Slowakei Machtkampf vor den Präsidentschaftswahlen
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22. März 2024, 14:12 Uhr
Die slowakische Regierung versucht, wichtige Bereiche der Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Daher kommt der Präsidentenwahl am 23. März eine besondere Bedeutung zu: Wird das künftige Staatsoberhaupt der Regierung genehm sein oder wird es zu ihrem wichtigsten Gegenspieler?
Knapp fünf Monate ist die Regierung von Premier Robert Fico im Amt. Seitdem ist der linkspopulistische Politiker im Ausland vor allem wegen seiner kontroversen Haltung zum Ukraine-Krieg aufgefallen. So lehnt er es zum Beispiel ab, Moskau die alleinige Schuld für den größten militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zu geben. Wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hegt auch Fico Zweifel am Sinn der westlichen Sanktionen. Zudem fordert er von der Europäischen Union, aktiv Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland anzustoßen. Es sei naiv zu glauben, die Atommacht Russland könne auf dem Kriegsfeld bezwungen werden, sagte der slowakische Regierungschef wenige Tage nach dem zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine.
Als der französische Präsident Emmanuel Macron Ende Februar auf einer Konferenz in Paris sagte, der Einsatz von westlichen Bodentruppen in der Ukraine könne nicht ausgeschlossen werden, musste er dafür von seinen Partnern viel Kritik einstecken. Für Fico war das eine Steilvorlage: Er konnte erneut die vermeintliche "Kriegslüsternheit" des Westens anprangern. Bereits zuvor hatte er davon gesprochen, dass ihm angesichts der Pläne einiger Nato-Staaten, Truppen in die Ukraine zu schicken, ein "Schauer über den Rücken" laufen würde.
Vor seinem Abflug nach Paris berief Fico demonstrativ seine Regierung und den nationalen Sicherheitsrat zu Sondersitzungen ein. Daraufhin ließ die prowestliche slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová, eine langjährige Gegenspielerin Ficos und Oberbefehlshaberin der slowakischen Armee, ausrichten, sie hielte die Aussagen des Regierungschefs für unangemessen, da dieser das Gefühl vermittle, das Land würde unmittelbar bedroht.
Strafen für Korruption gesenkt, Spezialstaatsanwaltschaft aufgelöst
Während Fico bei seinen ausländischen Partnern allmählich in Verruf gerät, versucht der 59-jährige Machtpolitiker innenpolitisch Pflöcke einzuschlagen. Und weil er nach seinem Wahlsieg Ende September vergangenen Jahres das Amt des slowakischen Regierungschefs bereits zum vierten Mal übernommen hat, brauchte er keine lange Anlaufzeit, sondern konnte gleich vom ersten Tag an Fakten schaffen.
So setzte seine Regierungskoalition einige wichtige Änderungen im Strafrecht durch: Die Strafen für Korruption und Wirtschaftskriminalität wurden herabgesetzt, die Verjährungsfristen bei einigen Straftaten, wie etwa Vergewaltigung, verkürzt. Vor allem aber wurde beschlossen, die sogenannte Spezialstaatsanwaltschaft aufzulösen. Die hatte sich während der fast zwei Jahrzehnte ihres Bestehens mit den schwerwiegendsten Kriminalfällen beschäftigt - unter anderem auch mit Korruption. In den vergangenen Jahren wurde dabei immer öfter gegen Personen aus dem Umfeld von Ficos Partei Smer ermittelt, einige davon wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
"Das Ende der Spezialstaatsanwaltschaft ist ein wichtiger Schritt, der den Kampf gegen Korruption und die organisierte Kriminalität insgesamt schwächen kann, weil die Aufgaben auf untere Ebenen der Staatsanwaltschaft verlagert werden," erklärt der slowakische Investigativ-Journalist Marek Vagovič, der für das Online-Portal Postoj.sk arbeitet. Dort würden sowohl die personellen wie auch die technischen Voraussetzungen fehlen, diese Fälle weiter zu verfolgen und die bereits begonnenen Ermittlungen zu Ende zu führen, so Vagovič.
