Ukraine Bürgermeisterwahl in Kiew: Bleibt Klitschko im Amt?

25. Oktober 2020, 19:15 Uhr

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj macht sich Sorgen, wie seine schwächelnde Partei "Diener des Volkes" bei den Lokalwahlen am 25. Oktober abschneiden wird. In der Hauptstadt Kiew steht dagegen Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko vor seiner erneuten Wiederwahl als Bürgermeister. Doch der muss nun wohl erstmal in Quarantäne. Am Samstag teilte er mit, dass er sich mit dem Corona-Virus infiziert habe.

Mann vor Flagge
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Vitali Klitschko
Vitali Klitschko: Strahlendes Lächeln für ein PR-Foto. Bildrechte: imago images / Ukrinform

Obwohl die Ukraine inzwischen mit mehr als 7.000 Corona-Neuinfektionen pro Tag immer neue Höchstwerte erreicht, finden am Sonntag landesweit Lokalwahlen statt. Vor allem für die Partei "Diener des Volkes" von Präsident Wolodymyr Selenskyj sind diese ein wichtiger Stimmungstest. Im vergangenen Jahr hat "Diener des Volkes" noch überraschend die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl geholt. Seitdem sinken die Umfragewerte der Regierungspartei rapide. Um die Lage irgendwie noch zu retten, ließ Selenskyj neben dem Wahlkampf eine rechtlich unbedeutende Volksbefragung abhalten, bei der es etwa um lebenslange Haft für Korruption im großen Stil oder um die Legalisierung von Cannabis für medizinische Zwecke ging. Ob dies die überwiegend junge Wählerschaft von "Diener des Volkes" tatsächlich mobilisiert, ist freilich ungewiss.

Wolodymyr Selenskyj
Präsident Wolodymyr Selenskyj Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Vitali Klitschko erneut Favorit

Klar scheint hingegen, dass in der Hauptstadt Kiew der seit 2004 regierende Bürgermeister Vitali Klitschko wieder als haushoher Favorit ins Rennen geht. Laut einer Umfrage sind immerhin rund 43 Prozent der Kiewer bereit, für Klitschko zu votieren. Iryna Wereschtschuk von "Diener des Volkes" und der Komiker Serhiy Prytula von der national-liberalen Partei "Stimme", kämpfen höchstens um den Einzug in die Stichwahl.

Meister des politischen Überlebens

Damit demonstriert Klitschko wieder einmal seine Fähigkeit, politisch zu überleben. Zum Bürgermeister wurde er 2014 beispielsweise erst nach zwei vergeblichen Anläufen gewählt und der damalige Sieg fühlte sich letztlich wie eine Niederlage an. Denn am Anfang der Maidan-Revolution 2013 galt Klitschko noch als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat, das fehlende rhetorische Talent ließ seine Aussichten aber schnell schwinden. Mittlerweile hat sich der Ex-Boxer als politische Figur neu erfunden. Inzwischen lacht er selbst über seine Versprecher und ist auf der vorwiegend von ganz jungen Leuten frequentierten Social-Media-Plattform TikTok aktiv. Neben der allgemeinen Bekanntheit von Klitschko und der Schwäche seiner Konkurrenten bringt diese Strategie eine zusätzliche Grundsympathie, die wiederum für gute Umfragewerte sorgt.

Diener der Bauherren?

Übersehen werden dabei oft die nie verstummenden Gerüchte über eine zweifelhafte Zusammenarbeit Klitschkos mit durchaus umstrittenen Immobilienunternehmern wie "Wadym Stolar" oder "Denys Komarnizkyj", die von den lokalen Medien stets für die unkontrollierte Bebauung der Hauptstadt verantwortlich gemacht werden. Der Anfang des Jahres vorgestellte Generalplan für die Entwicklung von Kiew bis 2040 wurde für das angebliche Lobbying der Interessen der großen Bauherren und die mögliche Legalisierung der rechtlich problematischen Bebauung hart kritisiert. Außerdem sorgt der fehlende Erfolg der Infrastrukturprojekte für Unmut. So wurde in Kiew mit seinen offiziell fast drei Millionen Einwohnern – die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen – in der Amtszeit von Klitschko keine einzige neue U-Bahn-Station eröffnet.

Fehlende Infrastuktur als Schlüsselproblem

Ausgerechnet durch die aktive Bautätigkeit in der Stadt wird das ÖPNV-Problem immer dringender. Ohnehin ist es beinahe ein Skandal, dass in Kiew gigantische Bezirke wie Trojeschtschyna mit seinen etwa 400.000 Einwohnern noch immer keinen Zugang zum U-Bahn-Netz haben, was zu immensen Staus in der Stadt führt. Ursprünglich hatte Klitschko versprochen, dies bis 2019 zu ändern, doch mittlerweile rechnet er mit einer U-Bahn-Verbindung für Trojeschtschyna erst bis 2025. Lediglich in den letzten zwei Jahren wurde die Infrastuktur Kiews dank einiger kleiner Initiativen Klitschkos etwas verbessert. Generell bleibt es jedoch dabei, dass die Stadtverwaltung unter Klitschko größeren Wert auf Prestigeprojekte wie die umgerechnet zwölf Millionen Euro teure neue Fußgängerbrücke im Herzen der Stadt legt, als auf die strategische Infrastruktur.

"Das liegt in der Natur von Klitschko", meint der Politologe Olexij Jakubin von der Kiewer Schewtschenko-Universität. "Klitschko weiß um seine nationale und internationale Bedeutung – und versucht dadurch, Kiew auch über die Ukraine hinaus bekannter zu machen. Dafür nutzt er gern schillernde Ereignisse wie das Champions League-Finale 2018. Was in der Stadt tatsächlich los ist, ist für ihn dabei oft zweitrangig."

Will Klitschko Präsident werden?

Nun stellt sich die Frage, wie es für Klitschko nach einem Wahlsieg weitergeht. "Es ist kaum vorstellbar, dass Klitschko nach so vielen Jahren keine Präsidentschaftsambitionen hat", vermutet Olexij Jakubin. "Mit Selenskyj wurde schon ein Celebrity, der nie ein politisches Amt ausübte, zum Präsidenten. Daher kann man in der Ukraine nichts ausschließen." Mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte, scheint eine Präsidentschaftskandidatur von Klitschko bei den nächsten Wahlen 2024 im Moment durchaus realistisch. Und Klitschko hat auch bereits etliche neue Anhänger durch die Veränderung seines Images gewonnen. Abschreiben darf man den einstigen Champion also keineswegs.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. Oktober 2020 | 00:30 Uhr

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