Tag der Pressefreiheit Russische Journalistin flieht nach Leipzig: Ich hätte lügen müssen
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03. Mai 2023, 20:59 Uhr
MDR AKTUELL hat die russische Journalistin Jelena Romanowa begleitet. Sie arbeitet nun von Leipzig aus. Eine Arbeit in Russland war für sie nicht mehr möglich gewesen. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat heute ihre jährliche Rangliste zur Pressearbeit veröffentlicht. Russland wird dabei herabstuft, aber auch Deutschland.
- Jelena Romanowa sagt, es sei nicht mehr möglich gewesen, ihre Arbeit in Russland ehrlich zu machen.
- Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" stuft Russland in der Pressefreiheit herunter.
- Auch in Deutschland hat sich die Situation für Journalistinnen und Journalisten verschlechtert.
Jelena Romanowa sitzt mit ihrem Laptop im Wohnzimmer ihrer neuen Wohnung in Leipzig. Hier ist seit einem Jahr ihr Arbeitsplatz. Die Journalistin kommt aus Rostow am Don und schreibt für die russische unabhängige Zeitung Nowaja Gasjeta. Mit Beginn des Krieges wurden die Arbeitsbedingungen in Russland für sie und viele ihrer Kollegen immer schwieriger. Im April 2022 kam sie deshalb nach Leipzig.
"Nach dem 24. Februar war es in Russland nicht möglich, Journalistin zu bleiben und meine Arbeit ehrlich zu machen. Ich hätte entweder lügen müssen und sagen sollen, dass es keinen Krieg gebe, die Verbrechen in Butscha nicht gegeben habe oder die russische Armee niemanden töte – oder Russland verlassen."
Russland: 15 Jahre Haft für sogenannte "Falschnachrichten"
Kurz nach Kriegsbeginn beschloss die russische Regierung ein Gesetz, das sogenannte "Falschnachrichten" über die russische Armee mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft. Allein das Wort "Krieg" zählt schon als Falschnachricht. Offiziell spricht Russland von einer militärischen Spezialoperation in der Ukraine.
Dank der Hilfe einer Menschenrechtsorganisation hat Jelena Romanowa in Leipzig einstweilen eine Bleibe gefunden. Von hier aus kann sie weiter für ihre russischen Leserinnen und Leser berichten. Das geht auch deshalb, weil immer noch Kollegen in Russland undercover arbeiten.
"Meine Kollegen vollbringen in Russland gerade echte Heldentaten, sie riskieren ihre Freiheit. Sie halten das fest, was gerade passiert. Aber wir können ihre Namen nicht veröffentlichen."
1.000 Journalisten gehen ins Exil
In ihrer Rangliste stuft die Organisation "Reporter ohne Grenzen" Russland mittlerweile auf Platz 164 von insgesamt 180 Ländern ein. Damit habe sich das Land um neun Plätze verschlechtert, sagt Birger Schütz. Er ist Experte für postsowjetische Länder bei "Reporter ohne Grenzen".
"Deshalb haben 1.000 Journalisten bis zum Ende des Jahres Russland verlassen, sind ins Exil gegangen. Wir haben auch derzeit 24 Journalisten in Haft. Zudem verzeichnen wir in Russland im vergangenen Jahr auch das weltweit längste Strafmaß bei einer Verurteilung, nämlich 22 Jahre gegen Iwan Safronow, einen ehemaligen Investigativjournalisten, der wegen angeblichem Verrat von Staatsgeheimnissen verurteilt wurde."
Pressefreiheit: auch Deutschland herabgestuft
Doch auch in Ländern, in denen die Menschenrechtler die Situation als gut und zufriedenstellend bewerten, geraten Journalisten unter Druck. Zum dritten Jahr in Folge ist Deutschland in der Rangliste abgestiegen und liegt nun auf Platz 21 hinter Ländern wie der Slowakei und Samoa.
Grund sei die steigende Zahl physischer Angriffe auf Journalisten hierzulande, etwa bei Demonstrationen. Doch im weltweiten Vergleich bleibt Europa weiterhin der sicherste Ort für Medienschaffende. Auch für die Journalistin Jelena Romanowa. Trotzdem hofft sie, dass sie schon bald nach Russland zurückkehren kann.
"Aber wir können nicht nur hoffen und herumsitzen und weinen. Wir sollten etwas machen. Das, was ich hier mache, ist ein kleiner Anteil, damit sich dort etwas verändert."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 03. Mai 2023 | 21:45 Uhr