Interview Militärexperte: Selbstsicherheit dürfte Prigoschin das Leben gekostet haben
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24. August 2023, 23:05 Uhr
Bislang ist nicht sicher, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zu den Todesopfern des Flugzeugabsturzes in Russland gehört. Vieles spricht aber dafür. Militärexperte Gustav Gressel spricht im MDR AKTUELL-Interview über mögliche Hintergründe des Absturzes, die Rolle Wladimir Putins und mögliche Reaktionen der Wagner-Gruppe.
- Militärexperte Gustav Gressel hält Tod Prigoschins nicht für unwahrscheinlich
- Gressel: Putin bestraft "Verräter"
- Experte glaubt nicht an Racheaktion der Gruppe Wagner
MDR AKTUELL: Herr Gressel, da sitzen der Chef und sein Vize gemeinsam in einem Flugzeug, die Führungsspitze einer militärischen Einheit. Das ist in Kriegszeiten zumindest unüblich. Haben Sie Zweifel am Tod Prigoschins, beziehungsweise daran, dass die beiden an Bord waren?
Gustav Gressel: Nein, ich halte es nicht für unwahrscheinlich. Sie waren tief im Hinterland unterwegs, flogen von Moskau nach Sankt Petersburg. Da gibt es an und für sich keine Bedrohung durch ukrainische Jagdflugzeuge oder Fliegerabwehr-Lenkwaffen. In dem Sinn ist dort sozusagen normaler Friedensbetrieb. Natürlich, Prigoschin war nach seinem Putsch sehr selbstsicher. Er ist oft nach Russland zurückgekehrt, er war viel in Sankt Petersburg. Er hat sozusagen sein Exil nicht zu ernst genommen. Und diese Selbstsicherheit dürfte ihm jetzt das Leben gekostet haben.
Jetzt ist es für viele eine ausgemachte Sache, dass Wladimir Putin dahinter steckt, dass der Kreml hinter diesem Absturz steckt. Was hätte denn Putin davon? Eine innenpolitische Gefahrenquelle weniger?
Ja. Erstens war Prigoschin mit seiner Kritik am Krieg, an der Führung des Krieges schon einmal eine unbeliebte Quelle. Aber als Putin ihn bei seinem Marsch auf Moskau als Verräter gebrandmarkt hat, war aus Putins Sicht das Urteil darüber gesprochen. Verräter werden irgendwann bestraft - das ist eine alte Denkweise von Putin, die er seit den Tschetschenien-Kriegen durchzieht. Prigoschin hätte eigentlich wissen müssen, dass das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist.
Jetzt ist es aber auch so, dass Tausende ehemalige und aktive Wagner-Kämpfer in Russland und angrenzenden Ländern sind. Es gehen Bilder um, dass offenbar auch Truppen von Belarus nach Russland über die Grenze kommen. Steigt da jetzt nicht die Gefahr, ist da nicht die Bedrohung jetzt größer? Immerhin hat es schon einmal diesen Aufstand gegeben. Könnte man da jetzt nicht Rache üben von Wagner-Seite aus?
Das Problem ist: Man muss sich in der Breite organisieren. Eines der großen Fragezeichen von Prigoschins Marsch auf Moskau war: Was passiert dann in Moskau? Was ist, wenn sie Moskau erreicht hätten? Dass sie so weit gekommen sind, zeigt, dass es Kollaborationen in der Armee gegeben hat. Da sind ja auch einige Generäle schon verhaftet worden oder verschwunden und nicht mehr auf der Bildfläche. Aber die große Frage ist: Wer würde sich ihnen denn politisch anschließen, wenn der Führer selbst weg ist? Wer würde sich einfach irgendwelchen Wagner-Soldaten anschließen, wenn sie so einen spontanen Marsch auf Moskau erneut vornehmen? Da gibt es ja keine politische Führungsfigur, da gibt es kein Ziel, da gibt es keinen Sprecher. Und 3.500 Mann sind, wenn man sich die Größe des russischen Polizeiapparats anschaut und es keine Kollaboration mit der Armee gibt, eine recht beherrschbare Größe. Also in dem Sinn: Nein.
Schauen wir mal weg von Moskau in die Ukraine: Die Gruppe Wagner hat ja dort eine bedeutende Rolle gespielt. Welche Rolle hatte sie denn zuletzt? Wie könnte es jetzt weitergehen?
Wagner war in der Winteroffensive der russischen Armee eine Art Schockinfanterie und sicher die beste Schockinfanterie, die die russische Armee damals hatte, vor allen Dingen in den großen Ortschaften wie Bachmut und Soledar. Da hat man viel Infanterie gebraucht, die die russische Armee so nicht mehr hatte. Sie war aber damals schon abhängig, erstens davon, in Gefängnissen rekrutieren zu können – das hat die russische Armee im März selbst übernommen – und zweitens von der Unterstützung mit schwerem Gerät: mit Artillerie, mit Panzern aus den regulären Streitkräften. Das ist eben das, was Prigoschin dann auf den Kopf gefallen ist, nach seinem Marsch auf Moskau. Damals waren seine Kräfte schon stark geschwunden, weil man die Gefangenen nicht mehr rekrutieren durfte. Und das zweite ist: Ohne eine Unterstützung aus der Armee sind seine Kämpfer nicht besonders viel wert.
MDR AKTUELL (mze)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. August 2023 | 17:00 Uhr