Doppelte Staatsbürgerschaft Ukraine: Haftstrafen für russischen Pass?
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23. März 2021, 18:42 Uhr
Die ukrainische Regierung hat angekündigt, das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren zu wollen. Anders als bisher soll es nun möglich werden, neben der ukrainischen noch eine weitere Staatsbürgerschaft anzunehmen. Was nach einer reinen Formalität klingt, birgt gewaltigen außenpolitischen Sprengstoff, denn gerade die Angehörigen der größten Minderheit im Land sollen von der Neuregelung nicht profitieren können: die Russen.
Schon jetzt haben in der Ukraine inoffiziellen Schätzungen zufolge mindestens Hundertausende Menschen einen zweiten Pass. Meist einen russischen oder ungarischen. Das ist zwar nicht erlaubt, aber gängige Praxis. Bestraft wird der Besitz so eines Zweitpasses nicht. Das könnte sich ändern. Denn nun will die Regierung nach Angaben des Außenministeriums die doppelte Staatsbürgerschaft offiziell machen. Die Führung in Kiew will so vor allem die Beziehungen zur EU verbessern, denn dort leben und arbeiten mittlerweile viele Ukrainer. Außerdem will man Menschen mit ukrainischen Wurzeln, die in anderen Ländern leben und deren Staatsbürgerschaft haben, wieder enger an die Heimat binden.
Russische Pässe sind ein No-Go
Einen ukrainischen und einen russischen Pass soll jedoch niemand gleichzeitig haben dürfen. "Es kann keine doppelte Staatsbürgerschaft mit dem Aggressor geben", macht das Außenministerium in Kiew unumwunden klar. Die von den Abgeordneten der Regierungspartei "Diener des Volkes" eingereichten Gesetzentwürfe sehen für den zweiten Pass deshalb eine Deklarierungspflicht vor. Wer einen russischen Pass hat und das verschweigt, dem könnte eine Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren drohen. Bestraft werden soll man für den Besitz eines russisches Passes aber auf jeden Fall, beispielsweise durch den Entzug des Wahlrechts.
Krim- und Donbass-Bewohner könnten ein Problem bekommen
Wieviel Sprengstoff diese Regelung birgt, zeigt sich mit Blick auf die Krim und den Donbass. Denn Russland verteilt seine Pässe seit 2019 großzügig an die Bewohner der 2014 annektierten Krim-Halbinsel und an die Menschen im von prorussischen Separatisten besetzten Teil der ostukrainischen Donbass-Region. Mehr als zwei Millionen Pässe soll die russische Regierung dort bereits ausgegeben haben. Die Regierung in Kiew betrachtet die Papiere zwar als ungültig, weswegen das für deren Besitzer an sich kein Problem wäre. Gäbe es nicht Pläne für weitere Gesetzesvorhaben, die darauf zielen, die Rechte dieser Bürger zu beschränken, wenn Donbass und Krim einmal wieder unter ukrainischer Kontrolle sein sollten.
Kein zweiter Pass für Beamte, Sicherheitskräfte und Abgeordnete
Beamte, Sicherheitskräfte und Abgeordnete werden von der Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft nicht profitieren können. Grund dafür sind Sicherheitsbedenken. "Diener zweier Herren" hält die ukrainische Regierung offenbar nicht für loyal genug. Diese Regelung könnte allerdings im westukrainischen Transkarpatien zu einem handfesten Problem führen. Rund zwölf Prozent der Bevölkerung dort sind Ungarn. Im Kreis Berehiwskyj an der Grenze zu Ungarn gehören sogar fast 80 Prozent zur ungarischen Minderheit. Es gilt als offenes Geheimnis, dass ein großer Teil davon, auch zahlreiche Lokalabgeordnete und Beamte, einen ungarischen Pass besitzt.
Vor kurzem setzte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen Beschluss des Sicherheitsrates in Kraft, der es den Bürgern mit einem zweiten Pass streng verbieten würde, als Beamte tätig zu sein oder sogar in eine politische Partei einzutreten. Bis Jahresende sollen die entsprechenden Entschlüsse fest in der Gesetzgebung verankert sein.
Ganz neu ist das nicht. Auch früher durften die Beamten eigentlich keinen zweiten Pass haben. Allerdings mussten sie lediglich mündlich versichern, keine zweite Staatsbürgerschaft zu haben. Und bei den zahlreichen Fällen, bei denen Beamte mit einem anderen Pass aufflogen, wurde überwiegend ein Auge zugedrückt. Ab 2022 müssten sie nun offenbar beweisen, keinen weiteren Pass zu haben, was vor allem in Transkarpatien für Ärger sorgen könnte.
Streit mit Ungarn ist programmiert
Bislang hat sich die ungarische Regierung zurückgehalten, doch neue Spannungen zwischen Budapest und Kiew sind zu erwarten. Eine Krise in den Beziehungen der Nachbarn begann 2017, als Kiew ein neues Schulgesetz verabschiedete. Dieses schreibt vor, dass ab der fünften Schulklasse überwiegend auf Ukrainisch unterrichtet werden soll – ein Problem für die ungarische Minderheit in Transkarpatien, die oft kaum Ukrainisch beherrscht. Die ungarische Regierung hatte daraufhin damit gedroht, die Integration der Ukraine in die EU und NATO zu blockieren.
Der diplomatische Konflikt wurde damals durch einen kleinen Kompromiss geglättet. Die Umstellung der transkarpatischen Schulen auf Ukrainisch erfolgt demnach erst 2023, die Quote der verbleibenden Unterrichtsstunden auf Ungarisch ist zudem größer als ursprünglich gedacht. Budapest ist damit zwar nicht wirklich zufrieden. Dennoch besuchte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto im Januar seinen ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba, was vor kurzem noch als undenkbar schien. Die Beschränkungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft könnten das ungarisch-ukrainische Verhältnis jedoch ganz schnell wieder trüben, sagte Petro Oleschtschuk, Politologe von der Kiewer Schewtschenko-Universität, dem MDR: "Wenn Kiew wirklich ein strenges Verbot und hohe Strafen durchzieht, ist in Transkarpatien mit einigen großen Skandalen zu rechnen. Gleichzeitig könnte für die heutigen Machthaber in Budapest die Idee der Legalisierung der Passverteilung an die Ukrainer spannend erscheinen. Deswegen gibt es hier Verhandlungsspielraum."
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Radio | 20. März 2021 | 07:15 Uhr