alt zu werden?
Das Statistische Bundesamt hat vorausberechnet, dass im Jahr 2055 6,8 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig sein werden. Das sind 1,8 Millionen mehr als derzeit. Die Zahl der Rentenempfänger wird 2035 voraussichtlich auf 20 Millionen ansteigen. Zugleich ist mit einem Rückgang der Einwohner im erwerbsfähigen Alter um bis zu 4,8 Prozent zu rechnen. Experten sehen nur eine Antwort auf diese demographische Entwicklung:
Arbeiten bis 70
Dieser Weg soll laut OECD Rentenbericht langfristig unausweichlich sein, und zwar nicht nur für Deutschland. Er wird in erster Linie diejenigen treffen, die im Jahr 2020 im Alter von 22 Jahren berufstätig geworden sind. In Dänemark zum Beispiel wird mit einem Renteneintritt mit 74 gerechnet, in Estland und Italien mit 71 Jahren.
Das sind die Baustellen ab 65
Laut Robert Koch-Institut sind Herz-Kreislauf- und Krebserkrankung ab dem 65. Lebensjahr häufigste Todesursachen. Das Risiko chronischer und Mehrfacherkrankungen, körperlicher und kognitiver Einschränkungen und Stürze nimmt zu, ebenso die Suizidraten, vor allem bei Männern (wenn sie von Suizidgedanken betroffen sind: Hier finden Sie Hilfe). Auch der Bedarf an Medikamenten steigt, oft werden fünf oder mehr Präparate verordnet mit entsprechenden Neben- und Wechselwirkungen. Das menschliche Gebiss hält bei guter Pflege übrigens auch nur maximal 80 bis 90 Jahre. All das trotz guter medizinischer Versorgung.
Einsamkeit: Wenn die Einschläge näher kommen
Ältere Menschen sind auch häufiger von Einsamkeit betroffen. Ein Grund dafür ist, dass sie zunehmend weniger Bezugspersonen haben, da Familienangehörige, Lebenspartner, Freunde und Bekannte versterben. Sind sie dann noch weniger mobil, gar krank oder von Altersarmut betroffen, verlassen sie seltener oder gar nicht mehr die Wohnung und haben auch dadurch weniger Gesellschaft. All das kann Stress verursachen, der auf Dauer den Blutdruck ansteigen lässt und das Immunsystem schwächt. Einsamkeit kann auch Depressionen auslösen, sie verändert sogar messbar die Hirnstruktur.
120 und mehr? So könnte es klappen
Daran, wie wir in Zukunft länger und gesünder leben können, arbeiten die Alternsforscher mit Hochdruck. Sie verfolgen dabei viele unterschiedliche Forschungsansätze: Das sind unter anderem Medikamente, der Austausch von Blutplasma und der Einsatz von Stammzellen. Schon heute können sie dadurch zum Beispiel das Leben von Mäusen, Fadenwürmern, Killifischen und Fruchtfliegen verlängern, ohne das die Tiere dabei eine lange Krankheitsspanne aufweisen. Die Wissenschaftler hoffen, ihre Erkenntnisse schon bald auf den Menschen übertragen zu können.
Darüber hinaus gibt es einige durchaus alltagstaugliche Maßnahmen die uns diesem Ziel zumindest ein bisschen näher bringen. Die Eckpfeiler hierfür sind: körperlich und geistig aktiv bleiben, gesund essen, auf Nikotin und Alkohol verzichten und ausreichend schlafen. Diese Erkenntnis ist vielleicht nicht neu, aber durchaus wirkungsvoll, wie verschiedene Studien belegen. So zeigt eine Untersuchung der Emory University in Atlanta, dass regelmäßige und moderate Bewegung die Chancen auf ein längeres Leben erhöht, unter anderem weil sich damit das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko halbieren lässt. Schon elf Minuten Bewegung jeden Tag senken das Risiko, vorzeitig zu sterben. Außerdem stärkt Sport das Immunsystem, senkt den Stress und beugt Diabetes, Übergewicht und Osteoporose vor. Und Sport macht zwar nicht klüger, schafft aber, wenn man es nicht allein tut, viele soziale Beziehungen und ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Gesunde Ernährung steigert den Anteil 100jähriger
... zumindest auf der japanischen Inselgruppe Okinawa. Dort schaffen es etwa 34 von 100.000 Einwohnern, so alt zu werden. Bei uns in Deutschland sind es gerade einmal sieben. Viel Obst und Gemüse, wenig Fleisch, Fett und Zucker, dafür Hülsenfrüchte und fettarme Milchprodukte, dieser Speiseplan stärkt unser Immunsystem. In Japan hieße das: wenig Kalorien, dafür viel gelbes und grünes Gemüse, etwa Kürbis, Gurke, Algen, sowie Fisch und Meeresfrüchte.
Nicht zu rauchen kann fünf Jahre schenken
Mit jeder Zigarette steigt das Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko. Im Schnitt trifft Raucher ein Herztod fünfeinhalb Jahre früher als Nichtraucher. Es ist nie zu spät, mit dem Rauchen aufzuhören. Denn Forscher vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) fanden heraus, dass ein Rauchstopp selbst ab einem Alter von 60 Jahren das Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko bereits innerhalb weniger Jahre erheblich senkt. Nach 15 Jahren ohne Zigarette liegt es sogar auf dem Niveau von Nichtrauchern.
Wir reparieren uns im Schlaf
Während wir schlafen, laufen unsere Reparaturmechanismen auf Hochtouren. Immunsystem, Verdauung, Herz-Kreislauf-System, Nervensystem und das Gehirn regenerieren sich. Wer seinem Körper diese wichtige Zeit nicht gönnt, trägt ein größeres Risiko für Diabetes, Herzinfarkt und Übergewicht. Das haben US-Forscher herausgefunden.
Vielleicht im nächsten Leben?
Darauf hoffen Anhänger der sogenannten Kryonik. Dabei werden Verstorbene bei extrem niedrigen Temperaturen, etwa minus 196 °C konserviert, um den Zerfallsprozess zu stoppen. Dahinter steckt die Hoffnung, dass in Zukunft eine Möglichkeit geschaffen wird, den Menschen wieder zum Leben erwecken. Die dazu benötigte Medizin müsste so fortschrittlich sein, dass sie auch Schäden heilen würde, die im Körper durch Alterungsprozesse entstanden sind. Obwohl diese Perspektive umstritten ist, haben sich bereits Menschen einfrieren lassen oder zumindest einen Vertrag dafür abgeschlossen.
krm
Dieses Thema im Programm: 3sat | nano | 31. März 2023 | 18:30 Uhr