Nahost-Konflikt Israel fordert Evakuierung von Gaza-Stadt

13. Oktober 2023, 23:30 Uhr

Die israelische Armee hat die Bevölkerung von Gaza-Stadt aufgerufen, in den Süden des Gazastreifens zu fliehen. Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben bereits vereinzelt Ziele in dem Gebiet mit Bodentruppen angegriffen. Die Airlines der Lufthansa-Gruppe werden keine weiteren Sonderflüge für Evakuierungen aus Israel anbieten. Unterdessen gehen die diplomatischen Versuche weiter, eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern.

Die israelische Armee hat mehr als eine Million Menschen im nördlichen Gazastreifen aufgefordert, in den Süden des Gebiets zu fliehen. Sie sollen vor allem Gaza-Stadt binnen 24 Stunden verlassen, hieß es auch von der UNO. Diese forderte eine Rücknahme der Anordnung. Eine derart große Evakuierung sei ohne verheerende humanitäre Folgen unmöglich, hieß es. Die mehr als zwei Millionen Bewohner sind faktisch eingesperrt, da auch der Übergang Rafah an der Süd-Grenze nach Ägypten geschlossen wurde. Bereits jetzt haben nach Angaben der Vereinten Nationen wegen der israelischen Angriffe mehr als 423.000 Menschen im Gazastreifen ihre Häuser verlassen.

Erste israelische Einsätze im Gazastreifen

Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben vereinzelt Ziele im Gazastreifen auch mit Bodentruppen angegriffen. Die israelische Infanterie habe unterstützt von Panzern örtlich begrenzte Angriffe durchgeführt, sagte ein Armeesprecher. Dabei seien auch Raketenstellungen der islamistischen Hamas zerstört worden.

Die radikal-islamistische Hamas im Gazastreifen bezeichnete den Aufruf Gaza-Stadt zu verlassen, indes als "Propaganda", auf die niemand hören sollte. Zudem wurde erklärt, dass durch israelische Angriffe 13 Geiseln, darunter auch Ausländer, getötet worden seien.

Hilfsorganisationen warnen vor humanitärer Katastrophe

Hilfsorganisationen reagierten empört. Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) warnte, der Küstenstreifen werde angesichts der massiven israelischen Luftangriffe und der Abriegelung zu einem "Höllenloch". Ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wies in Genf darauf hin, dass die Verlegung von schwer kranken und schwer verletzten Patienten aus dem nördlichen Gazastreifen unmöglich sei. "Solche Menschen zu transportieren, kommt einem Todesurteil gleich", sagte Sprecher Tarik Jasarevic.

UN-Generalsekretär António Guterres mahnte angesichts der Gewalteskalation zwischen Israel und der radikalen Palästinenserorganisation Hamas die Einhaltung der Menschenrechte. "Selbst Kriege haben Regeln", sagte er am Freitag vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Er forderte einen sofortigen humanitären Zugang zum gesamten Gazastreifen.

Nach Angaben von Human Rights Watch hat Israel im Gazastreifen und im Süd-Libanon jetzt auch giftige Phosphorbomben eingesetzt. Das gehe aus verifizierten Videos und auch aus Zeugenaussagen hervor, erklärte die Menschenrechtsorganisation. Der Einsatz solcher Waffen in den dicht besiedelten Gebieten des Gazastreifens verstoße gegen das humanitäre Völkerrecht.

Tausende Tote – Iran spricht über zweite Front

Bei den Angriffen der Hamas auf Israel sind nach jüngsten Angaben mehr als 1.300 Menschen getötet und fast 3.400 verletzt worden. Rund 150 Menschen sollen in den Gazastreifen verschleppt worden sein. Die Zahl der dort durch israelische Angriffe getöteten Palästinenser gaben Behörden in Gaza zuletzt mit mehr als 1.790 an, die der Verletzten mit mehr als 7.388. Zudem starben nach Angaben der israelischen Armee bislang fast 260 israelische Soldaten und rund 1.500 Hamas-Mitglieder.

Ob es für Israel zu einem Mehrfrontenkrieg kommen könnte, hängt nach Worten des iranischen Außenministers Hossein Amir-Abdollahian von Israel ab. "Einige Länder wenden sich an uns und fragen, ob die Eröffnung einer neuen Front in der Region möglich ist", sagte er bei einem Besuch im Irak. Das hänge davon ab, wie sich "das zionistische Regime" in Gaza verhalte. Niemand aber bitte den Iran um Erlaubnis, neue Fronten zu eröffnen.

Es geht hier um die Frage, ob die ebenfalls vom Iran unterstützte Hisbollah vom Libanon aus gegen Israel vorgeht. Schusswechsel hat sich die Hisbollah mit der massiv verstärkten Armee in Nord-Israel schon geliefert.

