Demonstrant attackiert Filmteam und hält Kamera zu
65 gewalttätige Angriffe gegen Journalisten zählte Reporter ohne Grenzen 2020 in Deutschland. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Tag der Pressefreiheit Pressefreiheit: Was sind ihre Stützen, wer sägt daran?

03. Mai 2022, 16:50 Uhr

Vielleicht ist es mit der Pressefreiheit wie mit einem gesunden Gebiss: Dass es krank ist, merkt man erst, wenn es weh tut. Und genau wie für Zähne gibt es regelmäßig Untersuchungen zum Stand der Pressefreiheit. Weltweit liegt Deutschland in Sachen Pressefreiheit auf Platz 16, laut der Organisation Reporter ohne Grenzen. Wie kommen solche Daten eigentlich zustande? Und was kann dazu führen, dass Pressefreiheit als eingeschränkt gilt?

Verschiedene Organisationen fühlen der Pressefreiheit regelmäßig auf den Zahn. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" zum Beispiel erstellt jährlich ein Ranking zum weltweiten Zustand der Pressefreiheit. Dazu gehen Fragebögen (hier als pdf) an ausgewählte Experten, die dann auf über 19 Seiten Fragen beantworten wie:

  • Wie leicht können staatliche Behörden die Entlassung von Führungskräften oder Radio- oder Fernsehjournalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erzwingen, oder von Führungskräften privater Medien?

  • Inwieweit sind private Medien direkt oder indirekt von staatlichen Zuschüssen abhängig? Müssen private Medien als Gegenleistung für staatliche Zuschüsse bestimmte Inhalte verbreiten?

  • In welchem Maße wird der Schutz journalistischer Quellen bedroht durch: Die politischen Machthaber? Einflussreiche Wirtschaftsunternehmen? Das Militär?

Es sind einige Fragen, bei denen man sich die Augen reiben möchte, weil sie aus hiesiger Sicht regelrecht absurd klingen: "Ist die Ausübung journalistischer Tätigkeiten aus folgenden Gründen verboten oder eingeschränkt: Nationalität, ethnische Herkunft, Gesellschaftsschicht, Religion, Geschlecht? Sind staatliche Behörden, religiöse Institutionen oder Unternehmen bzw. mit diesen verbundene Interessengruppen in den vergangenen zwölf Monaten auf folgende Weise gegen Journalisten vorgegangen?"

Mann in rotem Hemd.
Dr. Uwe Krüger Bildrechte: Peter Komarowski

So geht es auch dem Medienwissenschaftler Dr. Uwe Krüger. Der Forschungskoordinator des Zentrums für Journalismus und Demokratie der Universität Leipzig arbeitet dort am Institut Kommunikations- und Medienwissenschaften. Deutschland ist beim aktuellen Ranking (2022) der Organisation "Reporter ohne Grenzen" weltweit von Platz 13 auf Platz 16 gerutscht, der Zustand der Pressefreiheit in Deutschland wird nur noch als zufriedenstellend beurteilt. Wissenschaftler Krüger ist einer derjenigen, der diesen Fragebögen seit 2013 beantwortet:

Jedes Mal, wenn ich den ausfülle, wird mir bewusst, wie viele Fragen ich mit nein beantworten kann, und damit, wie gut es eigentlich in Deutschland um die Pressefreiheit bestellt ist.

Dr. Uwe Krüger

Oder wenn man sich das aktuelle Barometer der Pressefreiheit weltweit für das Jahr 2021 anschaut: 24 Journalisten, zwei Medienmitarbeiter getötet, 362 in Haft, genau wie 92 Blogger und Bürgerjournalisten.

Der Fragebogen listet so gesehen auch auf, welche und wie viele Möglichkeiten es gibt, den spitzen Zahn der Pressefreiheit zu beschleifen. Vergleichsweise neu in Deutschland ist der Auswertung des Fragebogens zufolge Gewalt gegen Medienschaffende. Der Report spricht von einer "noch nie da gewesenen Dimension", die Organisation zählte 2020 in Deutschland mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalisten im Land und damit eine Verfünffachung verglichen mit 2019. Wobei der Leipziger Wissenschaftler Uwe Krüger diese Zahlen skeptisch sieht: "Es gab in den Jahren vor 2019 auch Übergriffe während der Pegida-Proteste auf Medienschaffende, hätte sich das nicht auch schon in früheren Rankings niederschlagen müssen?"

