AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
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AnimaDok | Jetzt in der Mediathek "Nicht gesellschaftsfähig"? - Warum wir über unsere Psyche reden sollten

23. Oktober 2024, 04:00 Uhr

Niemand redet gerne über seine psychischen Belastungen. Warum eigentlich, wo doch Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind? Im animierten Dokfilm "Nicht gesellschaftsfähig" schildern vier Menschen sehr persönlich, wie es sich anfühlt, mit einer Depression, einer Angst-, einer Essstörung oder mit Borderline zu leben, wie schwer es war, die eigene Erkrankung zu erkennen und was ihnen wirklich geholfen hat. "Animiert" hat sie erneut der Leipziger Comic-Künstler Schwarwel, der 2021 gemeinsam mit Sandra Strauß auch ein Buch zum Thema herausgab, das bereits in 3. Auflage erschienen ist.

Niemand redet gern über seine psychischen Belastungen. Dabei sind viele Menschen davon betroffen. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe leiden 5,3 Millionen hierzulande an einer behandlungsbedürftigen Depression. Im Januar startete gerade wieder eine Plakat-Kampagne, um über eine der "häufigsten und zugleich am meisten unterschätzten Erkrankungen" aufzuklären. Die jeden treffen kann, auch wenn er in einer glücklichen Partnerschaft lebt, beruflich erfolgreich ist und kein äußerer Anlass vorliegt, wie Stiftungsvorsitzender Ulrich Hegerl betont.

Einfach mal über psychische Erkrankungen reden?

Zoë Beck lebt seit vier Jahrzehnten mit Depressionen und geht offen damit um, was trotz vieler "Prominenten-Outings" immer noch nicht selbstverständlich ist. Nicht nur weil es schwer ist, anderen verständlich zu machen, was da in einem vor sich geht und das man selber nicht versteht. In dem Buch "Nicht gesellschaftsfähig", das Sandra Strauß und der Comic-Künstler Schwarwel 2021 in Leipzig herausbrachten, sagt sie: "Wovor ich Angst habe, wenn ich darüber spreche: dass man mich für 'schwach' hält. Dass man mich abschreibt. Dass ich keine Jobs mehr bekomme. Dass man mich behandelt, als wäre ich nicht zurechnungsfähig." Da helfe es auch nichts zu sagen, sie habe Abi, x Bücher geschrieben und noch nie eine Produktion abgebrochen. So erklärt eine der bekanntesten deutschen Krimi-Autorinnen, die auch als Synchron-Regisseurin für Film und Fernsehen arbeitet, was es also bedeutet "nicht gesellschaftsfähig" zu sein.

Schwarwel und Sandra Strauss vom Leipziger Verlag Glücklicher Montag
Schwarwel und Sandra Strauss bei der Filmpremiere in Leipzig Bildrechte: LebensARTPhotographie

Sie geht nun erneut das Risiko ein, "be- und verurteilt" zu werden, gerade mit Blick auf ihre eigene Familiengeschichte: "Ich wünschte, wir hätten viel mehr geredet." Zoë Beck spricht offen über ihren Alltag mit einer psychischen Erkrankung, um für Verständnis zu werben und Mut zu machen, sich Hilfe zu holen. In der MDR-Produktion "Nicht gesellschaftsfähig" erzählen Zoë Beck, Anna Feuerbach, Nicholas Müller und Anne Martin, wie es sich anfühlt, mit einer Depression, einer Angst- oder einer Essstörung oder Borderline zu leben und im Alltag zu scheinbar zu "funktionieren". Illustriert hat die intensiven Schilderungen der Leipziger Comic-Künstler Schwarwel. Seine Animationen, die Teil der Dokumentation sind, folgen dem Motto: "Um so schwerer das Thema, um so leichter musst du das erzählen." Keine einfache Aufgabe für die Protagonisten.

