AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
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Interview Wie Jupiter Jones-Sänger Nicholas Müller seine Angst bezwingt

10. Februar 2021, 12:12 Uhr

"Still" – das war der Song der Band Jupiter Jones, der es in die Top Ten schaffte. Still wurde es dann um Sänger Nicholas Müller. 2014 zwang ihn seine Angststörung auszusteigen. Nach einer Therapie schaffte er den Neuanfang. Darüber berichtet er jetzt in der AnimaDOK "Nicht gesellschaftsfähig", Auskunft gab er zuvor im gleichnamigen Buch und im Interview, das er uns aus Anlass des Erscheinens gab.

MDR Religion und Gesellschaft: "So still, dass alle Uhren schwiegen, ja, die Zeit kam zum Erliegen." Dieses Lied kennen noch einige. "Still" war in den Top Ten. Alles lief gerade so gut. Dann hieß es 2014, die Konzerte werden abgesagt und dass du aus der Band aussteigst. Später erst hat du genauer über den Auslöser gesprochen, der viel länger zurücklag ...

Nicholas Müller, Sänger von Jupiter Jones: Ja, Ich hatte meine erste Panikattacke bei der Beisetzung meiner Mutter. Das war 2004 oder 2005? Das ist auch Teil meiner Angst, dass ich manche Daten aus meinem Kopf lösche. Und danach hat es mich in seiner ganzen Härte für gut 10 Jahre begleitet. Inzwischen habe ich so viel gelernt, dass ich das sehr gut unter Kontrolle habe. Das heißt, es beeinträchtigt meinen Alltag nicht mehr.

Ich möchte mich nicht angstkrank nennen, aber ich weiß um meine Angst.

Jupiter Jones
Nicholas Müller (l.) mit seiner Band Jupiter Jones, die er aufgrund seiner Angststörung 2014 verlässt. Bildrechte: Jupiter Jones

Du warst eingeladen, deine Geschichte im Buch-Projekt "Nicht gesellschaftsfähig" von Sandra Strauss und Schwarwel zu erzählen. War es sofort klar, dass du mitmachst?

Absolut. Erst einmal wegen Sandra und Schwarwel, den beiden Herausgebern, die mir ganz nah am Herzen sind und weil ich finde, dass das ein Thema ist, das genau von dieser Seite beleuchtet werden muss: Aus der Sicht der Betroffenen. Und aus einer Sicht, die gerne auch mal unterhalten darf. Es muss nicht immer bierernst und unglaublich traurig sein, über psychische Belastungen zu sprechen. Jedenfalls ist das Projekt eine aufklärerische Arbeit, die wir dringend brauchen. Auch wenn sich in den letzten zehn Jahren viel getan hat.

Wie hat sich denn die Angststörung damals bei dir geäußert?

In erster Linie durch Panikattacken. Bei Panikattacken signalisiert dir der Körper, dass er jetzt Lust darauf hat zu sterben. Alle Alarmsignale werden laut, man beginnt zu schwitzen, der Puls erhöht sich.

Bei mir war es mit Schmerzen verbunden, mein Magen hat rebelliert. Und das macht ganz schön müde und mürbe.

Aber wie hast du es geschafft, da rauszukommen? Wie ist das möglich?

Es ist möglich. Das ist die gute Nachricht, dass Angst sehr gut behandelbar ist. Mit einer kognitiven Verhaltenstherapie kann 80 Prozent der Betroffenen geholfen werden. Bei mir hat es ziemlich lange gedauert, Monate und Jahre. Man darf die Geduld nicht verlieren. Am Ende kam die Heilung aus meinen Ressourcen heraus. Aber die mussten erst wieder aufgebaut werden. Teil der Genesung war es, die Angst vor der Angst loszuwerden. Zu lernen, dass man bei einer Panikattacke nicht stirbt. Zu merken, wie perfide die Angst ist. Daraus hat sich dann eine ganz gesunde Wut entwickelt. Und aus der Wut über die Angst ist dann ein Frieden damit geworden, weil ich über die Jahre ja auch gelernt habe, was sie mir sagen wollte.

Bei all den Schwierigkeiten, die so eine Erkrankung mit sich bringt, hast du also auch etwas Positives rausziehen können?

Man lernt Achtsamkeit, dass der Körper keine Maschine ist, die immer funktionieren muss. Und man lernt, das Leben nicht mit Blick auf die nächste Katastrophe zu nehmen, sondern im Moment zu sein. Klar ist es wichtig, an morgen zu denken, an übermorgen und die nächsten Jahre. Ich habe eine Tochter. Ich muss also zumindest an die nächsten 20 Jahre denken, bis sie fertig ist mit ... was auch immer sie gerne machen möchte. Aber das heißt nicht, dass in diesen 20 Jahren täglich eine Katastrophe für mich lauern kann, so ist das Leben nicht.

(Das Interview wurde im Februar 2021 geführt.)

Programmtipp

"Nicht gesellschaftsfähig": Im Gespräch mit dem Comic-Künstler Schwarwel und Sandra Strauß mit Video
Bildrechte: Schwarwel
MDR FERNSEHEN Do, 18.01.2024 22:40 23:10
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Nicht gesellschaftsfähig

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Alltag mit psychischen Belastungen

Film von Sandra Strauß und Schwarwel

Folge 1  von 2

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  • 16:9 Format
  • HD-Qualität
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MDR FERNSEHEN Do, 25.01.2024 22:40 23:10
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Nah dran Nicht gesellschaftsfähig

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Alltag mit psychischen Belastungen Teil 2

Film von Sandra Strauß und Schwarwel

Folge 2  von 2

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"Nicht gesellschaftsfähig": Im Gespräch mit dem Comic-Künstler Schwarwel und Sandra Strauß
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt - Das Magazin | 14. Februar 2021 | 08:00 Uhr