Arosolforschung und Infektionsmedizin Ansteckungen und Infektionen: Welche Tröpfchen und Aerosole wirklich gefährlich sind
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14. November 2023, 11:20 Uhr
Ob Grippe, Covid, Masern oder Tuberkulose: Aerosole spielen bei der Übertragung zahlreicher Infektionskrankheiten eine Rolle. Doch die wesentlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften der mikroskopisch kleinen Tröpfchen waren bisher weitgehend unbekannt. Das ändert jetzt eine Analyse, die Atemwegströpfchen nach ihrem Entstehungsort im Körper einteilt. Dadurch ist ein Nachschlagewerk entstanden, das bei der Behandlung von Infektionskrankheiten helfen und Forschenden Orientierung geben soll.
Die Corona-Pandemie hat die Welt eine Zeit lang lahmgelegt. Während des ersten Lockdowns Anfang 2020 saßen die Menschen in ihren Wohnungen fest. So ging es auch dem Ehepaar Mira und Christopher Pöhlker. Er erforscht eigentlich am Max-Planck-Institut für Chemie Aerosolpartikel in Waldökosystemen wie dem brasilianischen Regenwald und sie ist Wolkenforscherin an der Universität Leipzig und am Leibniz Institut für Troposphärenforschung (TROPOS). Während sich andere im Lockdown die Zeit mit Bananenbrot backen, Brettspielen oder Videotelefonie vertrieben haben, wandten sich die zwei Aerosol-Fachleute Covid-19 und anderen Infektionskrankheiten zu.
Eigentlich hatten sie damals angenommen, dass die physikalisch-chemischen Grundlagen, wie und wo Atemwegspartikel entstehen und welche Größe sie haben, längst gründlich geklärt seien, sagt Christopher Pöhlker. Die Mechanismen seien ja schließlich nicht nur für Covid-19, sondern auch für Influenza, Tuberkulose, Masern und viele andere Krankheiten hochrelevant. "Das war aber nicht der Fall", ergänzt Tropos-Forscherin Mira Pöhlker. "Zu unserer großen Überraschung stellten wir fest, dass die Datenlage sehr dünn war und viele Studien aufgrund von fehlenden Standards nur bedingt vergleichbar waren." Das ändere sich jetzt mit der neuen Veröffentlichung. "Unsere Publikation wird hoffentlich eine hilfreiche Referenz für Aerosolforscher genauso wie für Infektionsmedizinerinnen", ergänzt sie.
Erreger als blinde Passagiere in Aerosolen und Tröpfchen
Wenn wir niesen, husten oder einfach nur sprechen, stoßen wir immer winzigste Partikel aus. Über die werden ansteckende Krankheiten von Mensch zu Mensch übertragen - einfache Erkältungsviren, aber auch Grippe, Covid-19 oder sogar Masern und Tuberkulose. Denn die Erreger - also Viren oder Bakterien - reisen immer als blinde Passagiere in Aerosolen und Tröpfchen mit, die der Infizierte über Mund und Nase abgibt.
So viel gilt wissenschaftlich als gesichert. Was dagegen weniger gut erforscht ist, sind den Pöhlkers zufolge die wesentlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften der Partikel. Dazu gehörten etwa auch die Fragen, wo und wie sie im Atemtrakt eigentlich entstehen, wie sie transportiert werden und welche Erreger sie dabei mit an Bord haben können. Deshalb haben sie jetzt erstmals ein Schema entwickelt, das die Atemwegsaerosole und -tröpfchen anhand ihrer Größe und ihres Entstehungsortes im Körper in verschiedene Gruppen einteilt. "Unsere Einteilung wird helfen, die Quellen infektiöser Partikel zu lokalisieren und nachzuverfolgen", ist Christopher Pöhlker überzeugt.