Statements zum Alltag mit psychischen Erkrankungen "Wie mit dem Tretboot unter Wasser"

AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
"Okay, jetzt isst du vielleicht lieber keine Nachspeise mehr, weil sonst siehst du das morgen früh auf der Waage", so oder ähnlich kreisen die Gedanken von Anna Feuerbach ständig ums Essen. Dass sie eine Störung entwickelt hat, erkennt sie erst später: "Jemand, der in der Anorexie ist, hat das Signal so umprogrammiert: Hunger ist etwas Gutes. Dann nichts zu essen, gibt mir ein Gefühl von Stärke, ich fühle mich dadurch besser. Und dieses Gefühl möchte ich so lange wie möglich aufrechterhalten." Zugleich meint sie: "Tatsächlich ist es dann auch so, in dem Moment, wo ich Gewicht verloren habe, wurde ich auch immer gefühlskälter, negativen wie positiven Erlebnissen gegenüber." Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
"Okay, jetzt isst du vielleicht lieber keine Nachspeise mehr, weil sonst siehst du das morgen früh auf der Waage", so oder ähnlich kreisen die Gedanken von Anna Feuerbach ständig ums Essen. Dass sie eine Störung entwickelt hat, erkennt sie erst später: "Jemand, der in der Anorexie ist, hat das Signal so umprogrammiert: Hunger ist etwas Gutes. Dann nichts zu essen, gibt mir ein Gefühl von Stärke, ich fühle mich dadurch besser. Und dieses Gefühl möchte ich so lange wie möglich aufrechterhalten." Zugleich meint sie: "Tatsächlich ist es dann auch so, in dem Moment, wo ich Gewicht verloren habe, wurde ich auch immer gefühlskälter, negativen wie positiven Erlebnissen gegenüber." Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
"Meine Depression hat, denke ich, sehr viel mit Stress auslösenden Momenten zu tun. Es ist dann, als ob ich auf den Meeresgrund sinke und versuche, unter Wasser Tretboot zu fahren. Alles fühlt sich unglaublich schwer und verlangsamt an. Ich bin dann sehr weit weg von allem." So beschreibt Zoë Beck das innere Gefühl, das sie schon seit ihrer Kindheit kennt. Doch erst Jahrzehnte später versteht sie, dass sie professionelle Hilfe braucht. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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"Meine Angst ist gekommen, als ich meine Mutter verloren habe, mit 24 Jahren", sagt Nicholas Müller, der damals mit der Band Jupiter Jones auf Erfolgskurs ist, aber aussteigen muss. Bei der Beisetzung überfällt ihn eine Panikattacke, die so schwer ist, dass er meint, er müsse auf der Stelle sterben. Sein Kampf gegen die Angst dauert zehn Jahre, führt über Klinik-Aufenthalte und Therapien, auch gegen Medikamenten-Abhängigkeit: "Das macht eine Abhängigkeit nicht besser, dass sie verschrieben wurde, sondern es ist so lange eine gute Ausrede, bis man merkt, dass man halt einfach echt auf etwas hängengeblieben ist." Er plädiert für Offenheit, damit Betroffene ihre "Therapieangst" überwinden. Denn es falle schwer, über Dinge zu sprechen, die man selber nicht versteht. Er ein Buch drüber geschrieben: "Ich bin mal eben wieder tot - wie ich lernte, mit der Angst zu leben". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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"Ach stimmt, das sind die, die sich ritzen." So geht das Klischee über Borderliner. Wichtiger findet Anne Martin das Grundgefühl zu vermitteln: "Du bist immer eingeschnürt, weil Du vermeintlich funktionieren musst. Eingeschnürt von einem innerlichen wie äußerlichen Druck, der sich aber irgendwann ein Ventil sucht." Und: "Für mich gibt es keine Grautöne, nur Hochs oder Tiefs, viel übermäßige Emotion." So explodiere aus kleinsten Anlässen und verschrecke so Menschen, die ihr eigentlich viel bedeuten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Anna Feuerbach: Halbmarathon trotz Essstörung

