Polen Wie es für die PiS nach dem Regierungswechsel weitergeht
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03. Februar 2024, 16:07 Uhr
Das politische Klima in Polen ist weiterhin aufgeheizt, die Auseinandersetzung zwischen der neuen Regierung unter Donald Tusk und der ehemaligen Regierungspartei PiS polarisiert. Dass sich die erhitzten Gemüter beruhigen, ist nicht zu erwarten, denn es stehen Kommunalwahlen an. In welchem Zustand geht die ehemalige Regierungspartei PiS in den Wahlkampf?
In demokratischen Ländern gelten die ersten 100 Tage einer neuen Regierung meistens als eine Zeit, in der sie sich auf verschiedenen Ebenen organisiert. Als eine Zeit, in der sie Veränderungen einleitet, um ihr Wahlprogramm umzusetzen. In Polen aber verläuft der Machtwechsel zu Donald Tusks Regierung unter den Bedingungen eines neuen Wahlkampfes, in einer äußerst angespannten politischen Stimmung und unter Widerstand sowie permanenten Angriffen seitens der Vorgänger.
Die PiS versucht sich zu konsolidieren
Unter den Politikern der bis vor kurzem regierenden "Vereinigten Rechten" herrschen immer noch Entsetzen und Unglauben über den Machtverlust und seine Folgen. Jarosław Kaczyński hat an seinen härtesten politischen Gegner, ja Erzfeind, all das abgeben müssen, was er geschaffen und geliebt hat: einen umgebauten Staat samt Verwaltungsapparat, den Zugriff auf dessen Finanzen sowie auf staatliche Unternehmen mit ihren attraktiven Gehältern und informellen Mitteln der Einflussnahme. Den Zugang zu öffentlich-rechtlichen Medien musste sich Tusk buchstäblich selbst verschaffen, was viele in Polen als den ersten großen Schlag gegen die "alte Macht" verstanden haben.
Beobachter vergleichen das Verhalten der PiS mit einem Boxer nach einem schweren K.O. – sie steht immer noch unter Schock. Der PiS-Vorsitzende Kaczyński ist geschwächt, seine Aura des "genialen Strategen" liegt in Trümmern, das Verlangen innerhalb der Partei mit der missglückten Wahlstrategie abzurechnen, nimmt immer mehr zu. Das könnte nur schwer kontrollierbare Prozesse in der PiS auslösen: interne Spannungen und Fraktionskämpfe, die für die Integrität der gesamten Partei gefährlich wären. Und da die Partei politisch alles ist, was Kaczyński noch übriggeblieben ist, muss er sie nun um jeden Preis konsolidieren.
Dafür greift er aber auf alte Methoden zurück, obwohl die in letzter Zeit offenbar versagt haben: harte Konfrontation mit dem politischen Gegner, Destabilisierung der Lage im Land und Aufheizen der sozialen Stimmung. Anstatt mildere Töne anzuschlagen, werden Kaczyńskis Angriffe auf die neue Regierung immer brutaler. Er bedient sich dabei regelmäßig solcher Bezeichnungen wie "Koalition von Rache und Chaos", "schleichender Staatsstreich" oder "das Tusk-Regime". Für Rafał Chwedoruk, Politologe von der Warschauer Universität, ist der Sinn hinter der verbalen Aufrüstung klar: "Die PiS radikalisiert sich, weil sie keine andere Wahl hat. Nur so kann sie Abrechnungen nach den Wahlen vermeiden und nur so kann sie ihre Wählerschaft zusammenhalten."
PiS: Ein neuer Wahlkampf mit alten Methoden
Schon am 7. April stehen in Polen die nächsten Wahlen an – diesmal Kommunalwahlen. Ihren Wahlkampf hat die PiS schon vor kurzem mit einer Tour durchs Land eröffnet, was ein großer Test für sie sein wird. Sie ist jetzt eindeutig auf dem Rückzug – die Unterstützung für die Partei ist laut Umfragen allein im Januar um fünf Prozent gesunken. Ihre Wahlkampfparole "Treffen der freien Polen" steht für ebenso harsche Anti-EU-Rhetorik wie bisher. Trotzdem will die PiS damit überraschenderweise jüngere Wähler ansprechen. Nur hat sie es jetzt aber grundsätzlich viel schwerer als früher, betont Agnieszka Kasińska-Metryka, Politologin von der Jan Kochanowski-Universität in Kielce: "Die Partei hat nichts mehr zu versprechen oder zu verschenken, und sie hat auch kein Propaganda-Instrument in Form von TVP mehr." Die Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Fernsehsehsender TVP hatte die PiS Mitte Januar nur unter großem Widerstand abgegeben.