Für die Analyse hat das Ehepaar ein internationales Forschungsteam zusammengebracht. Sie haben unter anderem mehr als 400 Publikationen rund um die Themen Aerosole und atemwegsbedingte Infektionskrankheiten durchgearbeitet, darunter auch zahlreiche theoretische und experimentelle Arbeiten, die im Zuge der Corona-Pandemie entstanden sind. Auch Untersuchungen zu Corona-Schutzmaßnahmen wie Abstand, Masken und Lüften und deren Nutzen seien eingeflossen.
Zusätzlich hat das Team eigene Experimente gemacht. Dabei sei zum Beispiel mit hochauflösenden Größenspektrometern und Holografie-Aufnahmen untersucht worden, wie sich Atemaerosole und -tröpfchen bei unterschiedlichen Tätigkeiten wie Atmen, Sprechen oder Singen ausbreiteten. Das habe zu überraschenden Ergebnissen geführt, sagt Eberhard Bodenschatz, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation: "Es stellte sich heraus, dass die Infektionsgefahr durch Aerosole und die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen maßgeblich davon abhängen, in welchem Teil der Atemwege sich das Virus befindet."
Kleine Tropfen entstehen in der Lunge - große im Mundraum
In ihrem neuen Schema teilen die Forschenden die Atemwegspartikel zunächst in drei verschiedene Entstehungsorte ein. Die kleinsten Partikel entstünden demnach in den Bronchiolen, also den feinen Verästelungen in der Lunge. Davon gebe es zwei Arten: die mit weniger 0,2 Mikrometern Durchmesser und die zwischen etwa 0,2 und einem Mikrometer. Sie entstünden durch den dünnen Flüssigkeitsfilm auf der Oberfläche der Bronchiolen, so die Forschenden. Der zerreiße beim Einatmen.
Die nächstgrößeren Tröpfchen entstünden in den Stimmlippen, die zwischen Kehlkopf und Luftröhre liegen. Das Forschungsteam nennt sie Larynx-Trachea-Gruppe. Diese Aerosolpartikel entstehen demnach beim Lachen, Sprechen, Singen und Husten. Die dritte Gruppe sind die oralen Aerosole und Tröpfchen aus dem Mundraum. Sie seien mit einem Durchmesser zwischen acht und 130 Mikrometern die Größten und entstünden zum Beispiel beim Sprechen oder Lachen aufgrund von Speichelfäden, die im Mundraum entstehen und zerreißen. Beim Öffnen des Mundes fänden diese Tröpfchen ihren Weg nach draußen und können Personen in direkter Nähe treffen, schreiben die Forschenden. Zu dieser Gruppe zählen demnach auch die Tropfen, die beim Niesen in Nase und Rachen entstünden und die oft so groß seien, dass man sie sehen könne, sagt Forscher Pöhlker.
Dieses Ergebnis bestätigt die Hypothese der Forschenden: Sie hatten zuvor angenommen, dass die Größe eines Partikels mit seinem Entstehungsort zusammenhänge, so Pöhlker. Das kenne man nämlich bereits von atmosphärischen Aerosolen. "Die Analysen bestätigen dies und wir können damit alle bisher gemessenen Größenverteilungen erklären", bilanziert er.
Die Größe der Partikel beeinflusse übrigens auch, wie gut Gesichtsmasken uns davor schützen können, meint das Forschungsteam. Demnach seien Masken mit einer hohen Filterwirkung und einer engen Passform sinnvoll, um sich vor den kleinen Tröpfchen aus der Lunge zu schützen. Bei den großen Tröpfchen aus den oberen Atemwegen dagegen seien auch weniger dicht sitzende Masken mit geringerer Filterwirkung ausreichend, um sich zu schützen.
