Kartenzahlung "Trinkgeldtaste" – Nützlich oder manipulativ?
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24. September 2024, 10:46 Uhr
Der Servicekraft Trinkgeld zu geben, gehört für viele Menschen bei einem Besuch im Restaurant dazu. Was aber, wenn man gerade kein Bargeld dabei hat und mit Karte zahlen will? Um das Trinkgeldgeben mit Karte zu vereinfachen, wird in einigen Lokalen die Funktion der "Trinkgeldtaste" genutzt. Hier werden mehrere Optionen angeboten. Für Gastronomen kann das nützlich sein. Für den Kunden kann es aber auch eine Beeinflussung darstellen.
Gemütlich im Eiscafé einen Kaffee trinken und dabei ein leckeres Eis essen: Besonders im Sommer zieht es viele Menschen wieder auf die Terrassen von Restaurants und Bars. Wenn der Service gut ist und man zufrieden nach Hause geht, geben viele Gäste Trinkgeld. Wie hoch dieses ausfällt, ist dabei jedem selbst überlassen. Gerne wird dann im Portemonnaie geschaut, was für Münzgeld noch vorhanden ist. Doch in letzter Zeit gibt es einen neuen "Trend" beim Trinkgeld, der für unterschiedliche Reaktionen sorgt: die Trinkgeldtaste auf dem Kartenlesegerät.
Das Ganze läuft so ab: Der Kunde entscheidet sich dafür, mit Karte zu zahlen. Die Servicekraft stellt das Kartenlesegerät entsprechend ein und übergibt es dem Gast. Bevor dieser aber seine Karte einstecken oder drauflegen kann, erscheint ein Menü mit verschiedenen Trinkgeldoptionen. In der Regel wird dann mit unterschiedlichen Prozenten, wie zum Beispiel 5 %, 10 % oder 20 %, ein Vorschlag unterbreitet, wie viel Trinkgeld gegeben werden könnte. Zudem gibt es auch noch zwei weitere Felder: nämlich einmal die Möglichkeit kein Trinkgeld und einmal die Option ein anderes Trinkgeld geben zu können.
Verbraucherzentrale skeptisch: Mehr Druck für Kunden?
Niemand ist zum Trinkgeldgeben verpflichtet – auch nicht, wenn auf dem Kartenlesegerät die Trinkgeldtaste angezeigt wird. "Kein Gast wird gezwungen, ein Trinkgeld zu geben. Trinkgelder sind und bleiben ein freiwilliges Dankeschön für tolle Gastfreundschaft und guten Service", sagt Jürgen Benad, Geschäftsführer im Dehoga-Bundesverband und Rechtsexperte.
Trinkgelder sind und bleiben ein freiwilliges Dankeschön.
Allerdings könnten sich einige Kunden durch die direktere Aufforderung unter Druck gesetzt fühlen. "Wir sehen diese Funktion kritisch, wenn die Trinkgeldvarianten deutlich hervorgehoben werden und dadurch der Kunde die Option 'kein Trinkgeld' nicht findet. So werden die Kunden manipuliert, einen höheren Preis zu bezahlen, als sie es bei Barzahlung getan hätten", kritisiert Andreas Behn, Referatsleiter für Finanzdienstleistungen der Verbraucherzentrale Thüringen.
Wir sehen diese Funktion kritisch, wenn die Trinkgeldvarianten deutlich hervorgehoben werden und dadurch der Kunde die Option 'kein Trinkgeld' nicht findet.
Wer sich online über die Trinkgeldtaste informieren will, stößt auch auf den Begriff des "Nudging" oder "Nudge". "Das heißt so viel wie kleiner Schubser beziehungsweise als Verb anstoßen oder anstupsen", erläutert Jana Tietze, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Leipzig. "Ein 'Nudge' im ursprünglichen Sinne des Wortes soll Menschen zu 'besseren' und 'gesünderen' Entscheidungen verhelfen. Seitdem hat sich die Nutzung des Begriffes jedoch auch im Marketing und in anderen Bereichen etabliert und umfasst im Grunde alle Situationen, in denen Leute ohne Verbote, Gebote oder andere Anreize aktiv in ihren Entscheidungen beeinflusst werden sollen", führt sie weiter aus.
In puncto Trinkgeld werde es den Kunden durch einen vorgegebenen Prozentsatz oder Betrag ganz leicht gemacht, möglichst viel Trinkgeld zu geben. "Dies funktioniert besonders gut, wenn mit Karte gezahlt wird, da hier nur ein Knopfdruck auf die 'Trinkgeldtaste' nötig ist, um den Aufschlag direkt mit abzubuchen, aber auch bei einer Barzahlung können Kunden 'genudged' werden, indem zum Beispiel 10 Prozent Trinkgeld mit auf den Bon aufgedruckt werden", merkt sie an.
