Nahaufnahme der Sportschuhe einer Joggerin im Wald
Wer neu mit dem Laufen beginnt, sollte seine Ziele nicht zu hoch stecken, rät Sportwissenschaftler Peter Brüggemann. Bildrechte: Colourbox.de

Interview mit Sportwissenschaftler Tipps für den gesunden Laufschuh

08. September 2024, 09:00 Uhr

Laufen hält fit. Wichtig ist dabei auch ein gesunder Laufschuh. Sportwissenschaftler Gert-Peter Brüggemann erklärt, worauf es dabei ankommt. Und: Er hat Tipps, wie man unnötigen Verletzungen vorbeugen kann.

Was gibt es bei der Größe von Laufschuhen zu beachten?

Gert-Peter Brüggemann: Wenn wir Laufschuhe anprobieren, sollten die Zehen im Stand etwa 1-1,5 cm Platz im Schuh nach vorne haben, also ungefähr eine Daumenbreite. Das hat zwei Gründe: Zum einen steigt die Durchblutung in den Füßen bei stärkerer Belastung wie beim Laufen an, sodass die Füße beim Laufen anschwellen – insbesondere bei längeren Distanzen. Zum anderen ist der Freiraum auch aus technischer Sicht nötig. So wird beim Abrollen durch die "Biegung" die dem Fuß zugewandte Sohle gestaucht und damit kürzer, während die äußeren Teile der Sohle gedehnt werden. Damit die Zehen beim Laufen nun nicht an der Zehenkappe anstoßen, muss der Schuh entsprechend länger gewählt werden.

Ein Tipp: Am besten testen wir Laufschuhe immer zu der Uhrzeit, zu der wir gewöhnlich auch immer laufen gehen. Der Grund: Nachmittags und abends sind unsere Füße durch die Belastung über den Tag und die daraus stärker resultierende Durchblutung meist größer als morgens. Testen wir also morgens Laufschuhe, gehen aber immer abends laufen, kann es sein, dass wir eine zu kleine Größe wählen.

Sollte man Laufschuhe regelmäßig wechseln?

Zwischen verschiedenen Laufschuhen zu wechseln, ist tatsächlich ein Mythos aus der Vergangenheit. Wenn wir den für uns optimalen Laufschuh gefunden haben, ist das prinzipiell nicht nötig. Denn: Die in modernen Laufschuhen verbauten, modernen Materialien brauchen kaum noch "Erholungszeit" und sind nach wenigen Stunden mechanisch wieder bei ihrer 100-prozentigen Leistungsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund brauchen Laufschuhe also nicht für den nächsten Lauf oder die nächste Trainingseinheit gewechselt werden. Und da es ja der für uns optimale Laufschuh ist, kann ich durch einen Wechsel keinen noch positiveren Einfluss nehmen.

Laufschuhe zu wechseln ist also nur dann sinnvoll und nötig, wenn sich die Anwendungsbedingungen ändern – wenn wir also Trainingseinheiten auf befestigten Untergründen und Einheiten auf nassen, rutschigen Waldwegen haben. Für diese Anwendungen gibt es Laufschuhe mit unterschiedlichen Außensohlen, um den bestmöglichen Halt auf den jeweiligen Untergründen zu ermöglichen.

Um ein möglichst breites Angebot zu schaffen, gibt es mittlerweile auch sogenannte Hybrid- oder Road-to-Trail-Laufschuhe. Sie verbinden komfortables Laufen auf der Straße und das sichere Laufen auf Waldwegen bis hin zu leichten Trails.

Was macht einen guten Laufschuh aus?

Einen modernen, "guten" Laufschuh machen vor allem zwei Dinge aus: die hervorragende Passform und dass er nicht in die individuelle Biomechanik des Läufers eingreift.

Ein guter Laufschuh muss also zunächst einmal "bequem" sein und darf auf keinen Fall drücken, quetschen oder Blasen verursachen. Eine hinreichende Dämpfung sorgt zusätzlich nicht nur für Komfort, sondern sollte auch während der Landephase einen Teil der Landeenergie aufnehmen können. Auf diese Weise unterstützt das Material die Beinmuskulatur bei der Bremsarbeit. Die Energierückgabe wiederum ist beim Abdruck hilfreich und führt zu einem dynamischeren Laufgefühl, sollte aber in der Bedeutung nicht zu hoch gehängt werden.

Peter Brüggemann
Peter Brüggemann war auch Universitäts-Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln am Institut für Biomechanik und Orthopädie. Bildrechte: Einfach Genial/MDR

Wichtiger sind die biomechanischen Eigenschaften des Laufschuhs. Oder besser: ein technisches Design, dass die individuelle Biomechanik eben nicht negativ beeinflusst. Idealerweise hat die Sohle eines modernen, "guten" Laufschuhs also keine scharfen und harten Kanten. Diese nämlich verändern und erhöhen die Winkel, wie Kräfte durch unseren Körper laufen – es entstehen schädliche, verletzungsverursachende Drehmomente. Leider haben auch heute noch viele moderne, sehr teure Laufschuhe diese Art von Sohlen.

Auch extrem viel Dämpfungsmaterial, das unter dem Fuß wirkt, führen dazu, dass Sprunggelenk und Knie anfälliger für hoch belastende Kippmomente werden. Idealerweise haben moderne, "gute" Laufschuhe daher runde statt eckige Dämpfungselemente, die sich nicht unter, sondern beispielsweise wie ein Hufeisen U-förmig um den Fuß legen.