Bakterien zu groß für Lungen-Aerosole
Aber welche Erreger nutzen welche Tröpfchen, um sich zum nächsten Wirt zu verbreiten? Die Antwort auf diese Frage fällt in den Augen des Forschungsteams am eindeutigsten bei Tuberkulose aus. Da die Lungenkrankheit durch Bakterien übertragen werde, kämen die bronchiolären Aerosole nicht infrage, sagt Mira Pöhlker. Denn für die seien die Bakterien einfach zu groß. "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Erreger die mittelgroßen Larynx-Trachea-Partikel benötigen, also die, die rund um die Stimmlippen entstehen", ergänzt die Forscherin. Das passe auch zu dem typischen Tuberkulose-Husten.
Die Erreger sind offensichtlich in einem Transportoptimum unterwegs. Sie reisen auf Partikeln, die groß genug für sie sind, aber klein genug, um bei anderen Personen tief in die Lunge eindringen zu können.
Bei Viren wie Influenza oder SARS-CoV-2 lasse sich die Frage nach Partikelgröße und Entstehungsort dagegen nicht so leicht beantworten. Hier sei vieles noch unklar, schließen die Forschenden. Ob ein Tropfen an der Verbreitung eines Atemwegserregers beteiligt sei, hänge wahrscheinlich von der Größe des Tropfens sowie von der Schwere und dem Ort der Infektion ab, sagt Christopher Pöhlker. "Diese wichtige Information haben wir noch nicht. Es gibt sehr wenige Daten, aufgrund derer wir beurteilen können, auf welche Weise die Erreger sich fortbewegen." Um das herauszufinden, müssten künftig Studien mit Infizierten gemacht werden, und zwar interdisziplinär mit Aerosolexperten und Klinikern, ergänzt der Max-Planck-Forscher. Dadurch lasse sich dann genauer bestimmen, welche Mittel die Übertragung von Atemwegserkrankungen am wirksamsten verhinderten.
Einfach fünf Sekunden die Luft anhalten?
Egal, ob gegen große Tröpfchen oder winzige Partikel, die Masken, die uns vor ihnen schützen können, sind längst aus dem Straßenbild verschwunden. Eine japanische Studie legt nahe, dass man sich auch ohne Maske vor einer Infektion schützen kann. Dazu müsse man nur tun, was viele während der Pandemie ohnehin schon intuitiv getan haben: Bei einer Begegnung mit einem anderen Menschen für mindestens fünf Sekunden die Luft anhalten.
Das Team um Takeshi Asai von der University of Tsukuba hat mithilfe lebensgroßer Puppen untersucht, wie die Aerosolausbreitung abläuft. Diese Puppen können Mikropartikel durch den Mund "ausatmen". Die Forschenden haben sie in verschiedenen Geschwindigkeiten an ihren Messgeräten "vorbeigehen" lassen und gemessen, wie hoch die Viruslast wäre und wie schnell sie nach der Begegnung wieder abgenommen hat. Die Viruslast sei schnell angestiegen, habe dann einen Höhepunkt erreicht und sei dann schnell wieder abgefallen - und zwar in allen Geschwindigkeiten. Auch die Umgebung habe kaum eine Rolle gespielt, auch wenn die absolute Konzentration von Mikropartikeln in der Luft bei belüfteter Umgebung geringer gewesen sei.
Aus den Ergebnissen leiten die Forschenden ihren Ratschlag ab: Bei Begegnungen mit anderen Menschen sollte man fünf Sekunden lang die Luft anhalten und insofern man draußen ist, anschließend in Windrichtung einatmen. Zusätzlich sei ein Mindestabstand von einem Meter zu allen anderen Menschen empfehlenswert, um sich nicht mit einer Infektionskrankheit anzustecken.
Link zur Studie
Pöhlker, M. L., Pöhlker, C. et al.: Respiratory aerosols and droplets in the transmission of infectious diseases. In: Reviews of Modern Physics, 95. 2023. DOI: 10.1103/RevModPhys.95.045001.
Asai, T. et el.: Peak risk of SARS-CoV-2 infection within 5 s of face-to-face encounters: an observational/retrospective study. In: Scientific Reports, 13, Article number: 17520. 2023. DOI: 10.1038/s41598-023-44967-x.
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