Parlamentswahlen in Tschechien Babiš wird wohl bleiben

09. Oktober 2021, 08:16 Uhr

Zwei Wochen nach den Bundestagswahlen in Deutschland wählen am Freitag und Samstag auch unsere Nachbarn in Tschechien ein neues Parlament. Anders als bei uns, erwartet dort allerdings niemand größere politische Verschiebungen. Allen Widrigkeiten zum Trotz, steuert die ANO-Partei unter Ministerpräsident Andrej Babiš auf einen Sieg zu.

Die Prager Journalistin Helena Truchlá
Bildrechte: Helena Truchlá | MDR

Andrej Babis hält eine Rede.
Parlamentswahlen in Tschechien: Ministerpräsident Babiš auf Wahlkampftour. Sein Motto: "Ich werde für Euch kämpfen, auch wenn ich dabei zerfetzt werde." Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Noch bis vor einem Vierteljahr sah das ganz anders aus. Bis Ende Juni führte das Oppositionsbündnis aus Piratenpartei und Bürgermeisterpartei in den Umfragen. Es warb mit dem Versprechen, die Minderheitsregierung der letzten vier Jahre, die Babiš mit den Sozialdemokraten und mit Unterstützung der Kommunistischen Partei gebildet hatte, abzulösen und versprach, die tschechische Wirtschaft zu modernisieren, die Digitalisierung voran zu bringen, notwendige Sozialreformen durchzusetzen und die proeuropäische Ausrichtung der tschechischen Außenpolitik zu stabilisieren.

Das schwache Gedächtnis der Wähler

In die Hände gespielt hatte der Opposition u.a. das als miserabel geltende Management der Regierung während der Covid-Krise im Frühjahr und auch die wachsende Zahl von Affären, in die Ministerpräsident Babiš verstrickt ist. Im Juni hatte die Polizei gefordert, Babiš wegen Betrugs im sogenannten Storchennest-Skandal anzuklagen. Ihm wird vorgeworfen, sich EU-Gelder in Höhe von zwei Millionen Euro erschlichen zu haben. Die Europäische Kommission droht damit, die Subventionszahlungen an die Tschechische Republik auszusetzen – wegen des vermuteten Interessenkonflikts von Babiš, der einer der reichsten Menschen des Landes ist, indirekt große Unternehmen in der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung und der chemischen Industrie sowie großen medialen Einfluss besitzt.  

Doch kurz vor der Parlamentswahl am 8. und 9. Oktober hat sich das Blatt gewendet. Nach letzten Umfragen liegt die ANO-Partei von Andrej Babiš mit mehr als 27 Prozent der Stimmen an erster Stelle, gefolgt von der liberal-konservativen Koalition SPOLU (Gemeinsam), die aktuell auf 21 Prozent der Stimmen kommt. Das Bündnis aus Piraten-Partei und einer Vereinigung tschechischer Bürgermeister liegt mit 17 Prozent nur noch an dritter Stelle. Die rechtsradikale SPD-Bewegung und die Kommunistische Partei werden wohl die Fünf-Prozent-Hürde nehmen und erneut ins Unterhaus des tschechischen Parlaments einziehen. Die Sozialdemokraten könnten dagegen zum ersten Mal seit der Wende 1989 überhaupt keinen Sitz erringen. Die Grünen sind in vielen Hochrechnungen mit nur etwa einem Prozent Unterstützung gar nicht vertreten. 

Wahlkampfthemen: Gesundheit, Bildung, öffentliche Finanzen und Migration

Mittlerweile ist die Pandemie völlig aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt. Nicht einmal die Oppositionsparteien haben die Tatsache hervorgehoben, dass 30.000 Tschechen an Covid-19 gestorben sind. Trotzdem ist das Gesundheitssystem eines der wichtigsten Themen für viele Wähler, gefolgt von Unabhängigkeit der Justiz, der Modernisierung des Bildungswesens und einem ausgewogenem Staatshaushalt. Die Tschechische Republik ist derzeit das Land mit der am schnellsten wachsenden Verschuldung in der gesamten Europäischen Union. Der Grund dafür sind die von der Regierung durchgesetzten Steuer- und Sozialleistungsanpassungen. 