Gaza: Kliniken am Rande des Zusammenbruchs

Die Lage der Zivilbevölkerung im von Israel abgeriegelten Gazastreifen ist derweil katastrophal. Die Krankenhäuser stünden vor dem Zusammenbruch, warnte die WHO. Ohne Strom liefen sie Gefahr, "zu Leichenhallen zu werden", erklärte inzwischen auch Fabrizio Carboni, der Nahost-Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Medikamente würden ebenso wie Trinkwasser und Nahrungsmittel wegen der Abriegelung durch Israel knapp.

Außenministerin und Kollegen in Israel

Außenministerin Annalena Baerbock traf sich am Freitag in Israel mit ihren Amtskollegen Eli Cohen und sprach ihre Solidarität aus. Sie hatte sich in der Stadt Nevitot auch mit Angehörigen von verschleppten Deutschen getroffen. Nach Angaben aus Delegationskreisen wird der Airbus der Flugbereitschaft, mit dem die Außenministerin von Berlin nach Tel Aviv geflogen ist, für die Evakuierung deutscher Staatsbürger eingesetzt. Demnach würden 80 Deutsche, die aus Israel ausreisen wollen, mit dem Flugzeug nach Deutschland zurückgebracht. Auf dem Flug würden sie vom Krisenbeauftragten des Auswärtigen Amts begleitet. Baerbock setzte ihre Reise mit einem kleineren Flugzeug nach Kairo fort.

Während des Besuches musste Baerbock wegen eines Raketenalarms in Tel Aviv einen Schutzraum der Deutschen Botschaft aufsuchen, wie es aus Delegationskreisen hieß. Mit ihr zusammen gewesen seien Angehörige der von der Hamas in den Gazastreifen verschleppten deutschen Staatsangehörigen. Nach rund 15 Minuten sei der Alarm wieder aufgehoben worden.

Neben der Grünen-Politikerin trafen am Freitag weitere Spitzenpolitiker in Israel ein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kam zu einem Solidaritätsbesuch in Israel an. Sie wurde von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola begleitet.

US-Außenminister Antony Blinken wiederum will sich mit dem Präsidenten der palästinensischen Autonomie-Behörde, Mahmud Abbas, treffen. Dazu reise er von Israel nach Jordanien, sagte er am Donnerstag. Bei seinem Besuch in Katar erklärte Blinken, dass es kein "business as usual" mehr mit der militanten Palästinensergruppe Hamas geben dürfe. Auf seiner Reise durch sieben Länder der Region hofft er eine Ausweitung des Konflikts zwischen Israel und der Hamas verhindern zu können.

Lufthansa stoppt Sonderflüge – 800 deutsche Staatsangehörige zurück

Unterdessen verlängerte die Lufthansa den Stopp ihrer Flüge von und nach Israel. Reguläre Flüge blieben bis einschließlich 22. Oktober ausgesetzt, teilte die Airline mit. Außerdem setzte die Fluggesellschaft und ihre Tochter Eurowings auch ihre Linienflüge in den Libanon bis einschließlich 16. Oktober aus. Aufgrund der ungewissen Sicherheitslage und ungelösten Fragen der operativen Stabilität in Tel Aviv stoppte die Airlines der Lufthansa-Gruppe am Freitagabend weitere Sonderflüge für Evakuierungen aus Israel.

Wie das Auswärtige Amt mitteilte, sind für Sonntag zwei Condor-Sonderflüge aus der jordanischen Stadt Akaba an der Grenze zu Israel geplant. Auch die Bundeswehr bereitet sich darauf vor, deutsche Staatsbürger aus Israel nach Deutschland bringen zu können, sollte die zivile Luftfahrt ganz ausfallen. Das Verteidigungsministerium teilte mit, in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt seien vorbereitende Maßnahmen eingeleitet.

Am Freitag flog die Lufthansa vier weitere Sonderflüge von Israel nach Deutschland und brachte mehr als 800 deutsche Staatsangehörige zurück. Insgesamt waren wie am Vortag vier Flugzeuge eingesetzt, hieß es aus dem deutschen Außenministerium in Berlin – jeweils zwei nach Frankfurt und nach München.

EU und China für eine Zwei-Staaten-Lösung

Die führenden Außenpolitiker der EU und Chinas haben sich angesichts des Konflikts zwischen der Hamas und Israel gemeinsam für eine Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen. "Ich bekräftige nochmals die Verurteilung der Terrorattacken der Hamas und wir sind uns einig, dass die Zwei-Staaten-Lösung die einzige stabile Lösung ist", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Peking mit Blick auf einen unabhängigen Staat für die Palästinenser. Die internationale Gemeinschaft müsse stärker daran arbeiten, diese Lösung zu ermöglichen.

Im Vorfeld sprach sich bereits der Linke-Politikers Gregor Gysi dafür aus, dass die USA und China gemeinsam vermitteln sollen. Gysi sagte MDR AKTUELL, das Problem sei dieses Mal zu groß, als dass nur Ägypten zwischen Israel und den Palästinensern vermitteln könne.

AFP, dpa, Reuters, MDR (ksc, lmb)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. Oktober 2023 | 06:00 Uhr

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