Die Pfeiler der Pressefreiheit und wo sie angebohrt werden können

News bei Instagram auf einem Smartphone in einer Hand werden durchgescrollt. News zum Krieg in der Ukraine. Im Hintergrund Nachrichtenbilder, Bilder auf einem PC-Monitor zum Krieg in der Ukraine.
Fürs Publikum unsichtbar: der Medienwettbewerb. Wer hat am schnellsten eine Nachricht veröffentlicht? Bildrechte: imago images/Rene Traut

Gewalt gegen Medienschaffende ist also ein Teil dessen, was den Grad der Pressefreiheit in Deutschland beschleift. Vielleicht so eine Art Zahnstein. Aus Sicht des Medienwissenschaftlers gibt es drei Bausteine, an denen die Pressefreiheit kranken kann: den politischen, den ökonomischen, den kulturellen: "Im politischen Bereich geht es uns sehr gut. Im ökonomischen Bereich merkt man, dass wir in einem kapitalistischen System leben, das ganz stark vom Zwang getrieben ist, Geld zu verdienen und die Aufmerksamkeit der Nutzer zu erregen." Da kann Pressefreiheit politisch garantiert sein und alles ist schick in politischem und juristischem Sinn, aber was das Publikum nicht sieht, ist, wie der Faktor Geld die Pressefreiheit indirekt (und nach außen hin nicht sichtbar) beschneidet, wenn keine wirtschaftlichen Mittel für aufwendige Recherchen eingesetzt werden.

Und der Wissenschaftler benennt einen dritten Faktor, der die Pressefreiheit mit beeinflusst:

Kulturell kommt die Beschleunigung durch die Digitalisierung dazu. Das ist ein weicher Faktor zur Einschränkung von Pressefreiheit.

Dr. Uwe Krüger

Also wenn Medienschaffende keine Zeit mehr haben zum Recherchieren und Nachdenken: "Dann ist das am Ende auch eine Einschränkung der Pressefreiheit, die jetzt nicht von der Regierung kommt, aber aus der Gesellschaft."

Stichwort Redaktion: Sitzt da die Gesellschaft?

Apropos Gesellschaft: Hier sollten die Medien sich selbst reflektieren, meint Wissenschaftler Uwe Krüger: "Bilden wir nur einen dominanten Diskurs von Eliten ab oder wie kriege ich auch andere Debatten in der Gesellschaft mit rein, ohne mir natürlich jetzt Rassismus und Menschenfeindlichkeit einzuhandeln?" Denn die Themenauswahl, die Schwerpunktsetzung und damit auch der Blickwinkel auf die Welt obliegt den Redaktionen.

Nur wer sitzt da, bilden Redaktionen tatsächlich die Gesellschaft ab? "Wir haben wenige Arbeiterkinder in den deutschen Redaktionen, die allermeisten waren an der Uni, kommen aus einem gut abgesicherten Angestellten- oder Beamten-Mittelschichtshaushalt," bestätigt der Wissenschaftler. Ein Phänomen, dass schon in der Ausbildung, zum Beispiel in der Journalisten-Ausbildung an der Uni, erkennbar wird: "Im Masterstudiengang Journalismus beschweren sich die Studenten selber, dass sie selber zu homogen sind. Ihr Jahrgang, alle weiß, alle irgendwie ähnlich, auch viele irgendwie grün, und wir kriegen aber keine anderen Bewerbungen. Es ist ja nicht so, dass wir migrantische Bewerber 'rausprüfen' mit einem Auswahlprozess, sondern die bewerben sich nicht."

Einer der Gründe dafür könnte Krüger zufolge sein, dass man für das Studium und vor allem die Praktika Geld braucht. Wer das von Haus aus hat, kann sich schlechtbezahlte Praktika leisten, weil er davon nicht seinen Lebensunterhalt finanzieren muss. "Ohne Geld ist ein Weg in den Journalismus eher nicht vorgezeichnet", so Dr. Krügers Fazit. Mit der Folge, dass Inhalte, Sichtweisen, Themen und Erfahrungen ganzer Milieus schon in den Redaktionssitzungen fehlen und später entsprechend in den Medien-Inhalten.

Wissen über Medien: Wo soll es herkommen?

Aber weiß die Gesellschaft und nicht nur akademische Milieus eigentlich genug über Medien, die Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und privaten, welche Pfeiler die Pressefreiheit beschneiden können oder stützen? Wie und wo lernen Menschen Medienberichte einzuordnen, zu hinterfragen? Wo berichten Menschen mit Expertise, wo ordnet jemand aus dem Bauch heraus politische Entscheidungen ein und wirkt dank professioneller Medientechnik und Erscheinung seriös und glaubwürdig? Am besten wäre das wohl schon so früh wie möglich und in jeglichen Schulformen, denn nie waren Kinder so jung wie heute, wenn sie Medien nutzen. An der Uni Leipzig werden entsprechende Seminare für angehende Lehrerinnen und Lehrer angeboten. Theoretisch legen die dann erste Bausteine dafür, dass der Wert der Pressefreiheit gesellschaftlich geschätzt und gepflegt wird, ebenso wie ein gesundes und komplettes Gebiss.

Ein Mädchen lernt oder spielt an einem Tablet.
Bildrechte: imago/photothek

Organisationen, die Pressefreiheit messen

Der Freedom House Index: Die Nichtregierungsorganisation Freedom House in Washington D.C. erfasst seit 1941 den Zustand von Demokratien, und darunter auch den Zugang zu Informationen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen dokumentiert weltweit Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit und sorgt für Öffentlichkeit, wenn Medienschaffende in Gefahr sind. 

(lfw)