Ein junger Autofahrer raucht einen Joint waehrend der Autofahrt.
Der aktuelle THC-Grenzwert im Straßenverkehr stößt bei Experten auf Kritik. Bildrechte: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Cannabis im Straßenverkehr Positiver Test, ohne gekifft zu haben?

30. Juni 2024, 21:06 Uhr

Bei regelmäßigem Konsum kann Cannabis länger im Blut nachweisbar sein – auch wenn die letzte Einnahme schon einige Zeit zurückliegt. Ein Test kann also positiv sein, auch wenn die Person nicht mehr bekifft ist. Sollte der Grenzwert im Straßenverkehr also erhöht werden? Wir sprechen mit einem Rechtsmediziner und einem Rechtsanwalt darüber.

Die Polizei hat derzeit eine klare Vorgabe: Wer den Grenzwert von einem Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum überschreitet, wird bestraft. Das gilt auch unabhängig davon, wann der Konsum stattgefunden hat. "Grundsätzlich ist für uns vor Ort nicht feststellbar, ob eine Person das direkt vor Fahrtantritt konsumiert hat oder am Abend vorher. Oder möglicherweise auch eine Woche vorher, weil sie so viel nimmt, dass das noch so lange als Abbauprodukt feststellbar ist", sagt Polizeirat Michael Fengler.

Rechtsmediziner empfiehlt 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum

Es gibt auch andere Auffassungen zu diesem Thema. So glauben zumindest einige Experten, dass der momentane Grenzwert zu niedrig angesetzt ist. "Das Problem beim Cannabis ist und das stellt bei Drogen eine große Besonderheit dar, dass sich dieser Cannabis-Wirkstoff THC im Körper anreichert. Das heißt, dass es sich in Muskeln und Fettgewebe ablagert und da Depots aufbaut. Bei jemandem, der täglich oder auch täglich mehrmals konsumiert, reichert sich so viel in seinem Körper an, dass er dann aus diesen Speichern an das Blut wieder THC abgibt, auch in Phasen, wo er nicht konsumiert hat", erklärt Rechtsmediziner Professor Stefan Tönnes gegenüber Voss & Team.

Wie lange kann THC im Körper nachgewiesen werden? Der ADAC schreibt zum Abbau von THC auf seiner Webseite: "Wie lange THC sowie das unwirksame Abbauprodukt THC-COOH (THC-Carbonsäure) nachweisbar sind, hängt unter anderem davon ab, wie viel und wie häufig eine Person Cannabis konsumiert. Es gibt grobe Richtwerte, an denen man sich orientieren kann. Im Einzelfall kann die Dauer der Nachweisbarkeit aber deutlich davon abweichen.

Wird Cannabis geraucht oder inhaliert, gelangt THC nahezu unmittelbar ins Blut und erreicht innerhalb weniger Minuten seine Höchstkonzentration. Danach fällt diese stark ab und halbiert sich teilweise innerhalb von 45 bis 60 Minuten. Bei gelegentlichem Konsum sind lediglich für rund sechs Stunden Konzentrationen über dem aktuellen Grenzwert im Straßenverkehr von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (1 ng/ml) zu erwarten. Bei regelmäßigem Konsum wird THC im Gewebe gespeichert, und durch eine langsame Rückverteilung ins Blut kann es Tage dauern, bis dieser Wert unterschritten wird."

Diese Besonderheit führt zu der Frage, ob es nicht unfair ist, wenn jemand, der eigentlich nicht bekifft ist, sanktioniert wird, weil in seinem Blut noch THC nachgewiesen werden kann. "Das ist eine Frage, welchen Bewertungsmaßstab man ansetzen will. Momentan ist Cannabis noch eine illegale Droge und da hat man 'in dubio pro Verkehrssicherheit' gesagt. Man möchte gerne einfach ein klares Zeichen setzen, dass Cannabis nicht in den Straßenverkehr gehört. Wenn sich jetzt die rechtliche Situation ein bisschen ändert, muss man vielleicht auch noch mal anders damit umgehen", sagt er.

Die Empfehlung des Rechtsmediziners ist daher auch ein erhöhter Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum: "Also etwas erhöht, weil das nach meiner Einschätzung und der von einigen Kollegen ein Grenzwert ist, der kein besonders hohes Verkehrsrisiko darstellt. Letztlich das aber diejenigen, die häufiger konsumieren, deutlich entlastet, was eine Falschbeurteilung angeht.“

Fachanwalt spricht sich auch für Erhöhung aus

Um eine halbwegs gerechte Regelung hinzubekommen, werde man um eine Erhöhung des Grenzwertes nicht umhinkommen, sagt Andreas Krämer, Fachanwalt für Verkehrsrecht. "Ich denke, dass man mit einer Anhebung, zum Beispiel auf den Wert von 3,5, hier durchaus ein beherrschbares und auch von Seiten des Staates verantwortbares Risiko in Kauf nimmt", erläutert er. Sollte der Grenzwert festgelegt werden, müsste er auch entsprechend ins Gesetz aufgenommen werden.