Die sichtbarsten Themen des Wahlkampfes sind jedoch andere. Sie werden von Andrej Babiš und seinem professionellen PR-Team gesetzt. Versprechen wie "kein einziger Migrant in Tschechien", die Ablehnung des "grünen Diktats zur Emissionsreduzierung aus Brüssel" und Schreie des Entsetzens über eine "neomarxistische Besteuerung von Immobilien", die wenig mit der Realität zu tun haben, dominieren den Wahlkampf. Das schadet vor allem dem Piratenbündnis, das in seiner thematischen Ausrichtung gewisse Überschneidungen mit den deutschen Sozialdemokraten und den Grünen aufweist. Dessen Wahlkampf läuft Experten zufolge jedoch überhaupt nicht gut. So sei Ministerpräsidentenkandidat Ivan Bartoš nicht besonders souverän aufgetreten. Ihm sei es beispielsweise nicht gelungen, Fake News wie die, seine Partei wolle für Menschen über 70 das Wahlrecht abschaffen und ihnen den Führerschein entziehen, wirkungsvoll zu entkräften.  

Marketa Pekarova Adamova, Petr Fiala und Marian Jurecka auf Plakat
Wahlkampf in Tschechien: Plakat der Oppositionsplattform SPOLU (Gemeinsam) Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Babiš: Tschechiens nächster Präsident?

Es scheint, als ob einem Wahlsieg von Babiš und seiner ANO-Partei nichts mehr im Wege stünde. Nicht einmal der jüngste große Skandal, in den Babiš persönlich verwickelt ist. Nach Recherchen eines internationalen Journalistennetzwerkes soll er über eine undurchsichtige Offshore-Finanzierung für eine zweistellige Millionensumme eine Luxusvilla in Südfrankreich gekauft haben. Babiš bestreitet jegliches Fehlverhalten. Im Vorfeld der Veröffentlichung löste Babis Diskussionen aus, als er Journalisten aus dem In- und Ausland von einer Pressekonferenz in Usti nad Labem ausschloss. Angeblich aus Kapazitätsgründen. Allerdings waren darunter Vertreter jener Medien, die an den Pandora-Papers mitgearbeitet haben. Und so mancher hält das für keinen Zufall.

Doch selbst wenn Babiš mit der ANO das Rennen macht, ist ungewiss, wie sich die politischen Machtverhältnisse nach der Wahl gestalten. Das tschechische Wahlsystem macht es unwahrscheinlich, dass Babiš allein eine Mehrheitsregierung bildet. Da die Sozialdemokraten wohl aus dem Spiel sind, wird er sich nach neuen Partnern umsehen müssen. Ein mögliches Szenario ist nach Ansicht tschechischer Politikbeobachter ein interner Putsch in der Demokratischen Bürgerpartei ODS (Mitglied der SPOLU-Koalition), die Abkehr von ihrer Anti-Babiš-Stategie, und infolgedessen eine Mehrheitsregierung aus ANO und ODS. 

Einige Analysten gehen davon aus, dass Babiš dafür allerdings sein Amt als Ministerpräsident aufgeben müsste. Ein Handel zum gegenseitigen Vorteil: Babiš gibt die Macht ab, und die neue Regierung verzichtet im Gegenzug auf weitere Ermittlungen gegen ihn. Und in zwei Jahren könnte Babiš dann ja wieder in die Politik einsteigen, denn 2023 wird in Tschechien ein neuer Präsident gewählt. Wie es heißt, sei Babiš da nicht ohne Ambitionen. 

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 08. Oktober 2021 | 17:45 Uhr

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