George Soros Ungarn: Orbáns Lieblingsfeind zieht sich zurück
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22. August 2023, 11:39 Uhr
Das Stiftungsnetzwerk des ungarisch-stämmigen US-Milliardärs George Soros zieht sich Medienberichten zufolge weitestgehend aus der EU zurück. Deren Förderung war gerade in Ungarn besonders wertvoll, wo der Rechtspopulist Orbán bereits seit Jahren zivilgesellschaftliche Akteure unter Druck setzt. Für die Zivilgesellschaft in Ungarn ist der Rückzug daher ein Schlag ins Kontor, aber keine Katastrophe.
Bereits am Montag meldete Radio Free Europe/ Radio Liberty (RSF/RE), dass das Stiftungsnetzwerk Open Society Foundations (OSF) seine Mittel aus den Staaten der EU abziehen will, um die frei werdenden Gelder in anderen Ländern einzusetzen. Der Sender berief sich dabei auf ein internes Schreiben, das diesen Schritt ankündigt. Bereits 2024 könnte die Förderung für zahlreiche Projekte auslaufen.
Das Stiftungsnetzwerk des Finanzinvestors George Soros hat seit 1979 einige Milliarden Dollar in die Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft weltweit investiert – sei es durch die Förderung von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Bildungseinrichtungen, durch Projektmittel oder durch Stipendien. Auch in Ungarn, wo Soros geboren wurde, engagiert sich die Stiftung bereits seit Jahrzehnten. Zahlreiche NGOs im Land, die sich für Menschenrechte, die Rechte von Geflüchteten, Frauen oder von queeren Menschen, für Umweltschutz und gegen Korruption engagieren, erhalten Mittel von der Stiftung. Und auch Ministerpräsident Viktor Orbán konnte in jungen Jahren mit einem Soros-Stipendium in Oxford studieren.
Die Arbeit der NGOs wird schwerer
Die Entscheidung der OSF habe sich seit einiger Zeit angekündigt, heißt es von den betroffenen Organisationen, daher habe man sich bemüht, die eigene Finanzierung auf andere Beine zu stellen. Denn mit Rückzug der OSF fällt ein Spender weg, der vor allem eines war: verlässlich. Das machte die Arbeit der NGOs, deren Finanzierung oft sehr prekär ist, um einiges planbarer. Zoltán Mester, Kommunikationsdirektor der Stiftung Emberség Erjével, bedauerte in der Onlineausgabe des Wochenblatts hvg, "dass die Möglichkeiten, der zivilgesellschaftlichen Gruppen, an finanzielle Unterstützung ohne Regierungskontrolle zu kommen, weniger werden."
Gleichzeitig war der Anteil der OSF-Gelder oft nicht so hoch, dass die Organisationen durch ihren Wegfall drohen, arbeitsunfähig zu werden: "Das ist nicht gut für uns, aber auch nicht dramatisch", sagte József Péter Martin, der Geschäftsführer der Anti-Korruptions-NGO Transparency International Ungarn dem Nachrichtenportal Telex. Und Tamás Bodoky, Chefredakteur der ebenfalls geförderten investigativen Nachrichtenplattform Átlátszó betonte an gleicher Stelle: "Im Betrieb von Átlátszó sind keine unmittelbaren Veränderungen notwendig. Auf lange Sicht werden wir sehen müssen – das ist eine Geschichte mit vielen Unbekannten."
Jahrelange Drangsalierung der NGOs
Der rechtspopulistischen Regierung von Viktor Orbán waren NGOs und andere zivilgesellschaftliche Akteure schon lange ein Dorn im Auge. Vor allem, weil sie den fortschreitenden Abbau von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in Ungarn lautstark kritisierten. Bereits in seiner Rede von 2014, in der er seine Idee von der "illiberalen Demokratie" skizzierte, verleumdete Orbán die NGOs: "Wir haben es also nicht mit zivilen Akteuren zu tun, (...) sondern mit bezahlten politischen Aktivisten, die in Ungarn ausländische Interessen durchzusetzen trachten", so Orbán.
Im Jahr 2017 verabschiedete das Parlament das sogenannte "Transparenz-Gesetz", das NGOs, die mehr als 7,2 Millionen Forint (ca. 21.000 Euro) an Spenden aus dem Ausland bekommen, zwang, dies den Behörden zu melden und ihre Finanzierung offenzulegen. Außerdem wurden sie verpflichtet, auf all ihren Publikationen den Hinweis "aus dem Ausland finanzierte Organisation" anzubringen. Dieses Gesetz wurde inzwischen vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt, und 2021 in anderer Form neu beschlossen.
