Erhöhte Strahlenwerte Welche Gefahr geht von Tschernobyl aus?
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25. Februar 2022, 17:50 Uhr
Die Atomruine von Tschernobyl wurde vom russischen Militär eingenommen. Kurz darauf stiegen die Strahlenwerte massiv an. Was könnte der Grund dafür sein – und wie hoch ist die Gefahr?
- Erhöhte Strahlenwerte an der Atomruine von Tschernobyl.
- Urainische Aufsichtsbehörde hält aufgewirbelten Staub für den Grund.
- Experten sehen derzeit keine Gefahr für Deutschland.
Am Donnerstag hatten russische Truppen die ukrainische Atomruine von Tschernobyl eingenommen, kurze darauf meldete die ukrainische Atomaufsichtsbehörde SNRIU stark erhöhte Strahlenwerte. SNRIU betreibt auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände und in der Region ein Netz von Messstellen, die die radioaktive Strahlung messen. Die Daten sind im Internet zu finden.
Am Freitagmorgen gegen 5 Uhr lagen die Strahlenwerte direkt an der Stahlhülle, die das alte Kraftwerk umgibt, bei über 65.000 Nanosievert pro Stunde. Am frühen Nachmittag lagen die Werte dann schon bei knapp 93.000 Nanosievert. Normal sind direkt an der Atomruine Strahlenwerte um die 3.000 Nanosievert pro Stunde, wie aus einer Liste des Datenanalysedienstes Saveecobot hervorgeht.
Aufsichtsbehörde: Militärfahrzeuge verantwortlich
Das russische Militär hatte Tschernobyl am Donnerstag erobert und am Freitagmorgen nach eigenen Angaben Fallschirmjäger zur Bewachung geschickt. Der Atomreaktor liegt rund 100 Kilometer nördlich von Kiew. Russische Truppen durchquerten das Gebiet auf dem Weg von Belarus in die ukrainische Hauptstadt. In Kiew wurden am Freitag erste Gefechte gemeldet.
Russland dementierte erhöhte Strahlenwerte an der Anlage. Die ukrainische Atomaufsichtsbehörde schrieb am Freitagmittag bei Facebook, dass die Anlage unter Kontrolle sei und vom Aufsichtspersonal gewartet werde. Dort hieß es weiter, dass vermutlich die hohe Anzahl von schweren Militärfahrzeugen in der Region für die erhöhten Strahlenwerte verantwortlich sei. Diese hätten kontaminierten Staub aufgewirbelt.
Bundesamt: Beobachten aufmerksam
Bei der gemeinnützigen Gesellschaft- für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS) hält man die Begründung der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde zum aufgewirbelten Staub einerseits für plausibel.
Andererseits lasse sich mit dem aktuellen Kenntnisstand nicht ausschließen, dass es noch andere Ursachen geben könne. In den Angaben der ukrainischen Behörde sei allerdings nicht von Schäden an der Anlage die Rede.
Das Bundesamt für Strahlenschutz teilte auf MDR-Anfrage mit, dass man die Situation in Tschernobyl aufmerksam beobachte. Der mögliche Ursprung der erhöhten Werte sei aber unklar.
Tschernobyl: Wie groß ist die Gefahr?
Doch wie groß ist die Gefahr angesichts der hohen Strahlungswerte für die Menschen in der Region rund um Tschernobyl und für die Menschen in Deutschland? Bei vielen hat sich die Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 tief ins Gedächtnis gefressen.
Experten in Deutschland halten die Lage derzeit nicht für gefährlich. Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt, aufgrund der aktuellen Wetterlage sei kurzfristig nicht zu erwarten, dass möglicherweise radioaktiv kontaminierte Luft Deutschland erreichen könnte. Sven Dokter von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit sagte dem MDR, für die Menschen in Deutschland spielten die erhöhten Werte derzeit keine Rolle.
Kurzfristig keine Gefahr
Auch für die Menschen in der Region Tschernobyl besteht laut GRS anhand der vorliegenden Daten kurzfristig keine Gefahr – dennoch seien die Werte natürlich nicht normal, sagte ein Sprecher. Soweit man das beurteilen könne, seien längere Zeiträume an Aufenthalt nötig, um beispielsweise die in Deutschland geltenden Grenzwerte für beruflich strahlenexponiertes Personal zu erreichen. Auch damit wäre noch keine unmittelbare, akute Gefährdung vorhanden.
In Deutschland dürfen Menschen, die aus beruflichen Gründen als strahlenexponiert gelten, pro Kalenderjahr insgesamt 20 Millisievert ausgesetzt sein. 20 Millisivert sind umgerechnet 20 Millionen Nanosievert. An der Reaktorruine in Tschernobyl wurden am Freitagnachmittag rund 93.000 Nanosievert pro Stunde erreicht.
In der Tschernobyl war es 1986 zu einem atomaren Unfall gekommen. Vor mehreren Jahren war eine neue Reaktorschutzhülle angebracht worden. Auf dem Gelände befinden sich auch Lagerstätten für radioaktive Abfälle.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 24. Februar 2022 | 19:30 Uhr