Gegenwind von Bürgern und Gerichten
Gegen diese umstrittenen Beschlüsse lief eine breite Öffentlichkeit Sturm. Seit Herbst 2023 fanden nicht nur in den Metropolen Bratislava oder Košice, sondern auch in zahlreichen weiteren Städten des Landes große Protestkundgebungen statt, an denen Tausende Bürger teilnahmen. Einige der geplanten Änderungen im Strafrecht wurden mittlerweile vom slowakischen Verfassungsgericht gestoppt. Die Auflösung der Spezialstaatsanwaltschaft allerdings wurde von den Richtern nicht beanstandet und konnte somit in Kraft treten.
Laut dem Journalisten Vagovič deutet vieles darauf hin, dass sich die Regierung mit der Auflösung der unbequemen Spezialstaatsanwaltschaft nicht zufriedengeben wird: "Sie wird sicher versuchen, in die Gerichtsbarkeit einzugreifen, mindestens indem die Regierung versuchen wird, die Besetzung von Richterstellen zu beeinflussen (...), vielleicht sogar beim Verfassungsgericht ihre Vorstellungen unterzubringen," so Vagovič.
Letzteres scheint bereits eingetreten zu sein. Premier Fico hat den Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Ivan Fiačan, unlängst dazu aufgefordert, sein Amt niederzulegen. Grund ist die Entscheidung der Verfassungsrichter, Teile der umstrittenen Reform des Strafgesetzbuches zu stoppen. Die Richter hätten, so der Vorwurf des Regierungschefs, ihren Entschluss in dieser Angelegenheit zunächst den Medien zugespielt und erst dann öffentlich gemacht.
Der Präsident: Verbündeter oder Gegenspieler?
In dieser Atmosphäre findet am 23. März die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in der Slowakei statt. Amtsinhaberin Zuzana Čaputová erklärte bereits im vergangenen Jahr, sich nicht mehr um eine zweite Amtszeit bewerben zu wollen. Insgesamt zehn Kandidaten buhlen um ihre Nachfolge. Umfragen zufolge werden der jetzige Parlamentspräsident und frühere Regierungschef Peter Pellegrini und Ex-Außenminister Ivan Korčok das Rennen unter sich ausmachen.
Der Sozialdemokrat Pellegrini, der inoffiziell von der Regierung unterstützt wird, hat wohl das etwas größere Wählerpotenzial als sein bürgerlich-konservativer Opponent und gilt somit als Favorit für die zu erwartende Stichwahl am 6. April. Pellegrini unterstützt im Großen und Ganzen die Linie von Premier Fico in Bezug auf den Ukraine-Krieg und spricht von der Notwendigkeit, beide Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Korčok hingegen vertritt die Haltung, die Ukraine müsse alles bekommen, was sie verlange, da sie auch für den Westen kämpfen würde.
Der slowakische Politikwissenschaftler Radoslav Štefančík ist allerdings der Meinung, dass das Rennen noch lange nicht gelaufen ist: "Ivan Korčok hat als zweitplatzierter Kandidat immer noch eine Chance. Das war schon bei den vorangegangenen Präsidentschaftswahlen zu beobachten, wo sich zeigte, dass bürgerliche Kandidaten eine Chance hatten, obwohl sie vielleicht am Anfang in einer Außenseiterrolle waren."
Entscheidend bei der Stichwahl wird das Verhalten der im ersten Wahlgang unterlegenen Bewerber sein. Sollten einige von ihnen ihren Wählern keine Wahlempfehlung geben, könnten diese auch durch eine Stimmenthaltung den Wahlausgang indirekt beeinflussen, glaubt Štefančík. Das könnte insbesondere auf die Unterstützer des in den Umfragen Drittplatzierten, des prorussischen früheren Chefs des Obersten Gerichts Štefan Harabin, zutreffen.
Außerdem stellt sich laut Štefančík für die Wähler noch eine andere grundlegende Frage: "Soll der neue Präsident mit der Regierung in Einklang sein und sie somit auch das wichtigste Amt im Staat in den Händen halten oder wird der Inhaber des Präsidentenamtes zu einem Gegenspieler des Premierministers?" Der Politikwissenschaftler weist darauf hin, dass das Staatsoberhaupt trotz seiner geringen Vollmachten durch die Direktwahl über eine sehr hohe Legitimation verfügt.
Premier Robert Fico scheint sich jedenfalls der Wichtigkeit der Wahl bewusst zu sein. Viele Beobachter glauben, dass er Einfluss auf den Präsidentschaftswahlkampf nehmen will – etwa indem er den Krieg in der Ukraine zum Thema macht.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 23. März 2024 | 07:17 Uhr