Anna Feuerbach ist 22, als sie merkt, dass irgendetwas nicht stimmt mit ihr. Dabei scheint alles bestens. Anna studiert Biochemie. Die schlanke junge Frau ist sportlich, läuft sogar Halbmarathon. Es ist nicht so, dass sie nichts isst. Es ist nur viel zu wenig. Rückblickend sagt Anna Feuerbach: "Ich hatte das Gefühl, dass in dieser Zeit ziemlich viel in meinem Leben nicht unter meiner Kontrolle war. Ich dachte, wenigstens diesen Teil meines Lebens, ob ich esse oder nicht, kann ich alleine bestimmen." Dass sie eine Essstörung hat, ist ihr überhaupt nicht klar: "Ich habe immer weiter die Rolle der gesunden jungen Frau gespielt." Zugleich erfindet sie immer neue Ausreden, um bei Familienfeiern mit Kaffee und Kuchen oder zum Essen bei Freunden nicht zu erscheinen: "Also du fängst an, dich total zu isolieren." Als sie begreift, wie sie ihren Körper schädigt, will sie "das Thema angehen". Doch einen Klinik-Aufenthalt bricht sie ab und gerät damit an "einen richtigen Tiefpunkt": "Jetzt bist du selbst zum Gesundwerden zu doof", geht sie mit sich ins Gericht.

AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
"Hallo, ich bin Anna und ich lebte mit einer Essstörung." Anna Feuerbach gibt Einblick in den Kampf gegen gesellschaftliche Erwartungen, Kontrollverlust und ihre Reise zur Genesung. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Funktionen der Essstörung waren total vielfältig. In der Zeit, wo ich sie hatte, war mir das gar nicht so bewusst. Aber bei mir ging es um Autonomie. Ich wollte über mein Leben selbst bestimmen.

Anna Feuerbach

Sie hat das Glück, dass ihre Familie hinter ihr steht und ein neuer Partner, der sie auffängt. Vor allem findet sie eine Therapeutin, die ihr auf Augenhöhe begegnet und die richtigen Fragen stellt: "Der Hauptfokus war wirklich: Was kannst du in deinem Leben ändern, dass diese ganzen Funktionen, die die Essstörung erfüllt, durch andere Dinge erfüllt werden? Dann brauchst du die Krankheit nicht mehr." Anna Feuerbach ändert ihr Leben von grundauf, sie entscheidet sich am Ende auch gegen die geplante Karriere – und den damit verbundenen Druck, auch wenn viele ihr sagen: "Du hast da so viel reininvestiert, das kannst du nicht machen." Sie wagt den Schritt dennoch: "Ich habe angefangen, über mich und mein Leben zu bloggen, habe auch angefangen, meine Kritik an dem System nach außen zu bringen und habe gemerkt, wie gut mir das tut."

Mehr über Anna Feuerbach

Anna Sophia Feuerbach: Geboren 1986, verfolgte die studierte Biochemikerin zunächst eine klassische Akademikerkarriere in der molekularbiologischen Forschung. 2017 wagte sie sich mit ihrem Blog "Seelenschluckauf" erstmals mit allen Facetten ihrer Persönlichkeit in die Sichtbarkeit. Seit 2018 engagiert sie sich hauptberuflich für Aufklärung, Prävention und Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen, unterstützt Betroffene und Angehörige. Freiberuflich, seit 2020 aber auch fest für den Leipziger Verein Irrsinnig Menschlich e.V. Entspannen kann Anna beim Sport und beim Pflegen der von der Oma vermachten Streuobstwiese.

Zoë Beck: "Schlimm finde ich, wenn ich mich freuen muss"