Zusätzliche Sorgen bereitet der PiS die Tatsache, dass die neue Regierungskoalition eine außergewöhnliche Einheit zeigt und trotz der manchmal umstrittenen Entscheidungen ihres Chefs Donald Tusk sehr geschlossen agiert. Alle bisherigen Bemühungen der politischen Gegner, diese Einigkeit zu brechen, sind fehlgeschlagen.
Präsident Duda unterstützt die schwächer werdende PiS
Die Beziehungen zwischen dem neuen Premierminister Tusk und dem PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda haben sich inzwischen von "kühl" zu einer offenen Konfrontation entwickelt. Das zeigt sich besonders am Konflikt um das Justizwesen. Vor Kurzem stellte Tusk klar, dass es "in der Frage der Rechtsstaatlichkeit keinen Raum für Verhandlungen" gebe. Die Justizreformen der PiS-Regierung rückgängig zu machen sei für ihn von grundlegender Bedeutung. Das solle vor allem den polnischen Bürgern zugute kommen, ist aber auch für die Beziehungen zur EU und die Freigabe von EU-Geldern für Polen wichtig.
Duda hingegen lehnt jegliche Reformen im Justizwesen ab, insbesondere eine Überprüfung der von ihm ernannten Richter. Bei solch unterschiedlichen Ansätzen in dieser Frage wird es wohl schwierig sein, einen Kompromiss zu finden. Zwar fühlt sich der PiS-nahe Präsident "nicht für das Chaos in der Justiz verantwortlich", doch seine Beteiligung an ihrer Zerstörung ist unbestreitbar: "Der Präsident hat wiederholt gegen die Verfassung verstoßen. Früher habe ich gezählt, wie oft – bis 13 bin ich gekommen und habe es dann aufgegeben" – sagte Adam Strzembosz, ehemaliger Erster Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs und Vorsitzender des Staatsgerichtshofs in einem Interview mit der Tageszeitung "Rzeczpospolita".
Unter anderem denke er dabei daran, wie sich Präsident Duda geweigert hatte, ordnungsgemäß gewählte Richter des Verfassungsgerichts zu ernennen. Oder wie er Änderungen der PiS im Gerichtswesen durchgewunken hat, "die den elementaren Grundsätzen des Rechts und der Ehrlichkeit zuwiderlaufen", so Strzembosz. Der neue Justizminister Adam Bodnar arbeitet sich dennoch langsam durch die Reform von Gerichten und Staatsanwaltschaften durch, selbst wenn er dort auf sehr starken Widerstand stößt.
PiS verliert Einfluss in öffentlichen Institutionen und Unternehmen
Beobachter sehen die PiS mittlerweile mit ernsthaften Problemen konfrontiert, da sie nicht nicht in der Lage sei, die Maßnahmen der neuen Regierung zu stoppen oder auch nur zu verlangsamen. Die ehemalige Regierungspartei hat offenbar ihre Wirkkraft verloren und dabei steht Polen erst am Anfang der angekündigten Veränderungen: In Ministerien, den ihnen unterstellten Instituten und unzähligen Stiftungen laufen derzeit Rechnungsprüfungen. Allerorten werden Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder vermutet.
Ungünstig für die Parteigänger der PiS in hohen Positionen ist außerdem, dass ein Wechsel in den Vorständen der staatlichen Unternehmen im Gange ist, allen voran beim Mineralöl-Konzern Orlen. Es wird erwartet, dass diese Veränderungen das Ausmaß ans Licht bringen, in dem die PiS Staatsgelder "privatisiert" hat und damit mutmaßlich Verluste für den Staatshaushalt verursacht hat. Laut Medienberichten handelt es sich um Milliardenbeträge. Erfahrungsgemäß bringen Miss- und Vetternwirtschaft keine neuen Wähler – das wird bei den kommenden Kommunalwahlen wohl auch für die PiS gelten.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 13. Januar 2024 | 07:17 Uhr