Zudem sollten "Normal-" und Hobbyläufer auf versteifende Sohlenelemente verzichten, wie sie beispielsweise in Carbon-Laufschuhen genutzt werden. Eine solche Versteifung führt zu einer Vergrößerung der Belastung der Achillessehne und der Wadenmuskulatur, die beim Läufer sowieso immer etwas gefährdet sind.

Was sind die häufigsten Verletzungen beim Laufen?

Etwa 25 % aller Läuferinnen und Läufer verletzen sich am Knie. Das entspricht etwa 50 % aller Laufverletzungen. Ursache hierfür sind die während der Standphase wirkenden Kippkräfte und Kippmomente. Die Standphase ist die Phase, in der wir während des Abrollvorgangs mit dem ganzen Fuß auf dem Boden sind. Studien zeigen, dass der Risikofaktor für Knieprobleme und -verletzungen Laufschuhe mit kantigen, breiten Sohlen mit sehr viel Material unter dem Fuß sind.

Auf Knieverletzungen folgen Achillessehnen- und Wadenverletzungen. Ursachen sind Überbelastungen, zu hohe Lastwiederholungen und falsche Laufschuhtechnologien. Durch Verkippungen des Beckens treten am dritthäufigsten Beschwerden im Bereich der Hüfte und des unteren Rückens auf. Interessanterweise folgen erst danach Verletzungen am Fuß selbst.

Spannend ist, dass viele Studien zeigen konnten, dass Ursachen dieser Verletzungen eben nicht die immer wieder genannte Überpronation oder Spreizfüße sind. Vielmehr sind in den meisten Fällen Ermüdungserscheinungen oder Verletzungen der plantaren Faszie – der Fersensporn – der Grund. Diese entstehen ebenfalls vor allem durch Überbeanspruchung.

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Wie kann man Verletzungen vorbeugen oder gegensteuern?

Wir wissen, dass Verletzungen ausgelöst werden durch akute und wiederholte Belastungen, die die individuellen Belastungsgrenzen der betreffenden Gewebe – Knochen, Sehnen, Bänder und Muskeln – übersteigen oder dieser Grenze immer wieder sehr nahekommen.

Das Gute ist: Die Belastbarkeitsgrenzen unserer biologischen Strukturen lassen sich  verbessern. Und ja, Training ist hier die beste Präventionsstrategie. Wichtig dabei ist, dass wir langsam anfangen und regelmäßig trainieren. Die Ziele, die wir uns stecken, sollten langfristig sein. Um Belastbarkeitsgrenzen zu verbessern, brauchen wir also – Geduld. Das bedeutet auch: Im Allgemeinen sind wir nach drei Monaten leider noch nicht bereit für einen Marathon, wenn wir von Null oder nahe Null starten.

Dabei gilt auch, dass die Muskeln deutlich langsamer in ihrer Anpassung sind als unser Herz-Lungen-System. Spannend ist, dass moderne, gute Laufschuhtechnologien die Belastung des Muskel-Skelett-Systems recht präzise und gut steuern können. Sie sind somit eine Unterstützung in unserem Training.

Was ist die gefährlichste Verletzung?

Tatsächlich sind die oft beim Laufen als Fußfehlstellung bezeichneten individuellen Bewegungen keine Ursache für die Entstehung von Laufverletzungen – zumindest, wenn sie nicht tatsächlich pathologisch sind. Viele Studien konnten zeigen, dass die Pronation und Überpronation, auch Spreizfuß, Senkfuß oder Plattfuß nicht in Verbindung mit Laufverletzungen gebracht werden konnten.

Tatsächlich sind echte – pathologische – Vorverletzungen der beste Indikator für das Entstehen von Laufverletzungen. Das klingt jetzt vielleicht einfach, aber: Am besten schützen wir uns vor Verletzungen, wenn wir uns erst gar nicht verletzen. Und das gelingt wie bereits erklärt am besten, indem wir die Belastungen langsam steigern und die für uns bestmöglichen Laufschuhe tragen.

Und wenn es um die Häufigkeit geht, dann sind Knieverletzungen die gefährlichsten Laufverletzungen. Da Achillessehnenprobleme leider oft wiederkehrend und langwierig sind, sind auch sie besonders gefährlich.

Helfen Bandagen oder Salben?

Sie können zumindest unterstützen, ja. Tapes und auch geeignete Bandagen können zur lokalen Belastungsreduktion beitragen. Salben können gegebenenfalls Entzündungen hemmen. Wichtig ist aber: Diese Hilfsmittel können eine verletzte Struktur nicht ersetzen. Die Trainingsbelastung muss reduziert werden.

Was ist der häufigste Fehler, den Laufneulinge machen?

Das ist in aller Regel eine Kombination aus drei Dingen: falsche Zielsetzung, vernachlässigte Trainingselemente und schlechte Ausrüstung. Leider wird immer wieder festgestellt, dass gerade Laufanfängerinnen und -anfänger Ziele falsch setzen. Sie möchten zu schnell laufen, zu lange laufen, haben zu hohe oder zu ehrgeizige und vor allem zu kurzfristige Ziele. Auch die Bedeutung vom "Zusatztraining" ist vielen nicht bekannt. Es ist wichtig, dass wir unsere Muskeln nach dem Laufen pflegen, dass wir uns dehnen und beispielsweise ergänzendes Krafttraining machen.

Und zu guter Letzt spielt auch die richtige Ausrüstung eine Rolle. Die Annahme, dass ich als Anfänger keinen "guten" Laufschuh brauche, da er im Zweifel teurer ist, ist leider fatal. Es gilt: Gerade die noch weniger belastbaren Anfängerinnen und Anfänger brauchen sehr gute, belastungssteuernde Hilfsmittel.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: Einfach Genial auf YouTube | 20. August 2024 | 17:00 Uhr

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