Weiter tapfer eine Rolle spielen, aus Scham nicht über das eigene seelische Befinden sprechen, zu funktionieren, führt mitunter zu Jahrzehnte langem Leiden: "Ich dachte, eine Depression hat etwas damit zu tun, dass man weinend in der Ecke sitzt. Depression hörte sich für mich irgendwie blöd an, wollte ich nicht haben", erzählt Zoë Beck. Bis sie eines Tages vor einem Neurologen und Psychiater sitzt, der ihr sagt: "'Ich erkläre Ihnen jetzt mal, was in ihrem Gehirn und mit Ihrem Körper passiert.' Da habe ich gedacht: 'Das hätten wir vielleicht mal schon ein paar Jahrzehnte vorher angehen können. Aber es hat eben gedauert." 40 Jahre, überschlägt sie. Sie beginnt eine Therapie und auch Medikamente einzunehmen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Sie braucht beides bis heute und stellt fest: "Es hilft mir total, darüber zu sprechen. Vor allem mit Leuten, die das selber von sich kennen." So merkt sie, dass sie nicht allein damit ist, "was ich ja wirklich Jahrzehnte lang gedacht habe, dass ich einfach komisch bin und nicht in diese Welt passe. Das habe ich von klein auf mit auf den Weg bekommen: 'Mit dir stimmt irgendwas nicht. Benimm dich wie normale Menschen. Und ich wusste aber nie: 'Was ist denn jetzt 'normal'? Und heute stelle ich natürlich infrage, was diese Normalität jetzt eigentlich ist. Und sage: 'Hey, warum gibt's denn nicht auch meine Normalität?'"

AnimaDOK: "Nicht gesellschaftsfähig"
"Hi, ich bin Zoë, ich habe seit vermutlich 40 Jahren eine Depression." Zoë Beck beschreibt, wie ihre Depression mit Stress und Ängsten verbunden ist und warum es so lange gedauert hat, bis sie sich Hilfe holte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das habe ich von klein auf mit auf den Weg bekommen: 'Mit dir stimmt irgendwas nicht. Sei doch mal normal!'

Zoë Beck

Dabei räumt Zoë Beck ein, dass ihr die Diagnosen und Therapien zugleich geholfen haben: Beispielsweise um zu verstehen, wie Ängste und Depression miteinander einher gehen können, dieses Sich-Nicht-Freuen-Können und den Drang, alles "kleinzugrübeln" und sich selbst zu verletzen – aber auch "wie gut sich Leben eigentlich anfühlen kann". Das hilft ihr, die schlechten Phasen, die immer wieder kommen, zu überstehen.

Mehr über Zoë Beck

Zoë Beck: Geboren 1975. Schule und Studium in Deutschland und England. Schriftstellerin, Übersetzerin, Verlegerin, Synchronregisseurin für Film und Fernsehen. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Zoë Beck zählt zu den wichtigsten deutschen Krimiautor*innen und wurde mit zahlreichen Preisen, unter anderem mit dem Friedrich-Glauser-Preis, dem Radio-Bremen-Krimipreis und dem Deutschen Krimipreis, ausgezeichnet.

Nicholas Müller: Gegen die "Therapie-Angst"

"Still" – das war der Song von Jupiter Jones, der es in die Top Ten schaffte. Still wurde es dann um Sänger Nicholas Müller. 2014 zwang ihn seine Angststörung, aus der Band auszusteigen. Ihm ist damals nicht klar, was ihn plötzlich so fertig macht: Damals ist er 24, wiegt noch 160 Kilo und raucht. Ein Freund bringt ihn zum Check-Up ins Krankenhaus. Die Ärzte sagen ihm: "Also alt werden Sie so nicht. Aber Sterben, das ist jetzt gerade noch nicht auf dem Plan." Nie vergessen wird er seine erste Panikattacke mit Schwindel, Herzrasen und Schmerzen: "Es war bei der Beerdigung meiner Mutter in der Kirche. Es war im Januar und arschkalt und wahnsinnig traurig. Es lief die ganze Zeit traurige Musik und ich dachte: 'Okay, ich geh' jetzt hinterher.'" Es wird so schlimm, dass er mit Mitte 20 wieder bei seinem Vater einziehen muss. Nicht gerade das, was man in diesem Alter tun will.

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"Hallo, mein Name ist Nicholas, ich bin Musiker und Autor und ich habe eine Angststörung." Nicholas Müller gibt Einblicke, wie er Angst furchtbar körperlich erlebt mit Symptomen wie Schwindel, Herzrasen und Schmerzen – und wie er lernte, damit umzugehen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Also erstmal auf den Trichter zu kommen, dass das jetzt wirklich Angst ist und eine Erkrankung, die keinen körperlichen Ursprung hat, das ist wahnsinnig schwierig.

