Russland-Belarus Geliebter Feind: Die Hassfreundschaft zwischen Putin und Lukaschenko
Hauptinhalt
13. August 2020, 09:39 Uhr
Wladimir Putin hält nach dem umstrittenen Wahlsieg zu seinem alten Freund Lukaschenko. Beide verbindet eine politische Hassliebe. Nun hofft Putin auf mehr Gesprächsbereitschaft in Minsk.
Hohe Beamte, Oligarchen, private Milizen - in Moskau gäbe es viele, die sich das Land zwischen Russland und Polen am liebsten unter den Nagel reißen würde, erzählte der belarussische Präsident Lukaschenko in einem Interview wenige Tage vor der Wahl. Der Kreml habe die brüderlichen Beziehungen zu Weißrussland zu einer biederen Partnerschaft verkommen lassen.
Für einen Moment sah es so aus, als sei das Verhältnis der beiden Nachbarn endgültig zerrüttet. Bereits über Wochen hatte Lukaschenko sein gewohntes Bild der äußeren Feinde gezeichnet. Diese würden sich bereits jenseits der belarussischen Grenzen in Stellung bringen, um dann, im Windschatten der Präsidentschaftswahlen, Unruhen anzustiften.
Alle fünf Jahre, dann wenn eine Wahl ansteht, wird dieses Szenario von Lukaschenko und seinen Staatsmedien hervorgeholt wie ein Ritual. Doch während die Gefahr früher meistens im Westen verortet wurde, sollte sie dieses Mal überraschender Weise vom Verbündeten Russland ausgehen.
Putin hält an Belarus fest
Doch schon am Montag war Wladimir Putin nach Xi aus China der zweite Staatschef, der Lukaschenko zu seinem überaus umstrittenen Wahlsieg gratulierte. Der belarussische Präsident, sprach wieder von Russland als seinem Bruderland. Wladimir Putin schrieb in einem Telegramm an seinen Kollegen in Minsk, er rechne nach Lukaschenkos Wahlsieg nun mit einer tieferen Kooperation und Integration beider Länder.
Proteste kaum in russischen Medien
Plötzlich scheint wieder Frieden in die Beziehungen gekehrt. Russlands Medien berichten nur sporadisch über die Proteste in Minsk, während die Kommentatoren von einem überzeugenden Sieg Lukaschenkos sprechen. Dass Wladimir Putin jedoch gleich nach der Wahl ohne Umschweife auf die Integration beider Länder zu sprechen kommt, sollte keine Illusionen aufkommen lassen. Der neue Frieden zwischen den beiden Ländern bleibt trügerisch.
Verträge binden beide Länder aneinander
Schließlich hat kein Thema zuletzt für so viel Krach zwischen den Ländern gesorgt, wie Moskaus Wunsch, den Nachbar noch enger an sich zu binden. Beide Länder sind seit mehr als zwei Jahrzehnten durch einen Unionsvertrag, eine Freihandelszone, durch gegenseitige Freizügigkeit und ein Militärbündnis aneinander gebunden. Russland wollte aber mehr, etwa den russischen Rubel zum Zahlungsmittel machen, eine Militärbasis bauen, bei den wichtigsten Konzernen des Landes einsteigen.
Lukaschenko "verdient" an der Nähe zu Russland
Lukaschenko hingegen hat sich jeden Schritt der Annäherung an Moskau bezahlen lassen. Mal in Form von Rabatten bei Öl und Gas, mal in Form von Krediten. So hat Minsk seit 2011 zwei Kredite über insgesamt fünf Milliarden Euro vom Eurasischen Stabilitätsfonds erhalten. Finanziert wurden die überwiegend aus dem russischen Haushalt. Wenn in Russland das Geld wenig locker saß, kokettierte Lukaschenko gekonnt mit einer Annäherung an Europa, etwa als er vor einigen Jahren Europäer bei Kurzbesuchen von der Visapflicht befreite.
Zuletzt war Russland zusehends genervt von Lukaschenkos Balance-Art zwischen Ost und West. Nach der jüngsten Wahl und dem exzessiven Einsatz der Polizei während der Proteste dürfte Lukaschenko nun kaum noch auf gute Beziehungen zum Westen hoffen. Das weiß auch Wladimir Putin. Stattdessen werden in den EU-Hauptstädten Osteuropas Rufe nach neuen Sanktionen gegen Lukaschenko laut. Zuletzt hat sich Lukaschenko oft als letzter Verbündeter Russlands bezeichnet. Die Botschaft dahinter: Moskau braucht Minsk mehr als umgekehrt. Nach dem äußert umstrittenen Wahlsieg Lukaschenkos sieht Putin diesen Spieß wohl nun umgedreht. Offenbar rechnet Putin damit, dass sein belarussicher Kollege in einer solchen Situation zu mehr Kompromissen bereit sein wird.
Lukaschenko ist nicht alternativlos
Doch Putins Solidarität mit Lukaschenko dürfte enge Grenzen haben. Als geschwächter Autokrat ist Lukaschenko ein willkommener Verhandlungspartner in Moskau. Doch aus Moskauer Sicht ist er längst nicht mehr alternativlos. Da wäre etwa Viktor Babariko, vor seiner Inhaftierung Lukaschenkos Hauptkonkurrent und Hoffnungsträger für jene, die mehr Demokratie und Reformen herbeigesehnt haben.
Bis zu seiner Kandidatur und Verhaftung leitete er die belarussische Belgazprombank, eine Tochter des russischen Energiekonzerns Gazprom. In Interviews betonte Babariko immer, dass er Belarus als neutralen Staat zwischen Ost und West sehen will. In Moskau gilt Babariko als ein Mann, der das außenpolitische Ruder in Minsk nicht um 180 Grad herumreißen würde. Zwar konnte Babariko, nicht bei den Wahlen teilnehmen, sollte Lukaschenko in den kommenden Tagen und Wochen jedoch noch sein Amt verlieren, könnte Babariko bei Neuwahlen auch dank seiner gemäßigten Position mit großer Zustimmung rechnen.
Situation in Belarus ähnlich wie in Armenien
Und so scheint es derzeit eher unwahrscheinlich, dass der Kreml im Fall der Fälle auf Seiten von Lukaschenko in das belarussische Geschehen eingreift oder gar eigene Kräfte ins Land schickt. Eine abwartende Haltung Moskaus hat sich bereits bei der Samtenen Revolution in Armenien vor zwei Jahren bezahlt gemacht.
Auch Armenien gilt als jahrelanger Verbündeter Russlands. Der prorussiche Präsident des Landes Serj Sarksjan musste jedoch nach Massenprotesten zurücktreten. Sein als prowestlich geltender Nachfolger Nikol Paschinjan konnte das Ruder an sich reißen, während Russland zuschaute. Das Verhältnis zwischen Russland und Armenien hat sich seit dem kaum verschlechtert. Ein Austritt aus Moskaus Gegenstück zur EU, der Eurasischen Wirtschaftsunion, steht für Paschinjan nicht auf der Agenda. Auf eine ähnliche Entwicklung dürfte Moskau auch nach einem möglichen Machtwechsel in Minsk hoffen.
(adg)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 15. August 2020 | 07:20 Uhr