Reaktionen können unterschiedlich ausfallen
Die Reaktion von Kunden und Gästen auf die Funktion ist sicherlich individuell und von der Situation abhängig. "Grundsätzlich ist die Trinkgeldtaste erstmal eine Erleichterung für Kunden. Sie ermöglicht es, ohne viel Aufwand, die Dankbarkeit für Servicequalität auszudrücken", sagt Jana Tietze. Die Funktion könne aber auch dazu führen, dass Kunden das Lokal unzufriedener verlassen.
Wie aber sollte man reagieren, wenn man sich von der Entscheidungsoption überrumpelt fühlt? Andreas Behn von der Verbraucherzentrale Thüringen rät dazu: "Die Verbraucher sollten beim Bezahlen genau hinschauen und sich nicht unter Druck setzen lassen. Es muss eine Option geben, keinen Aufschlag zu geben. Grundsätzlich spricht natürlich nichts dagegen, zum Beispiel im Restaurant der Bedienung ein Trinkgeld zu geben. Anders sieht es aus, wenn ich am Tresen einen Kaffee zum Mitnehmen kaufe und dafür einen als Trinkgeld deklarierten Aufschlag auf den eigentlichen Preis bezahlen muss. Natürlich will niemand als geizig gelten – damit spielen die Anbieter in diesem Fall. Es hilft, sich zu fragen: Würden Sie in dieser Situation Trinkgeld geben, wenn Sie bar bezahlen würden? Wenn nicht, sollten Sie sich nicht scheuen zu fragen, wie Sie das Trinkgeld abwählen können."
Trinkgeld auch bei Kartenzahlung gewünscht
Warum sich Gastronomen oder andere Betriebe für die Funktion der Trinkgeldtaste entscheiden, hängt damit zusammen, wie Kunden zahlen. "Elektronische Zahlungsweisen nehmen zu. Immer mehr Menschen sind bargeldlos unterwegs und bezahlen digital. Technologische Innovationen bieten neue Möglichkeiten. Das betrifft auch das Geben von Trinkgeld über entsprechende Buttons auf Kartenlesegeräten mit vordefinierten Prozentbeträgen, die eine Orientierung darstellen können. Unsere Betriebe entscheiden mit Blick auf ihr Konzept und ihre Gästeklientel über den Einsatz der neuen Technologien und Geräte", erklärt Jürgen Benad vom Dehoga-Bundesverband auf MDR-Anfrage.
"Gerade bei Kartenzahlung ist die Trinkgeldkonvention häufig unklar, da man nicht einfach einen Schein oder ein Paar Münzen auf dem Tisch liegenlassen oder das Rückgeld per 'Stimmt so' als Trinkgeld aufrunden kann. Für Servicekräfte kann durch ein hohes zusätzliches Trinkgeld eine geringe Basisbezahlung ausgeglichen und so eher unattraktive Arbeitsplätze interessanter gemacht werden", erläutert Jana Tietze.
Anbieter sehen deutlichen Anstieg der Trinkgeldhöhe
Eine Anfrage der Redaktion Wirtschaft und Ratgeber an zwei Anbieter dieser Funktion hat gezeigt, dass Betriebe wie auch Kunden die Trinkgeldtaste durchaus annehmen. "Derzeit haben wir in Deutschland ca. 2.500 Kunden, welche die Trinkgeldfunktion auf ihren Kartenlesern aktiviert haben", sagt Christian Scheper-Stuke, Head of Business Development & Product Management bei der Firma Orderbird. "Wir können einen deutlichen Anstieg der Trinkgeldhöhe von circa 65 Prozent bei unseren Kunden beobachten. Hierfür haben wir die Daten sechs Monate vor Einführung der Trinkgeldfunktion auf dem Kartenleser mit den Daten sechs Monate nach Einführung der Trinkgeldfunktion verglichen", führt er weiter aus.
Ähnliche Erfahrungen macht auch der Konkurrent Sumup. "Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass die Nutzung seit dem zweiten Quartal 2022 kontinuierlich ansteigt. Innerhalb eines Jahres (Vergleich August 2022 mit August 2023) verzeichnet Sumup einen Anstieg von zwölf Prozent bei Transaktionen mit Trinkgeld. Auffällig ist: Je kleiner der Betrag, desto höher fällt prozentual anteilig das Trinkgeld aus. Die Trinkgeldhöhe überschreitet hierbei selten den Wert von 20 Euro", so Sumup.
Auch interessant: Laut Christian Scheper-Stuke wählen Gäste mit der Trinkgeldtaste am häufigsten eine Trinkgeldhöhe von zehn Prozent.
MDR (jvo)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Voss & Team | 30. Mai 2024 | 20:15 Uhr