Nicholas Müller

Er holt sich Hilfe und meint, wenn er keinen Break gemacht und darüber gesprochen hätte, wäre er jetzt tot, aus Angst vor der Angst hätte er sich was angetan. Es wird ein langer Weg mit Therapien und auch stationären Klinik-Aufenthalten. 2016 schreibt Nicholas Müller ein ganzes Buch über seine Angst, nicht als Ratgeber, sondern als drastischen Erfahrungsbericht. Darauf sprächen ihn immer noch Leute an: "Manchmal reicht es einfach nicht zu wissen, dass es über zehn Millionen Angstkranke in Deutschland gibt", meint er. "Dann muss es vielleicht einfach sein zuzugeben: 'Guck mal, ich hab' mich auch schon mal fast auf offener Straße eingepinkelt, weil ich gedacht habe, ich sterbe jeden Moment." Alles ein Plädoyer gegen die "Therapie-Angst", die ja eigentlich absurd sei: "Denn natürlich spreche ich mit Experten über Sachen, die ich selber nicht verstehe." Und deswegen: "Therapie, yeah!"

Mehr über Nicholas Müller

Nicholas Müller war Sänger der Band Jupiter Jones, bis ihn 2014 eine Angststörung zwang auszusteigen. Für den Top10-Hit "Still" erhielt er einen Echo sowie Gold- und Platin-Schallplatten. Nach einer Therapie schaffte er den Neuanfang: 2015 gründete er die Band "von Brücken", zudem ist er Schirmherr des Deutschen Angst-Hilfe e.V. Nach dem hochgelobten Debut-Album "Weit weg von fertig" veröffentlichte Nicholas Müller im Oktober 2017 mit "Ich bin mal eben wieder tot – wie ich lernte, mit Angst zu leben" ein Buch bei Droemer Knaur. 2021 feierte Nicholas mit seinem Band-Kollegen die Reunion von Jupiter Jones.

Anne Martin: Borderline als Solo-Selbständige

Dass der Puls hochschnellt, das Herz rast und das Auge pocht, kennt auch Anne Martin. Schon als Teenager glaubt sie, den inneren Druck nicht mehr auszuhalten und verletzt sich deswegen selbst. Ihrer Mutter bleibt das nicht verborgen, einmal sieht sie, wie ihrer Tochter Blut aus den Ärmeln tropft. Die Diagnose Borderline steht früh im Raum, ohne dass sie entsprechend behandelt wird: "Bis zur Geburt meines ersten Kindes 2017 war ich uneingestellt." Also rund 20 Jahre. Anne Martin beschreibt sich als "Grenzgängerin zwischen Hochs und Tiefs, zwischen Melancholie, Depression und kompletter Eskalation". Lange habe sie nicht verstanden, warum ihr "die liebsten Leute" abhanden kommen. "Jeder kennt einen Wutausbruch, aber wenn so was 30, 40 Mal am Tag in Kleinstsituationen passiert, kann man sich ungefähr vorstellen, wie es sich anfühlt." Als Borderliner lebe sie mit Zwangsneurosen: "Das kommt mir als Künstlerin zu pass, weil ich perfektionistisch arbeite." Die studierte Musikwissenschaftlerin ist Jazz-Sängerin, Traurednerin, Moderatorin. Als Solo-Selbständige muss sie funktionieren kann nicht lange ausfallen, was wiederum Druck erzeugt. Bis heute hat sie mehrere Hörstürze erlitten, mit dem ersten kam ein beidseitiger Tinnitus.

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"Mein Name ist Anne und ich lebe mit Borderline." Anne Martin erzählt davon, wie sich die Diagnose Borderline schon früh in ihrem Leben andeutet. Offen spricht sie über ihre Erfahrungen mit selbstverletzendem Verhalten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ich bin in der Gothic-Szene großgeworden, da gehörte es quasi zum guten Ton zu bluten und zwar so, dass es auch jeder sieht. War für mich auch eine gute Möglichkeit, Sachen zu kompensieren und zu verstecken.

