"Quentin Karantino" der Ukraine Klitschko: Politisches Comeback dank Corona
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11. Mai 2020, 17:52 Uhr
Mitte 2019 schien die Politikerkarriere des ehemaligen Profiboxers und Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko vorbei. Doch in der Corona-Krise hat er von allen ukrainischen Politikern die beste Kommunikationsstrategie. Die Hauptstädter danken es ihm mit steigenden Umfragewerten. Seine Wiederwahl im Herbst wird wahrscheinlich.
Er schneidet sich zu einem fröhlichen Corona-Song die Haare, macht Sportübungen in seinem Büro und kommt zu einer Arbeitssitzung mit einem Shirt, auf dem neben seinem eigenen Foto der Schriftzug "Quentin Karantino" zu sehen ist und ironisiert damit die in Kiew herrschende Quarantäne. Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, Vitali Klitschko, hat in Krisenzeiten die Jugendvideoplattform TikTok für sich entdeckt. Und er weiß sie offenbar zu nutzen. Seine Kurzvideos werden gern geteilt und tausendfach geliked. Gleichzeitig wird sein politisches Gewicht wieder zunehmend größer.
Absehbares Karriereende
Dabei sah es noch vergangenen Herbst so aus, als wäre der politische Stern des Ex-Boxers im Niedergang begriffen. Seit 2014 Chef der ukrainischen Hauptstadt hat sich Klitschko den Ruf eines PR-Bürgermeisters "erarbeitet", der sich lieber mit schönen Projekten beschäftigt, als wirklich relevante und schwierige Infrastrukturprobleme anzupacken. Als Wolodymyr Selenskyj mit seiner Partei "Diener des Volkes" die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl im Juli 2019 holte, wollte der neue Präsident die Gunst der Stunde nutzen und Klitschko in der Hauptstadt entmachten. Dazu ist es letztlich nicht gekommen, auch weil die Präsidentenpartei keinen geeigneten Kandidaten für Kiew fand.
Damals hatte der einflussreiche Politiker Andrij Bohdan, mittlerweile Ex-Chef des Präsidialbüros unter Selenskyj, Klitschko öffentlich Korruption im Interesse einiger Immobilienunternehmer vorgeworfen. Mittlerweile scheint er seine Meinung geändert zu haben. Auf seiner Facebook-Seite schrieb Bohdan unter dem geteilten Video vom haareschneidenden Bürgermeister: "Ich weiß schon jetzt, wer der nächste Präsident sein wird. Coming soon." Und er muss wissen, wovon er spricht: Bohdan gilt als einer der wichtigsten Architekten der Präsidentschaft des Wolodymyr Selenskyj.
Richtige Kommunikationsstrategie
Während aber die ukrainische Regierung derzeit mit Imageverlusten zu kämpfen hat, weil die Corona-Quarantäne rund die Hälfte der Bevölkerung an den Rand des finanziellen Ruins treibt, ist Klitschko vor allem dank seiner Kommunikationsstrategie der Politiker der Stunde. So hat er auch für die aktuellen Lockerungen des fast zweimonatigen Lockdowns als einer der ersten ein konkretes Maßnahmenpaket vorgelegt. Gleichzeitig erweckt Klitschko den Eindruck, Corona ernster zu nehmen als Bürgermeister anderer Großstädte. So warnt er etwa vor zu schnellen Öffnungsschritten. "Bis zu 80 Prozent der Ukrainer könnten an Corona erkranken", betonte er neulich auf einer Regierungssitzung.
Die Hauptstadt ist nach dem Bezirk Czernowitz im Südwesten des Landes am stärksten von der Epidemie betroffen. Seit Beginn der Krise informiert Klitschko deswegen regelmäßig im Rahmen seiner Online-Briefings über die Corona-Lage in Kiew. Das gelingt dem 48-Jährigen oft besser als dem Gesundheitsministerium.
Vertrauen trotz Skandalen
Seit April sind in Kiew auch Großplakate mit Klitschkos lächelndem Gesicht zu sehen. Dazu der Hashtag "HörAufHerumzulaufen". Bei einem seiner Briefings trug er eine Maske mit demselben Hashtag. Der Ernst der Corona-Lage und Klitschkos humorvolle und selbstironische Onlineaktionen und Kampagnen scheinen überraschend gut zusammen zu passen.
Das belegen auch Klitschkos steigende Umfragewerte im Hinblick auf die Bürgermeisterwahl, die im Herbst diesen Jahres stattfinden soll. Und das trotz zweier aktueller Skandale aus dem Umfeld des Bürgermeisteramts. Einer seiner Stellvertreter steht unter Korruptionsverdacht, ein anderer wurde Ende April nach einem tätlichen Angriff auf einen Polizisten festgenommen und schließlich von Klitschko entlassen.
Beste Chancen auf Wiederwahl
Laut der jüngsten Umfrage der renommierten Rating Group sind fast 39 Prozent der Kiewer dennoch bereit, Klitschko im Amt zu bestätigen. Der Kandidat auf Platz zwei liegt fast 30 Prozentpunkte zurück. Damit scheint Klitschkos Wiederwahl im Herbst so gut wie sicher. Und der ehemalige Boxstar beweist ein weiteres Mal, dass er nicht vor hat, den politischen Ring vorzeitig zu verlassen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 29. September 2017 | 17:45 Uhr