Pläne der Bundesregierung zur Erhöhung des Grenzwertes

Ob der derzeitige Grenzwert tatsächlich zu niedrig angesetzt ist, damit hat sich eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertengruppe beschäftigt. Diese empfiehlt ebenfalls eine Erhöhung des THC-Grenzwertes im Straßenverkehr auf 3,5 Nanogramm pro Milliliter. Bei Fahranfängern in der Probezeit oder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres soll es ein absolutes Verbot geben. Wichtig auch: Wie der ADAC schreibt, "gilt nach dem Cannabis-Genuss ein komplettes Alkoholverbot im Straßenverkehr". Der Gesetzentwurf hat den Bundestag bereits passiert, muss aber noch vom Bundesrat beschlossen werden, bevor die Änderungen auch in Kraft treten können.

Drogen am Steuer: Ordnungswidrigkeit oder Straftat? Die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes schreibt zu dieser Frage auf ihrer Webseite: "Wer unter dem Einfluss von illegalen Drogen wie Cannabis, Heroin, Morphin, Kokain, Amphetamin oder Ecstasy ohne Ausfallerscheinungen am Straßenverkehr teilnimmt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss mit einer Geldbuße bis zu 1.500 Euro und einem Fahrverbot zwischen einem und drei Monaten rechnen.
Kommen drogenbedingte Fahrfehler, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer oder sogar ein Verkehrsunfall hinzu, handelt es sich um eine Straftat (Paragraph 316 Strafgesetzbuch: Freihheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, Paragraph 315c Strafgesetzbuch: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe)." Und der Führerschein ist dann natürlich auch weg.

Ist ein Grenzwert von 3,5 Nanogramm je Milliliter hoch genug, um Falschsanktionierungen zu vermeiden?

Stefan Tönnes ist von dem neuen Grenzwert überzeugt, denn Personen mit einer THC-Serumkonzentration von bis zu 3,5 Nanogramm je Milliliter wiesen im Normalfall keine so deutlichen Defizite in der Leistungsfähigkeit auf, dass sie ein besonderes Verkehrssicherheitsrisiko darstellen würden. "Mit dem Abweichen von dem analytischen Grenzwert (Anm. d. Red.: damit ist der bisher gültige Grenzwert von 1 Nanogramm je Milliliter gemeint) sind Personen, die etwas mehr als selten konsumieren, vor einer Falschsanktionierung geschützt. Es gibt bei der politischen Entscheidung für einen Grenzwert kein absolutes Richtig oder Falsch, da sich eine allgemeingültige Lösung für das Problem wissenschaftlich nicht finden lässt", erklärt er auf MDR-Anfrage.

Es gibt bei der politischen Entscheidung für einen Grenzwert kein absolutes Richtig oder Falsch

Stefan Tönnes, Rechtsmediziner

Ein fairer Grenzwert sei schwierig zu finden, sagt auch Toxikologe Doktor Fabian Pitter Steinmetz. Seiner Meinung nach ist der Grenzwert zu "konservativ": "Man könnte auch einen höheren Grenzwert, beispielsweise 10 Nanogramm pro Milliliter nutzen, um zu differenzieren zwischen Menschen, die quasi beeinträchtigt sind oder nicht. Auch da würde es wahrscheinlich regelmäßig Konsumenten treffen, die nicht beeinträchtigt sind."

Cannabisblüten liegen auf einem Tisch neben einem Autoschlüssel. 5 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Was aber sollte man beachten, wenn man gerne öfter Cannabis konsumieren möchte und dennoch Auto fahren will? Das ist gar nicht so einfach, vor allem wenn man täglich oder mehrmals täglich kifft. "Die Abgabe von THC aus den tiefen Körperspeichern ans Blut wird sich nach wissenschaftlichen Erfahrungen auch noch über einige Tage hinziehen, so dass Konsumierende keine Möglichkeit haben, die bei ihnen vorhandene THC-Konzentration einzuschätzen", erläutert Stefan Tönnes. Das gelte auch, wenn der letzte Konsum bereits mehr als zwölf Stunden zurückliegt. "Dieses Phänomen des 'residualen THC' hat zu der Empfehlung geführt, bei Verkehrskontrollen einen Speicheltest vorzuschalten, mit dem positive Befunde überwiegend nur bei einem aktuellen Konsum erhalten werden", sagt er. Ansonsten haben Konsumierende, laut dem Rechtsmediziner, nur eine Möglichkeit zur Einflussnahme: nämlich, den Konsum zu beschränken.

Ein Mann in einer Cannabis-Plantage 1 min
Bildrechte: MDR/Lucas Riemer
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Dirk Heitepriem vom Unternehmen Aurora Europe fordet eine zügige Legalisierung von Cannabis und spricht über Bedenken von Kritikern der geplanten Gesetzesänderung.

MDR SACHSEN-ANHALT Mo 11.03.2024 11:00Uhr 00:52 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/audio-cannabisgesetz-100.html

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MDR (jvo)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 07. Juni 2024 | 15:27 Uhr

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