Außerdem wurde 2018 das "Stop-Soros-Gesetz" verabschiedet, das vor allem die Organisationen ins Visier nahm, die Flüchtlinge unterstützten und ihnen – oft mit Erfolg – halfen, Asylanträge zu stellen und ihre Rechte wahrzunehmen. Sie durften unter anderem nur noch mit Genehmigung des Innenministeriums arbeiten, ungarischen Helfern wurde der Zugang zum ungarischen Grenzgebiet untersagt. Auch dieses Gesetz verstieß laut EuGH gegen europäisches Recht. Ungarns Umgang mit den NGOs ist einer der großen Streitpunkte mit der EU.
Egal, worum es geht - immer ist Soros schuld
Der jüdische self-made Milliardär und Philanthrop Soros, der den Holocaust in Ungarn nur deshalb überlebte, weil er sich mit seinem Vater versteckt hielt, wurde zum Lieblingsfeind der ungarischen Regierungspropaganda aufgebaut. Egal, ob es um die steigende Zahl von Geflüchteten ging, um Minderheiten in Ungarn, die ihre Rechte einforderten oder um den Gegenwind aus Brüssel, was den Abbau von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Ungarn betrifft – immer war irgendwie Soros schuld, der vermeintlich gegen Ungarn intrigierte.
Damit knüpfte die Regierung an antisemitische Verschwörungs-Erzählungen von der jüdischen Weltverschwörung an, also von den jüdischen Geschäftsleuten, die in den Hinterzimmern der Macht die Fäden ziehen. Ein Regierungs-Plakat aus dem Jahr 2017 zeigte Soros und rief die Ungarn auf: "Lassen wir es nicht zu, das Soros zuletzt lacht!" Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl 2018 war der Spruch "Stop Soros" und der Kampf gegen einen herbeifantasierten "Soros-Plan", demzufolge die EU gezielt mit Einwanderern überschwemmt werden sollte, fester Teil des Repertoires der Regierungspartei. Auch hier nahm die Regierung Anleihen bei einem altbekannten Verschwörungsmythos: Dem großen Bevölkerungsaustausch, der vermeintlich von nicht näher benannten (jüdischen) Eliten orchestriert wird.
Teil des Vorgehens gegen Soros war auch der Kampf der ungarischen Regierung gegen die von ihm mitgegründete und -finanzierte Central European University (CEU) in Budapest, einer Privatuni mit hervorragendem internationalen Ruf. 2017 verabschiedete das Parlament ein Hochschulgesetz, das speziell auf die CEU gemünzt war und gegen EU-Recht verstieß. Doch es erfüllte seinen Zweck: Ende 2018 gab die CEU auf – und zog nach Wien. Im selben Jahr schlossen auch die Open Society Foundations ihr Büro in Budapest und verlegten es nach Berlin. Der Grund: Das "zunehmend repressive politische und gesetzliche Umfeld in Ungarn".
Die aktuelle Nachricht vom Rückzug der Stiftung wurde aus dem Regierungslager erneut mit einem Rekurs auf eine Verschwörungserzählung kommentiert. So schrieb Balázs Orbán, der politischer Direktor des Ministerpräsidenten und Parlamentsmitglied ist, auf Facebook: "In diesen Dingen haben wir historische Erfahrungen: Wir glauben erst, dass die Besatzungstruppen wirklich vom Kontinent abziehen, wenn auch der letzte Soros-Soldat Europa und Ungarn verlässt. Davon sind wir noch weit entfernt…"
Soros junior baut das Stiftungsnetzwerk um
Dabei hat der Rückzug der Soros-Stiftungen einen anderen Grund als die ewige Feindseligkeit der Fidesz-Regierung: Bereits im Juni dieses Jahres hatte der inzwischen 93-jährige Soros die Leitung seiner milliardenschweren Stiftung an seinen 37-jährigen Sohn Alexander Soros übertragen. Unter dessen Führung hatten die OSF eine strategische Neuausrichtung angekündigt, in deren Folge auch der jetzige Umbau passiert. "Diese Veränderungen sollen die Wirkung der Hilfe von Open Society maximieren, den Kräften entgegenzuwirken, die offene und freie Gesellschaften bedrohen", hieß es in einer Erklärung von Ende Juni. Daher zieht sich die Stiftung aus der gesamten EU, nicht nur aus Ungarn, weitestgehend zurück. OSF-Sprecherin Alissa Sands sagte der Nachrichtenplattform 444, die Stiftungen wollten sich stattdessen in Zukunft mit ihren Aktivitäten auf die Staaten des Westbalkan, auf Moldau, die Ukraine und Kirgistan konzentrieren.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 19. August 2023 | 07:15 Uhr