Anne Martin

Neben Medikamenten und Therapie helfen Anne Martin selbstregulierende Methoden, Atemtechnik oder progressive Muskelentspannung oder nach einem Auftritt plötzlich das Weite zu suchen, weil sie weiß, dass sie nach zu viel Input unausstehlich wird: "Das kann heißen, dass ich drei Tage niemanden sehen will und einfach in Ruhe auf meinem Acker das Unkraut zupfen, ohne dass mich jemand nervt." Was nicht heißt, dass sie das alles mit sich alleine abmachen möchte. Drüber sprechen zu können, das schätzt sie so wie Anna Feuerbach, Zoë Beck oder Nicholas Müller am meisten, selbstverständlich sei das nicht, eigentlich selten bis unmöglich. Zeit, was daran zu ändern.

Mehr über Anne Martin


Anne Martin: Geboren 1985 in Erfurt, ist Musikwissenschaftlerin und studierte an der Universität Leipzig. Ihre Profession allerdings liegt seit jeher in der Bühnenbranche als Jazz-Sängerin, Traurednerin, Veranstalterin und Moderatorin.

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

Hilfe! Wenn Sie sich in einer akuten Krise befinden ... ... wenden Sie sich bitte an Ihren behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten, die nächste psychiatrische Klinik oder wählen Sie den Notruf unter 112.

Sie erreichen die Telefonseelsorge rund um die Uhr und kostenfrei unter
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Folgende Hilfsangebote gibt es:
Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf eine Depression oder Suizidgedanken ist der Hausarzt, Psychiater oder psychologische Psychotherapeut

Wichtige Infos, Selbsttest, Podcast, moderiertes-Forum, und Adressen für Hilfsangebote bietet die Deutsche Depressionshilfe online

Hilfe und Beratung bieten auch die sozialpsychiatrischen Dienste der Gesundheitsämter

Außerdem informiert der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. auf eine Webseite, u.a. zu Selbsthilfegruppen

Wie lange muss ich auf einen Termin warten ... Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung:
Maximal fünf Wochen. Bei Akutbehandlung maximal drei Wochen.

Innerhalb einer Woche muss die Patientenservice-Nummer 116 117 einen Termin vermitteln. Der darf dann höchstens vier Wochen in der Zukunft liegen - bei einer Akutbehandlung maximal zwei Wochen.

Kann die 116 117 keinen fristgerechten Termin anbieten, muss sie innerhalb einer weiteren Woche einen Termin in einem Krankenhaus oder einer Krankenhausambulanz finden.

Programmtipp

"Nicht gesellschaftsfähig": Im Gespräch mit dem Comic-Künstler Schwarwel und Sandra Strauß mit Video
Bildrechte: Schwarwel
MDR FERNSEHEN Do, 18.01.2024 22:40 23:10
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Nicht gesellschaftsfähig

Nicht gesellschaftsfähig

Alltag mit psychischen Belastungen

Film von Sandra Strauß und Schwarwel

Folge 1  von 2

  • Stereo
  • 16:9 Format
  • HD-Qualität
  • Untertitel
  • VideoOnDemand
MDR FERNSEHEN Do, 25.01.2024 22:40 23:10
MDR FERNSEHEN Do, 25.01.2024 22:40 23:10

Nah dran Nicht gesellschaftsfähig

Nicht gesellschaftsfähig

Alltag mit psychischen Belastungen Teil 2

Film von Sandra Strauß und Schwarwel

Folge 2  von 2

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"Nicht gesellschaftsfähig": Im Gespräch mit dem Comic-Künstler Schwarwel und Sandra Strauß
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Buchtipp Schwarwel, Sandra Strauß (Hrsg.)
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Auf 612 Seiten in 23 Kapiteln geht es um den Alltag mit psychischen Belastungen, um zu mehr Offenheit und Entstigmatisierung beizutragen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 25. Januar 2024 | 22:40 Uhr